Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Ausstellung des Vereins „Reistrommel“ über ehemalige DDR-Vertragsarbeiter

Vietnamesiche Vertragsarbeiter vor einem Wohnheim in Magdeburg


Auf Initiative des Berliner Vereins Reistrommel entsteht eine Ausstellung, die an die Schicksale der ehemaligen Vertragsarbeiter in der DDR erinnert. Eine längst überfällige Aufgabe, findet die Amadeu Antonio Stiftung – und unterstützt das Vorhaben zusammen mit der stern-Aktion „Mut gegen rechte Gewalt“.

„Ich hatte große Erwartungen an die DDR“, erinnert sich Monique Huyen Luft. In ihren Vorstellungen war das kleine Land schön und ordentlich – das musste ja so sein, schließlich war die DDR viel weiter entwickelt als ihr Heimatland Vietnam. Doch als sie im Februar 1987 auf dem Flughafen Berlin Schönefeld landete, kam der Schock: Überall wirbelten weiße Flocken durch die Luft. „Ich dachte, Verpackungsmaterial aus einer Fabrik würde die Erde bedecken“, erzählt Monique. „Auch die Bäume hatten keine Blätter; ich dachte, sie seien alle abgestorben“. Erst am nächsten Tag erfuhr sie, dass es Winter war, und die weißen Flocken Schnee. Eine kalte, weiße Jahreszeit kannte sie aus Vietnam nicht.

Monique ist eine von insgesamt schätzungsweise 60.000 ehemaligen Vertragsarbeitern aus Vietnam, die seit den 1980er Jahren im Rahmen der „sozialistischen Bruderhilfe“ in den Arbeiter- und Bauernstaat geholt wurden. Weitere Arbeitskräfte, allerdings in weitaus geringerer Zahl, kamen aus Angola, Mosambik, Kuba und anderen Ländern. Was sie in der DDR erwarten würde, wussten die allermeisten nicht, denn weder ihre Heimatländer noch die DDR hatten sie auf die dortigen Lebens- und Arbeitsbedingungen vorbereitet. „Das Thema Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter war in der DDR mit einem Tabu belegt“, weiß Linda Förster zu berichten. Die Sozialpädagogin hat die Lebens- und Arbeitsbedingungen kubanischer Vertragsarbeiter wissenschaftlich untersucht. Verlässliche Zahlen über angeworbene Arbeiter, so Förster, seien mit Vorsicht zu genießen, da die bilateralen Regierungsabkommen zwischen der DDR und den entsprechenden Ländern bis kurz vor der Wende geheim gewesen seien und eine Forschung in diesem Bereich sei nicht erlaubt gewesen.

Strenge Überwachung durch die Stasi

„Glück und Friede sei beschieden Deutschland, unserm Vaterland. / Alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern eure Hand.“ So heißt es in der zweiten Strophe der Hymne der DDR. Doch das offizielle, von der SED nach außen propagierte Bild von „Solidarität mit den Bruderländern“ hatte mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun. Keine Spur von Solidarität und Gleichheit, die in zahlreichen Liedern und Parteireden propagiert wurden. Die zumeist jungen Vertragsarbeiter hatten kaum Rechte und lebten isoliert von der DDR-Bevölkerung in Wohnheimen. Eine Integration in die DDR-Gesellschaft war ohnehin nicht erwünscht, der Arbeitsaufenthalt auf drei bis fünf Jahre befristet. Ihren Lohn durften die Arbeiter nur teilweise ausgeben, der Großteil sollte für die Heimreise gespart werden. Der riesige Spitzelapparat, den das Ministerium für Staatssicherheit wie ein großes Spinnennetz über das kleine Land ausgebreitet hatte, machte auch vor den „Gästen“ nicht halt – die Vertragsarbeiter wurden streng überwacht. Beziehungen der Arbeiter untereinander waren nicht gern gesehen. Bei Schwangerschaften gab es zwei Alternativen: entweder musste abgetrieben werden, oder eine vorzeitige Heimkehr mit drohenden weiteren Sanktionen wurde unausweichlich.

Außerdem waren die Vertragsarbeiter nicht selten fremdenfeindlichen Äußerungen und sogar Übergriffen ausgesetzt. Einen traurigen Höhepunkt dieser rassistischen Anfeindungen stellten die Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen dar, knapp zwei Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung. Die pogromartigen Ausschreitungen gegen vietnamesische Asylbewerber, deren Wohnhaus im August 1992 von einer Gruppe Neonazis unter dem Applaus hunderter Schaulustiger in Brand gesteckt wurde, waren nur die Spitze eines Eisbergs, der Jahre vor dem Mauerfall schon zu wachsen begann.

Der Betriebsausweis von Augusto Jone Munjunga (Quelle: A. J. Munjunga)

Pogromartige Stimmung in den neunziger Jahren

Als die DDR 1989 zusammenbrach, war plötzlich niemand mehr für die Vertragsarbeiter zuständig. Die Herkunftsländer waren nicht auf ihre Rückkehr eingerichtet, und die Betriebe der DDR entließen die ausländischen Arbeiter – oft auf Druck von Seiten der deutschen Arbeitnehmer – als erste. Nicht einmal in den Wohnheimen konnten sie bleiben, die Zimmer wurden ihnen gekündigt. Erst nach sieben Jahren konnte für ca. 20.000 ehemalige Vertragsarbeiter ein Bleiberecht in Deutschland errungen werden, während die übrigen Betroffenen in ihre Herkunftsländer zurückkehren mussten.

Für diejenigen, die blieben, begann eine unsichere, mitunter auch gefährliche Zeit: Unsicher, weil es in den wirtschaftlich ohnehin schwierigen neunziger Jahren alles andere als einfach war, einen Job zu finden. Gefährlich, weil die während der DDR-Herrschaft noch versteckte Feindseligkeit gegenüber Migranten nach der Wende in offenen Hass umschlug, der sich unter anderem, aber nicht nur, aus dem tiefen Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung speiste. „Bei unseren Recherchen in Magdeburg erinnerten sich ehemalige Vertragsarbeiter an die pogromartige Stimmung“, erzählt Susanne Harmsen. Im Spätherbst 1989 musste die Polizei regelmäßig vor einigen Betrieben patroullieren, um die Migranten vor Übergriffen zu schützen. Die Vietnamesen wurden damals sogar mit Bussen direkt zur Arbeitsstelle gebracht, damit sie dort unversehrt ankamen.

Jan Schwab

 

Weiterlesen

Nickolas(3)
Interview

Schule, aber rechts: Was tun gegen rechtsextreme Schüler*innen und Eltern?

Vor wenigen Tagen warnten die Schülervertretungen aller ostdeutschen Bundesländer vor wachsenden Rechtsextremismus. Inzwischen belegen auch Zahlen aus den Ländern diesen Eindruck: Nicht nur
im Osten haben sich rechtsextreme Vorfälle an Schulen vervielfacht. Rechtsextreme Cliquen auf dem Schulhof, Hakenkreuzschmierereien im Klassenzimmer und überforderte Lehrer*innen mittendrin. Was tun? Unser Kollege Benjamin Winkler klärt auf.

Mitmachen stärkt Demokratie

Engagieren Sie sich mit einer Spende oder Zustiftung!

Neben einer Menge Mut und langem Atem brauchen die Aktiven eine verlässliche Finanzierung ihrer Projekte. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung für Demokratie und Gleichwertigkeit.