Am 11. April 1945 wurde das Konzentrationslager auf dem Ettersberg bei Weimar befreit. Kurz vor dem Eintreffen der US-Armee hatten die Inhaftierten selbst das Lager unter ihre Kontrolle gebracht. Acht Tage später leisteten die Überlebenden der NS-Verbrechen den Schwur von Buchenwald. Am 19. April 2025 setzt das Bündnis Zäsur24 ein Zeichen für Demokratie und Solidarität – gegen das Vergessen.
Von Vera Ohlendorf
Nach einem Rundgang durch die Gedenkstätte Buchenwald sind am Nachmittag etwa 100 Menschen auf dem Weimarer Theaterplatz zusammengekommen, um an die Mahnung des Schwurs von Buchenwald zu erinnern und gemeinsam Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Zahlreiche Initiativen aus Weimar und Umgebung sind der Einladung des Aktionsbündnisses Zäsur24 gefolgt, darunter der Jugendclub Nordlicht, der Mitmach-Zirkus Tasifan, das Bündnis gegen Rechts Weimar, Dykemarch Weimar, Fridays for Future, Seawatch, der Landesverband Frauen mit Behinderungen in Thüringen und die Initiative Buntes Weimarer Land. Gemeinsam bringen sie, mit einer Förderung der Amadeu Antonio Stiftung, ein vielfältiges Programm auf die Bühne: Musik, Redebeiträge, Workshops und Podien laden dazu ein, den Schwur von Buchenwald nicht als historisches Relikt, sondern als Auftrag in Zeiten rechtsextremer Normalisierung in Thüringen zu verstehen.
Der Schwur ist nicht erfüllt
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ (Auszug aus dem Schwur von Buchenwald)
Für Johann, einem der Organisatoren von Zäsur24, ist klar: „Der Schwur ist aktuell und darf nicht in Vergessenheit geraten. Er wartet noch auf Erfüllung. Wir alle können und müssen etwas dazu beitragen.“ Zäsur24 versteht sich als offenes Aktionsbündnis. Der Name ist bewusst gewählt: „Die Ergebnisse der Thüringer Landtags- und Europawahlen im letzten Jahr waren ein politischer Einschnitt. Es hätte angesichts der Ergebnisse passieren können, dass wir einen Rechtsextremen als Ministerpräsidenten bekommen“, erklärt Michael, der ebenfalls Teil des achtköpfigen Organisationsteams ist. „Da war das Gefühl: Jetzt ist es genug. Wir wollten das nicht unbeantwortet lassen und gemeinsam etwas aufbauen“.
„Exilthüringer*innen“ übernehmen Verantwortung
Zäsur24 besteht zur Hälfte aus Menschen, die in Weimar oder Umgebung leben, zur anderen Hälfte aus „Exilthüringer*innen“, wie Johann es nennt – Menschen mit Wurzeln in Thüringen, die inzwischen in Berlin, Leipzig, Hamburg oder Frankfurt leben. „In den Großstädten ist es noch etwas sicherer, auch wenn dort die Schutzräume bröckeln. Für uns als Thüringer*innen ist es aber bitter, vom eigenen Bundesland in den Nachrichten zu lesen“, berichtet Johann. „Wir wollen engagierte Menschen hier vor Ort unterstützen und ihre Arbeit gegen rechtsextreme Ideologien sichtbar machen.“
Zäsur24 hat sich das Ziel gesetzt, verschiedene Initiativen und ihre Arbeit zusammen zu bringen: Viele Kultureinrichtungen, Bündnisse, Jugendclubs, Vereine und Gruppen seien in Weimar für demokratische Werte und ein solidarisches Miteinander aktiv, nicht immer wüssten aber alle Aktiven voneinander. „Uns geht es darum, Brücken zwischen den einzelnen Gruppen zu schlagen, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen und sich besser gegenseitig zu unterstützen“, beschreibt Michael.
„Ich habe Angst, dass Ausgrenzung und Vernichtung sich wiederholen”
Das Fest der Vielfalt verbindet Geschichte und Gegenwart. „Weimar ist ein historisch aufgeladener Ort, hier wurde die erste demokratische Verfassung beschlossen. Gleichzeitig war Thüringen ein erstes Versuchslabor des Faschismus. Hier nicht mit der Geschichte zu arbeiten, verbietet sich“, erklärt Johann. Der Glockenturm von Buchenwald ist für viele Weimarer*innen ein täglicher Anblick, das Thema NS-Verbrechen ist omnipräsent. „Die Gewissheit, dass Dinge wieder passieren könnten, muss gerade hier deutlich thematisiert werden“, ergänzt Michael.
Nancy vom Landesverband für Frauen mit Behinderung in Thüringen bringt es in ihrem Redebeitrag auf den Punkt: „Früher haben wir uns als behinderte Menschen versteckt. Heute verstecken wir uns wieder. Ich habe Angst, dass Ausgrenzung und Vernichtung sich wiederholen. Das darf nie wieder passieren!“ Ihr Appell: „Helft uns, unterstützt uns – jetzt mehr als je zuvor!“
Den Organisator*innen ist ein lebendiges, zugängliches Format wichtig, das Menschen aus allen Altersgruppen anspricht. „Vielleicht wirkt es für Einige kontrovers, wenn wir ein Fest mit dem Schwur von Buchenwald verbinden und Themen wie Demokratieerhalt, vergessene NS-Opfergruppen, das Sterben von Geflüchteten im Mittelmeer oder Euthanasie neben einer Hüpfburg besprechen“, beschreibt Johann. „Aus unserer Sicht passt das aber gut zusammen. Wie soll man auf die aktuellen politischen Entwicklungen sonst reagieren?“. Wichtig sei ihnen, nicht nur gegen etwas zu sein, sondern auch Spaß zu vermitteln und zu zeigen, dass ein vielfältiges Miteinander glücklich machen kann.
Allianzen stärken, auch im ländlichen Raum
Michael und Johann freuen sich, dass die Stadtverwaltung Weimar das Fest der Vielfalt unterstützt und Genehmigungen unkompliziert erteilt wurden. Im Vorjahr kam es am Rande der Veranstaltung zu Störversuchen. In diesem Jahr wurde das Sicherheitskonzept überarbeitet. Sichtbarer Polizeischutz ist so nicht nötig, das Fest der Vielfalt verläuft ohne Probleme.
Die Organisator*innen ziehen ein positives Fazit. Das Bündnis möchte künftig auch in den ländlichen Räumen Thüringens aktiv werden, Engagierte ganz praktisch unterstützen und neue Formate ausprobieren. „Eine Zäsur muss kein negativer Einschnitt sein“, sagt Johann. „Sie kann auch eine positive Wendung bringen. Daran wollen wir mitwirken.“