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Kommentar

7 Punkte für eine digitale Zivilgesellschaft im Gaming

Stundenlanges Schlange stehen, um einen kurzen Blick in das Intro eines neuen Blockbuster-Games zu erhaschen, volle Messehallen, durch die sich tausende Besucher*innen drücken und das alljährliche Treffen, der eigenen Online Gilde nahe der Retro Arena. All das fiel bereits 2020 pandemiebedingt ins Wasser. Und auch die „Gamescom“ 2021 findet wenig überraschend nur digital statt. Jedoch: Die Veranstalter*innen haben unter dem Motto „The heart of Gaming“ auch in diesem Jahr ein riesiges Angebot geschaffen, auf das sich Gamer*innen vom 25.-27. August freuen dürfen. Unzählige Demos sind von zuhause anspielbar und auch Talks auf dem Gamescom-Congress und Events lassen sich live im Stream verfolgen. Ein beeindruckendes Konzept.

Gaming ist an vielen Stellen zentraler Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens geworden. Und auch wenn Videospiele und Gaming-Communitys immer vielfältiger werden und ein breites Repertoire an Themen bedienen, gibt es noch viel nachbesserungsbedarf. Das Projekt „Good Gaming – Well played democracy“ der „Forschungsgruppe Modellprojekte (FGM)“ und der Amadeu Antonio Stiftung hat einen Appell aus 7 Punkten formuliert, um die digitale Zivilgesellschaft auch im Gaming sichtbarer werden zu lassen.

1. Raus aus der Defensive! Eine leise Mehrheit darf sich nicht einer toxischen, lauten Minderheit unterordnen:

Sowohl auf großen Spieleplattformen wie Steam und Twitch, auf Servern des bei Gamer*innen beliebten Voicechats „Discord“, als auch in Spielechats von großen Online Titeln wie „Leage of Legends“ oder „Valorant“ fällt immer wieder auf, wie hasserfüllt sich eine laute Minderheit im Gaming äußert. Anstößige und belästigende Kommentare werden gegenüber Mitspieler*innen geäußert, antisemitische Nicknames werden einfach so hingenommen und in Gruppen wird dazu aufgerufen, rechtsextreme Terrorpamphlete zu lesen und zu verbreiten. Auch wenn der allergrößte Teil der Gamer*innen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus ablehnt, findet sich diese Haltung noch zu selten in Videospielwelten wieder. Gamer*innen müssen sich stärker gegen die Vereinnahmung von Rechtsextremist*innen zu Wehr setzen, müssen von Report- und Meldefunktionen Gebrauch machen und auch entschieden dagegenhalten, wenn im Spielechat rassistische Beleidigungen umherfliegen.

2. Es bedarf einer dauerhaften und konsequenten Haltung gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF):

Als sich im Juni des letzten Jahres viele Spieleentwickler*innen, Streamer*innen und Plattformen mit der „BlackLivesMatter“-Bewegung solidarisierten, implizierte dies die Hoffnung, dass auch in Videospielwelten zukünftig sichtbarer gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorgegangen wird. Nach dem abebben der ersten Solidaritätswelle wirken viele Äußerungen wie ein einfaches Lippenbekenntnis. Längst nicht alle großen Spieleplattformen haben beispielsweise ausformulierte Guidelines, die sich gegen Rassismus, Sexismus und Antisemitismus stellen. Die Vertriebsplattform „Steam“ führt lediglich Rassismus und Diskriminierung als „inakzeptable Inhalte“ auf, irgendwo zwischen „Cheating, Hacking“ und den Themen „Drogen und Alkohol“. Hier bedarf es neben der Ausgestaltung der Plattformen-Guidelines ein konsequenteres Vorgehen gegen Profile, Gruppen und Kommentare, die jegliche Abwertung und Diskriminierung reproduzieren.

3. Gaming darf in Politik und Zivilgesellschaft kein Nischenthema sein:

Über 34 Mio. Menschen spielen in Deutschland Videospiele. Games sind Kulturgut und damit zentraler Bestandteil in unserer Gesellschaft. Trotzdem ist es für viele im öffentlichen Diskurs noch ein Nischenthema, welches ganz weit weg erscheint. Ob Lehrer*innen, die nicht verstehen, in welchen Lebenswelten sich ihre Schüler*innen mittlerweile bewegen, Politiker*innen, die mit dem Begriff „Twitch“ nichts anfangen können oder wie jüngst auch im Halle-Prozess Beamte des BKA, die eine Einschätzung zum Gamingverhalten des Attentäters abgeben, ohne selbst eine Expertise im Gaming vorzuweisen. Gaming ist KEIN Nischenthema mehr. Das muss sowohl die Bildungsarbeit, als auch in politischen Debatten ankommen. Positiv ist hier das aktuelle Programm der eingangs erwähnten Gamescom hervorzuheben. Sowohl in der „Debatte Royal“ als auch in vielen weiteren Talks wird über unterschiedliche Themen rund um Games und Digitalpolitik diskutiert.

4. Beratung für Betroffene von Hass im Gaming:

Jene die von Hasskriminalität betroffen sind, werden häufig allein mit ihren Problemen gelassen. Anlaufstellen wie z.B. „Hateaid“ leisten hier Abhilfe und unterstützen sowohl akut, als auch langfristig. Tatsächlich gibt es allerdings noch keine Beratungsstelle für Gamer*innen, die explizit in Gamingkontexten bedroht, angefeindet und diffamiert werden. Dabei berichten vor allem Spieler*innen und Streamer*innen von Anfeindungen im Twitch-Stream oder im Spielechat. Hier muss das bestehende Beratungsangebot erweitert und ausgebaucht werden, um gamingspezifische Fälle betreuen zu können.

5. Spieleunternehmen müssen Strukturen gegen sexuelle Belästigung etablieren:

In diesem Jahr häuften sich nicht nur die Berichte über toxisches Verhalten gegenüber Streamerinnen und Frauen in Gamingchats, auch Berichte über sexuelle und moralische Belästigung in großen Entwicklerstudios wurden laut. Vor allem der Publisher Activision Blizzard stand in der Kritik und trennte sich in der Konsequenz von einigen Köpfen des Unternehmens. Regelmäßig berichten Mitarbeiterinnen von großen Entwicklerstudios, von übergriffigen und belästigendem Verhalten und von männlichen Kollegen, die sich gegenseitig in Schutz nehmen. Es bedarf größere Bestrebungen, Spieleunternehmen zu Safespaces werden zu lassen und gegen die misogyne „Kumpelkultur“ vorzugehen. Spielepublisher müssen sich hier ihrer Verantwortung stärker bewusstwerden.

6. Demokratisches Engagement in Gaming-Communitys – bitte mehr davon:

Immer mehr Videospiele fangen an, komplexe politische Themen aufzugreifen und zu behandeln. In „Throught the darkest of times“ spielen wir eine Widerstandsgruppe im Nationalsozialismus, in „BioShock – Infinite“ befinden wir uns in einer fiktiven, rassistischen Spielwelt über den Wolken und im Adventure „Jessika“ werden Radikalisierungsprozesse deutlich. Aber auch abseits der Spiele zeigt sich innerhalb der heterogenen Communitys, wie Gamer*innen an politischen Diskursen partizipieren (BlackLivesMatter im Gaming BT Artikel) und sich beispielsweise mit der Freiheitsbewegung in Hong Kong solidarisieren. Als nämlich im Oktober der „Hearthstone“ Profi „Blitzchung“ für seine offene Solidaritätsbekundung mit den Protesten von einem Videospielunternehmen abgestraft wird, formiert sich unter dem Hashtag #Boykottblizzard“ ein breites Spektrum an Gamer*innen. Auch deutsche Streamer*innen und Spieler*innen positionieren sich gegen Rassismus oder sammeln sich in Kampagnen wie #KeinenPixeldenFaschisten (https://keinenpixeldenfaschisten.de/). Dieses Engagement muss weiter anwachsen und sichtbarer werden!

7. Gaming-Angebote stärker einbinden:

Die „Leage of Legends“ oder „FIFA“-Teams von Sportvereinen wie dem „FC Schalke 04“ oder „VFL Wolfsburg“ machen deutlich, wie sich der elektronische Wettkampf mit dem Offline-Sport vermischt. E-Sport-Teams werden an Hochschulen und in Schul-AGs aufgebaut, Wettkämpfe organisiert und in Verbandsarbeit strukturiert. Auch immer mehr rechtsradikale Gruppierungen wollen sich über Games und den E-Sport einen jungen Anstrich verpassen und laden zu Zocker-Abenden oder auch mal zu einem „patriotischen Videospieltournier“ ein. E-Sport und Gaming muss sich noch stärker als bisher in demokratischen Strukturen wiederfinden, um sich gegen eine laute Minderheit zur Wehr zu setzen.

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