30 Jahre nach den rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda hat sich einiges in der Stadt geändert. Doch es kommt auch immer wieder immer zu rassistischen Übergriffen, noch immer werden Geflüchtete hier nicht heimisch. Ein Theaterstück, erarbeitet und aufgeführt von Asylsuchenden und Bewohner*innen Hoyerswerdas will Mauern abbauen, und das ganz praktisch.
Von Robert Lüdecke
Als 2014 nach vielen Jahren erstmals wieder eine größere Zahl von Geflüchteten ins sächsische Hoyerswerda kam, sollte es anders laufen: Mit der Ankunft der Geflüchteten gründete sich eine Bürgerinitiative, die sich für das Heim und die darin lebenden Menschen engagierte, Bewohner*innen der Stadt zeigten Gesicht und stellten sich gegen alle Anfeindungen vor die Leute. Ihr Tenor: Wir wollen nicht, dass sich hier die Geschichte wiederholt.
1991 war ein Sieg der Rechtsextremen
Denn das sächsische Hoyerswerda erlangte bundesweit traurige Berühmtheit, als es im September 1991 zu massiven rassistischen Ausschreitungen in der Stadt kam, die sich gegen mosambikanische Vertragsarbeiter*innen und eine Unterkunft für Geflüchtete richteten. Tagelang belagerten Neonazis und Bürger*innen deren Wohnheime, warfen mit Molotov-Cocktails und schossen mit Stahlkugeln. Neonazis bedrohten, beleidigten und verletzten die Bewohner*innen, Anwohner*innen jubelten und applaudierten. Weil sich Politik und Polizei nicht in der Lage sahen, die Angriffe auf die Flüchtlinge zu stoppen, mussten die Betroffenen unter dem Applaus und Gejohle vieler Anwohner*innen die Stadt verlassen und wurden später abgeschoben – ein klarer Sieg für die Rechtsextremen.
Die Angriffe reihten sich ein in eine Welle rechter Gewalt, die zu Beginn der 1990er Jahre vor allem durch die Neuen Bundesländer rollte. Täglich griffen Neonazis Migrant:innen, alternative Jugendliche oder andere Menschen an, die nicht in ihr Weltbild passten – oft mit tödlichen Folgen. Die sogenannten Baseballschlägerjahre. Auch 2015 gab es wieder einen Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in Hoyerswerda, diesmal wurde glücklicherweise niemand verletzt, der Mitarbeiter eines Wachdienstes konnte die Flammen löschen.
Mauern überwinden und Begegnung schaffen
Heute gibt es zwar immer noch eine rechtsextreme Szene in Hoyerswerda und es kommt immer noch zu rassistischen Anfeindungen und Übergriffen. Doch es gibt auch eine wache Zivilgesellschaft vor Ort, zu der auch die Kulturfabrik Hoyerswerda gehört, die sich für eine lebenswerte Stadt für alle einsetzt. “Weit über 1000 Asylsuchende haben das Heim seit 2015 durchlaufen, sind weitergezogen oder leben immer noch hier. Nur sehr wenige von Ihnen finden dabei in unserer Stadtgesellschaft eine neue Heimat. Unsichtbare Mauern stehen zwischen den Asylbewerbern und den Einwohnern”, erklären die Engagierten.
“Häufig besteht diese Mauer aus Angst vor dem Fremden, dem nicht voneinander Wissen und den viel zu wenigen Gelegenheiten zum unvoreingenommenen Kennenlernen.”
Deshalb haben sie die italienische Theatergruppe TEATRO DUE MONDI eingeladen. Die Gruppe bringt ihr Stück “Mauerrisse” mit, in dem es um Mauern, Grenzen und Zäune geht, die physisch unüberwindbar sind, aber auch um zwischenmenschliche Mauern der Angst und des Misstrauens. Es wird erzählt von hohen, abgrenzenden Mauern, die immer noch und immer wieder gebaut werden und die niemanden durchlassen, wer keine Papiere hat oder wer “anders” ist.
Sicht- und erfahrbarer Austausch mitten in der Stadt
Das Besondere an dem Theaterprojekt: Das Ensemble erarbeitet das Stück in einem Workshop gemeinsam mit 25 Asylbewerber*innen und Bürger*innen aus Hoyerswerda. Gemeinsam nähert sich die Gruppe in Spielen und Gesprächen dem Thema Mauern und der Frage, wie sie überwunden werden können. Danach entwickeln sie zusammen passende Szenen. Dabei haben alle gleiches Mitspracherecht und alle werden gehört.
Am Ende führen sie gemeinsam das Stück auf, unter freiem Himmel, mitten in der Stadt – und das rund um den 30. Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen von 1991, denen sich eine ganze Gedenkwoche widmet, zu der auch das Theaterprojekt gehört.
Mauern – das können staatliche Grenzen sein, aber auch soziale oder finanzielle Hürden, zwischenmenschliche Mauern, bestehend aus Vorurteilen, oder individuelle Mauern der Angst und des Misstrauens. Das Projekt der Kulturfabrik wird in jedem Fall dazu beitragen, dass diese Mauern kleiner werden. Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt dieses Vorhaben deshalb gern mit einer Förderung.