Nach Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hat die Amadeu Antonio Stiftung ihre Kritik an dem Gesetz erneuert. Das Gesetz erreicht in der derzeitigen Form nicht, was es vorgibt zu leisten.
Das Gesetz zielte auf die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung im Falle strafbarer Hassinhalte ab. Dabei wurde die Entscheidung über die Strafbarkeit von Inhalten mit dem Gesetz an die Unternehmen übertragen und damit eine hoheitliche Rechtsdurchsetzung privatisiert. Die angestrebte Verbesserung der Strafverfolgung im Kontext strafbarer Hassinhalte wurde damit nicht spürbar verbessert, im Gegenteil: Seit Inkrafttreten des Gesetzes zu Jahresbeginn bewahrheitet sich, dass die Netzwerkbetreiber*innen angesichts drohender Bußgelder vermehrt Beiträge löschen, die nicht eindeutig strafbar oder als Satire zu verstehen sind.
Damit bewahrheiten sich die zentralen Kritikpunkte, die die Amadeu Antonio Stiftung bereits im April 2017 zum Entwurf des Gesetzes formuliert hatte:
Die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung unter Androhung von Bußgeldern führt zu vorschnellem Löschen von Beiträgen und gefährdet damit eine digitale Debattenkultur.
Die Vorgabe extrem kurzer Bearbeitungszeiten verhindert eine adäquate Prüfung der Inhalte und öffnet dem Missbrauch von Beschwerden Tür und Tor.
Durch die Abgabe der Rechtsdurchsetzung entzieht sich der Staat seiner Aufgabe, den Betroffenen ein angemessenes Gehör zu gewähren.
Durch schnelles Löschen von Beiträgen ist in der Praxis von einer erschwerten Strafverfolgung auszugehen.
Die vollständige Stellungnahme der Stiftung zur Kritik am NetzDG findet sich unter https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/stellungnahme_netzdg
Da sich abzeichnet, dass das NetzDG durch die derzeitigen Koalitionsparteien nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, appelliert die Amadeu Antonio Stiftung an die Verhandlungsparteien, bei der praktischen Umsetzung nachzuarbeiten.
In einem Rechtsstaat sollten private Unternehmen nicht selbstständig darüber entscheiden, welche Äußerungen erlaubt sind und welche nicht. Daher sollten die Netzwerkbetreiber*innen die Möglichkeit erhalten, Zweifelsfälle an rechtsstaatlich zuständige Stellen zu übergeben, ohne dass dabei ein Bußgeld wegen verzögerter Bearbeitung von Meldungen droht. Dazu braucht es mehr fachlich ausgebildetes Personal bei Polizei, Gerichten und Staatsanwaltschaften und eine verbesserte Zusammenarbeit aller staatlicher Stellen auf Bund-, Länder- und Kommunalebene.
Neben der Bekämpfung des Symptoms Hassrede sollten sich staatliche Anstrengungen, ebenso wie die der Netzwerkbetreiber*innen, stärker an einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den Ursachen für Hass im Netz orientieren. Dazu gehört die Stärkung einer digitalen Zivilgesellschaft ebenso wie die Investition in digitale Bildung und Online Streetwork sowie eine Verankerung von Inhalten zur digitalen demokratischen Bildung in Schul- und Erwachsenenbildung.