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Kommentar

Wenn journalistische Differenzierung zum Verhängnis wird

Dunja Hayali. Foto: Sven Mandel (CC BY-SA 4.0), Bearbeitung: Amadeu Antonio Stiftung.

Dunja Hayali zieht sich vorübergehend zurück: Nach massiven Hassattacken hat die ZDF-Journalistin angekündigt, sich eine Auszeit zu nehmen. Auslöser war ihre Anmoderation im heute journal zur Tötung des rechtsradikalen Influencers Charlie Kirk in den USA.

Von Patrick Gensing

Hayali hatte betont, dass dessen Tod nicht zu rechtfertigen sei – auch nicht mit seinen oftmals rassistischen, sexistischen oder queerfeindlichen Aussagen. Sie versuchte, einzuordnen, dass Kirk mit seinen extremen Positionen eine große Anhängerschaft mobilisierte, aber auch Gegenreaktionen provozierte. Genau diese journalistische Differenzierung wurde ihr zum Verhängnis. Ein Kommentar.

Rechte Medien schnitten Hayalis Moderation, rissen Zitate aus dem Kontext und unterstellten ihr, den Mord zu relativieren. Einmal mehr ganz vorne dabei: das rechte Krawallmedium „Nius“.

Bedrückendes Signal

Was folgte, war eine Lawine von Hasskommentaren. Auf X, Telegram und anderen Plattformen wünschten ihr Nutzer den Tod, verglichen die Journalistin mit Goebbels oder drohten offen mit Gewalt. Diese Eskalation war nicht neu, aber diesmal zog Hayali die Notbremse: Sie kündigte öffentlich an, ein paar Tage Pause einzulegen. Ein nachvollziehbarer Schritt – und zugleich ein bedrückendes Signal, auch weil Hayali von vielen für ihren Mut und ihre journalistische Klarheit bewundert wird.

Die Attacken zeigen, wie brüchig der Schutzraum für journalistische Stimmen geworden ist, die um Differenzierung und Einordnung bemüht sind, sich nicht hinter vermeintlicher Objektivität und Neutralität verschanzen. Hayali versuchte, die gesellschaftliche Dynamik zu beleuchten, die Kirks Erfolg ermöglicht hatte. Doch der digitale Empörungsmodus duldet keine Zwischentöne. Jede Aussage, die nicht ins simple Freund-Feind-Schema passt, wird gnadenlos attackiert.

Die Folgen erleben wir seit Jahren hautnah: ein Klima, in dem sich eine Debatte außerhalb von Schutzräumen kaum noch entfalten kann. Es herrscht eine Atmosphäre, die keine geduldige Auseinandersetzung zulässt, keine Argumente, die aufeinander aufbauen. Wer sich dieser Entwicklung entgegenstellt, zahlt oft einen hohen Preis, sei es die psychische Gesundheit oder das Sicherheitsgefühl.

Längst haben sich rechtsradikale Medienaktivisten komplett auf solche Negativ-Kampagnen spezialisiert, so wie das AfD-Mitglied Patrick Kolek alias „Wuppi“, der als Stichwortgeber im rechtsradikalen Online-Mediensystem dient. Gleichzeitig sind solche Figuren auch immer eine Gefahr für die AfD, wenn Konflikte ausbrechen, Insider-Wissen ausgebreitet wird und hilfreiche Einblicke ermöglicht werden – beispielsweise über die Medienstrategie der Parteivorsitzenden.

Verlust einer demokratischen Öffentlichkeit

Hayali hat über Jahre Hass und Drohungen ertragen, oft mit Humor, mit Haltung, immer mit klarer Kante. Doch irgendwann ist Schluss. Dass sie migrantisch, queer und eine Frau ist, macht sie besonders angreifbar. Aber die eigentliche Dimension ist größer: Es geht um den Verlust einer demokratischen Öffentlichkeit, in der man streiten kann, ohne vernichtet zu werden.

Soziale Medien, einst als Marktplatz der Ideen gestartet, sind zum lukrativen Schlachtfeld geworden. Die Mechanismen sind seit Jahren bekannt: Empörung wird belohnt, Zynismus mit höhnischem Applaus honoriert. Und dieses Geschäftsmodell basiert darauf, Feindbilder aufzubauen und pausenlos zu attackieren, bis sich die betroffene Person zurückzieht oder nur noch eingeschränkt agiert.

Teile der Gesellschaft verlieren zudem angesichts der 24/7-Beschallung die Fähigkeit, Informationen und Ereignisse zu verarbeiten, daraus zu lernen. Der Modus der Empörung kennt keine Reflexion oder Erinnerung, nur emotionale Achterbahnfahrt.

Die Regeln dieses Raumes werden von wenigen, sehr mächtigen Akteuren gesetzt. Wenn der reichste Mann der Welt, Elon Musk, auf einer Demonstration von Rechtsextremen in London per Videoschalte zu einer Art Endkampf aufruft und gleichzeitig mit X eines der größten Medienunternehmen der Welt betreibt, verschieben sich die Koordinaten dramatisch. Musk profitiert doppelt: von der Radikalisierung der Debatten, die auf seiner Plattform stattfinden, und von seiner eigenen Inszenierung als angeblicher Verteidiger der Meinungsfreiheit.

Wenn robuste Stimmen aufgeben müssen

Die Entscheidung Hayalis ist daher nicht nur persönlich, sondern symptomatisch. Sie markiert den Punkt, an dem selbst robuste Stimmen kapitulieren. Und sie zeigt, wie sehr sich der öffentliche Raum verändert hat: Er gehört den Lautesten, den Rücksichtslosesten, jenen, die Drohungen nicht scheuen. Das ist eine äußerst brisante Diagnose für eine Gesellschaft, die vom offenen Austausch lebt.

Die Hetzer müssen daher als das benannt werden, was sie sind. Sie profitieren politisch und wirtschaftlich vom Hass; oft befriedigen sie mit dem Getöse das übergroße fragile Ego. Medienhäuser, Redaktionen und Sender müssen zudem weit mehr tun, als intern Betroffenen Beileid oder Verständnis zu bekunden. Sie müssen sich uneingeschränkt, klar und sichtbar vor ihre Mitarbeitenden stellen, nicht erst, wenn es zu spät ist. Entweder schützen wir den öffentlichen Raum für differenzierten Journalismus oder wir verlieren ihn. Die Erosion ist bereits weit fortgeschritten.

Der Artikel erschien ursprünglich bei Belltower.News.

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