„Als Zivilgesellschaft schaffen wir mit unserer Arbeit die demokratische Basis. Wenn die wegfällt, ist die Demokratie als Staatsform akut gefährdet.“ Ein Interview.
In der sächsischen Kleinstadt Wurzen nahe Leipzig ist seit 1990 eine aktive Neonazi-Szene gewachsen. Das Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. (NDK) engagiert sich dort seit über 25 Jahren für die Stärkung der Demokratie, für mehr Beteiligung aller Menschen, für Offenheit und Vielfalt. Nun hat der Stadtrat auf Initiative der AfD und mit Stimmen von weiteren Fraktionen die Förderung für den Verein gekürzt. Die tagtägliche Arbeit gegen Rechtsextremismus und auch ganz konkrete Veranstaltungen können entweder gar nicht mehr oder nur noch beschränkt stattfinden.
Martina Glass ist Geschäftsführerin des NDK. Mit ihr haben wir über Diffamierungskampagnen von NPD bis AfD und die akute Bedrohung der Demokratie in Sachsen gesprochen.
Belltower.News: Was ist das Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) in Wurzen für ein Ort?
Martina Glass: Der Verein hat sich vor 25 Jahren gegründet, um dem rechten Mainstream in Wurzen klar entgegenzutreten. Die Idee war und ist, einen sicheren Ort für Menschen zu schaffen, die nicht rechtsextrem sind. Alle sind eingeladen, die Räume zu nutzen, Ideen zu entwickeln und sich zu verwirklichen, egal ob jung oder alt. Hier ist es möglich, Pluralität und Vielfalt zu leben, eigene Ideen zu entwickeln, miteinander zu diskutieren oder Veranstaltungen zu organisieren. Bildung und kulturelle Angebote gehören auch dazu. Seit 2015 ist auch die interkulturelle Arbeit ein wichtiger Schwerpunkt. Es gibt viele Menschen mit Migrationsgeschichte, die die Räume nutzen, sich hier treffen und gemeinsam Aktionen organisieren. Wir versuchen, die Leerstellen in Wurzen zu schließen, weil es hier wenig andere Angebote gibt.
Das NDK wird immer wieder durch Rechtsextreme angegriffen. Ob militante Nazis vor der Tür, Diffamierungskampagnen der NPD oder AfD und jetzt diese neue Form der Eskalation. Fühlt ihr euch in Wurzen in Anbetracht der rechtsextremen Einschüchterungsversuche noch sicher?
Die Frage kann ich klar mit Ja beantworten. Im Team ist das natürlich individuell verschieden. Aber wir sind fest miteinander verbunden und erfahren viel Unterstützung. Viele Menschen, die zu uns kommen, bekunden ihre Solidarität. Wir sind nicht allein, sondern haben eine große Basis, die uns stärkt. Sowohl in Wurzen als auch außerhalb.
Der Wurzener Stadtrat hat einen Förderantrag des NDK kürzlich abgelehnt. Was ist genau passiert?
Es gibt ein Kulturraumgesetz, über das Kulturprojekte in Kommunen gefördert werden können. Über dieses Programm stellen wir seit vielen Jahren Anträge. Das Gesetz sieht einen Anteil vor, den die Sitzgemeinde dazu geben muss, damit die Kulturraumförderung möglich ist. Dieser Anteil liegt aktuell bei acht Prozent der Gesamtsumme des Projektes. Den haben wir bisher immer bekommen. In diesem Jahr haben wir 12.900 Euro bei der Stadt Wurzen beantragt. Der Antrag wurde zunächst im Kulturausschuss des Stadtrates gemeinsam mit weiteren Anträgen von anderen Vereinen diskutiert. Der AfD-Stadtrat Lars Vogel hat sich gegen die Förderung für unsere Projekte ausgesprochen. Wir haben dem widersprochen, zusammen mit anderen beratenden Bürger*innen, die bei der Ausschusssitzung anwesend waren. Vogel hat dann mit Stimmen der AfD und der CDU durchgesetzt, dass unser Antrag durch den Stadtrat entschieden werden soll, nicht durch den Kulturausschuss. Wir haben unser Projekt dann also im Stadtrat vorgestellt. Vogel hat dort wieder sehr deutlich gemacht, weshalb die AfD-Fraktion unser Vorhaben auf keinen Fall für förderwürdig hält. Er hat sich selbst als Nationalist bezeichnet und argumentiert, die Kulturraum-Richtlinie sehe unter anderem vor, Traditionen zu fördern. Veranstaltungen wie der CSD oder feministische Punk-Konzerte, also das Thema Feminismus generell, seien damit nicht vereinbar. Zehn Minuten lang mussten wir uns das anhören, niemand hat irgendetwas dazu gesagt. Der Bürgermeister hat dann eine geheime Abstimmung veranlasst, weil angeblich zwei Stadträtinnen nach dem Kulturausschuss bedroht worden seien. Er hat damit das Narrativ vom „bedrohlichen Linksextremismus“ bedient. Ab dem Punkt war mir klar, dass die Abstimmung für uns nicht gut ausgeht.
In eurer Pressemitteilung schreibt ihr, der Stadtrat habe damit den „Weg für einen Abschied von demokratischen Werten geebnet“. Was heißt das?
Lars Vogel konnte unwidersprochen nationalistische Ideen präsentieren und darlegen, was aus seiner Perspektive Tradition ist und was nicht. Das war schon krass. Wir treten klar für demokratische Werte ein und er hat sich eindeutig dagegen positioniert. Dass das einfach durch den Stadtrat so hingenommen wurde und niemand etwas dazu gesagt hat, war erschreckend. Dazu kam die geheime Abstimmung, aus unserer Sicht ohne hinreichende Darstellung der Gründe. Dies hat auch eine Stadträtin kritisch angemerkt. Die Entscheidungen eines Stadtrates sollten transparent sein, damit die Menschen wissen, wofür die von ihnen gewählten Abgeordneten stehen. Damit entfernen wir uns von der Idee der Demokratie. Ich hätte mir in der Sache einen anderen Umgang im Stadtrat gewünscht.
Welche Folgen hat diese Entscheidung für die Arbeit des NDK? Welche Projekte sind davon betroffen?
Betroffen ist unsere Soziokulturarbeit, also unser gesamtes Veranstaltungsprogramm. Außerdem ist das Konzept des offenen Hauses gefährdet, also dass wir hier jeden Tag ansprechbar sind für Menschen, die Beratung suchen, die Räume nutzen oder Sachen kopieren wollen. Dafür finanzieren wir ebenfalls Stellen über die Förderung. Kooperationsprojekte, wie zum Beispiel das für 2026 geplante „Jahr der jüdischen Kultur“, können nicht weiter von uns unterstützt werden.
Das Land Sachsen plant aktuell, die Kommunen zu stärken und Landesmittel für Gleichstellung und Demokratie ab 2026 als Pauschalen an die Landkreise und Kommunen abzugeben. Diese sollen dann selbst darüber entscheiden, an welche Träger sie die Mittel weitergeben. Wie blickt ihr auf diese Veränderung?
In den Bereichen Demokratie- und Integrationsarbeit wären Kommunalpauschalen für Sachsen sicher kein geeignetes Instrument. Nicht in der politischen Situation, in der wir uns gerade befinden. Auch in Kommunen, in denen die AfD keine Mehrheit hat, gibt es oft andere Fraktionen, die ihre Vorhaben mit unterstützen. Das erleben wir immer wieder. Für Initiativen wie unsere würde das nicht gut ausgehen. Pauschalen machen es den Kommunen leichter, denen die Förderung zu streichen, die kritisch sind. Dabei ist Kritik das, was Demokratie ausmacht. Die Landesregierung würde damit ein wichtiges Instrument aus der Hand geben.
Sie sind als Geschäftsführerin des NDK auch im Sprecher*innenrat des Netzwerks Tolerantes Sachsen vertreten und haben damit den Blick über Wurzen hinaus. Der aktuelle Haushaltsentwurf der neuen schwarz-roten Landesregierung sieht umfangreiche Fördermittelkürzungen vor, unter anderem in den Bereichen Integration, Gleichstellung und Demokratieförderung. Was bedeuten diese Pläne für die sächsische Zivilgesellschaft?
Die demokratische Zivilgesellschaft war in Sachsen finanziell noch nie besonders gut ausgestattet. Auch ohne Kürzungen können wir vor Ort maximal die Hälfte aller Anfragen zu Rechtsextremismus und Demokratie-Themen beantworten. Wenn uns jetzt Förderungen genommen werden, entsteht noch mehr Unsicherheit. Wir verlieren dadurch Fachkräfte, die anspruchsvolle Arbeit leisten und in Sachsen gut vernetzt sind. Die Kürzungspläne würden Strukturen zerstören, die über viele Jahre aufgebaut wurden. Auch ehrenamtliche Arbeit braucht eine Basis, die finanziert ist, sonst läuft es nicht. Es braucht demokratische Orte, damit Leute sich treffen und miteinander arbeiten können. Die Kürzungspläne im Bereich Integration sind besonders katastrophal. Es kann nicht sein, dass in Zeiten wie diesen an so wichtigen gesellschaftlichen Themen gespart wird und Demokratieförderung immer noch eine freiwillige Aufgabe ist. Als Zivilgesellschaft schaffen wir mit unserer Arbeit die demokratische Basis. Wenn die wegfällt, ist die Demokratie als Staatsform akut gefährdet.
Die Entscheidung des Wurzener Stadtrats scheint eine Entwicklung zu sein, die durch das Erstarken der AfD potentiell deutschlandweit droht. Was braucht es, um unersetzliche Arbeit wie die eure jetzt besser abzusichern?
Langfristig braucht es mehr Unterstützung aus der Gesellschaft, auch finanziell. Spenden und Fördermitgliedschaften würden helfen, unsere Projekte 2026 doch noch umzusetzen und unsere Arbeit darüber hinaus zu sichern. Auch Unternehmen sollten sich vor Ort stärker engagieren, auch sie sind Teil der gesellschaftlichen Basis. Auf politischer Ebene ist es wichtig, sich für den Erhalt von Förderprogrammen einzusetzen und diese auch in schwierigen Zeiten auszubauen.