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Angolanische Vertrags- arbeiter*innen in der DDR

Angolanische Vertragsarbeiter*innen in der DDR

Bis zur Wende wohnten 90.000 ausländische Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Sie wurden als Arbeitskräfte aus sozialistischen „Bruderländern“ rekrutiert. Rund 6.000 von ihnen kamen aus Angola – wie Amadeu Antonio. Ihnen wurden gute Ausbildungen und ordentlich bezahlte Jobs versprochen. Doch die Realität sah häufig anders aus. Bis heute kämpfen viele um ihre Löhne von damals.

 

106 Angolaner*innen kommen am 3. August 1987 in die Deutschen Demokratischen Republik, als Vertragsarbeiter*innen aus dem sozialistischen Bruderland. Einer von ihnen ist ein junger Mann namens Amadeu Antonio. Der 24-Jährige hat Träume, will Flugzeugtechnik studieren. Doch wie bei vielen Vertragsarbeiter*innen in der DDR bleibt der Traum lediglich ein Traum. Statt zu fliegen muss er Fleisch zerteilen. Drei Jahre später wird er von Neonazis ermordet.

Angolanische Vertragsarbeiter im Wasserwerk Eberswalde (1980). Foto: Christian Fenger

Die Hoffnung: Ausbildung, Job, Sicherheit

 

Der Umzug in die DDR ist für Antonio verheißungsvoll: In seinem Heimatland herrscht seit 1975 Bürgerkrieg, als Angola sich von der Kolonialmacht Portugal befreite und Unabhängigkeit erlangte. Erst mehrere Jahrzehnte später, im Jahr 2002, wird in seiner Heimat wieder Frieden einkehren. Ein Leben in der DDR bietet angolanischen Vertragsarbeiter*innen wie Antonio nicht nur eine Ausbildung und einen Job, sondern auch Sicherheit. Theoretisch zumindest.

 

1979 schließt die DDR ein Abkommen über die „zeitweilige Beschäftigung ausländischer Werktätiger“ mit der Volksrepublik Mosambik, ebenfalls ein sozialistisch regiertes Land mitten in einem Bürgerkrieg. 1985 folgt Angola. So kommen rund 6.000 Angolaner*innen und 21.000 Mosambikaner*innen als Arbeitskräfte in die DDR als Arbeitskräfte. Sie sind überwiegend männlich, meistens unter 35 Jahre alt.

Die DDR-Regierung schließt ähnliche Arbeitsabkommen mit zahlreichen anderen sozialistischen „Bruderländern“ – wie Vietnam, Algerien und Kuba, aber auch europäischen Ländern wie Polen und Ungarn. Ihr Arbeitseinsatz ist durchweg staatlich organisiert: Die Vertragsarbeiter reisen in Gruppen an, einzelne Vertragsaushandlungen zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen gibt es nicht.

Der Austausch wird als Win-Win-Situation vermarktet: Wirtschaftlich und technologisch schwächere Länder könnten so ihre Bürger*innen ausbilden lassen, die DDR bekäme im Gegenzug zeitlich befristete Arbeitskräfte für die steigende Produktion. So lautete zumindest die offizielle Begründung. Nach ungefähr fünf Jahren sollten die Vertragsarbeiter*innen wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Ein zynischer Akt der sozialistischen Solidarität: Denn die Vertragsarbeiter*innen selbst gehören bei solchen Deals nie zu den Gewinner*innen.

 

Bis zur Wende 1989 sind noch 90.000 Vertragsarbeiter*innen in der DDR beschäftigt. Sie machen die Hälfte aller Ausländer*innen im Land aus. Ihre Lebensbedingungen unterscheiden sich, je nachdem, was ihre Regierungen mit der DDR ausgehandelt haben. Manche dürfen studieren, andere bekommen lediglich einfache Hilfsarbeiten zu billigen Löhnen.

Vor dem Wohnheim in Eberswalde. Foto: Christian Fenger

Abgeschottet von der Gesellschaft

 

Angolanische Vertragsarbeiter*innen stehen besonders schlecht da: Ihnen werden nach Ankunft in der DDR die Pässe abgenommen. Ihre Jobs sind körperlich schwer: Viele müssen in Fleischereien arbeiten, andere werden Schlosser. Auf der Arbeit werden sie ständig nur geduzt, mit Vornamen angesprochen, im Gegenteil zu ihren deutschen Kolleg*innen. Sie müssen aber stets ihre Dankbarkeit zeigen: Denn ein sofortiger Kündigungs- und Abschiebegrund ist ein kaum näher definierter „Verstoß gegen die sozialistische Arbeitsdisziplin“.

 

Diese ostdeutschen Gastarbeiter*innen leben in gesonderten Wohnheimen an wichtigen Produktionsstandorten und in industriellen Ballungszentren wie Chemnitz, Dresden und Erfurt – abgeschottet vom Rest der Gesellschaft. Bis zu vier Menschen wohnen in jedem Zimmer, getrennt nach Geschlecht. Selbst Ehepaare haben keinen Anspruch auf ein gemeinsames Zimmer. Die An- und Abwesenheit der Vertragsarbeiter*innen wird am Einlass des Wohnheims ständig protokolliert.

Im „Hüttengasthaus“: Einer der wenigen Orte, an dem sich die Vertragsarbeiter ungestört treffen konnten. Foto: Christian Fenger

Nicht gern gesehen, Kontakt unerwünscht

 

Wer außer Haus übernachten oder einen Übernachtungsgast haben möchte, muss dies bei der Leitung des Wohnheims beantragen. Eine eigene Wohnung dürfen die Vertragsarbeiter*innen nicht mieten. Auch heiraten sollen die ausländischen Vertragsarbeiter*innen nicht: Eine Eheschließung zwischen DDR-Bürger*innen und Ausländer*innen bedarf einer Genehmigung beider Staaten. Wer schwanger wird, muss entweder abtreiben oder in das Heimatland zurückkehren. Zu den einheimischen Deutschen sollen die Vertragsarbeiter*innen möglichst wenig Kontakt haben. Nur in der Kirche, in der Kneipe und auf der Straße haben sie die Möglichkeit, auf DDR-Bürger*innen zu treffen. Doch solche Begegnungen sind oft von Rassismus geprägt, in Gaststätten sind sie nicht gerne gesehen.

Antonio wird ein Wohnheim im brandenburgischen Eberswalde zugewiesen – schon damals eine Hochburg der rechtsextremen Szene. Sein neues Zuhause ist ein fünfgeschossiger Plattenbau mit blauer Fassade. Schnell muss er feststellen, dass aus seinem Traumjob als Flugzeugtechniker nichts wird: Die Ausbildung wird von der DDR-Verwaltung nicht gestattet. Stattdessen wird er zum Fleischer ausgebildet – wie viele Angolaner*innen. Nach seiner Ausbildung arbeitet er im VEB Schlacht- und Verarbeitungskombinat Eberswalde, einem der größten Fleischverarbeitungsbetriebe Europas. Dort zerteilt er Schweine, nimmt sie aus – zusammen mit den anderen 105 Angolaner*innen, mit denen er angereist ist.

 

Bis heute um den Lohn geprellt

 

Von dem erhofften Lohn bleibt wenig übrig: Wie bei vielen Vertragsarbeiter*innen wird nur ein Bruchteil des Gehalts ausgezahlt, der Rest geht an die Heimatregierung – manchmal, um Schulden der DDR zurückzuzahlen, manchmal angeblich, um den Aufbau des Heimatlandes zu finanzieren. So dürfen Mosambikaner*innen nur 40 Prozent ihres Lohnes behalten, den Rest sollen sie nach ihrer Rückkehr erhalten. Auch angolanischen Vertragsarbeiter*innen wird mit dieser Begründung ein Großteil ihres Lohnes abgezogen. Doch davon werden die meisten Rückkehrer*innen nie wieder etwas sehen. Bis heute kämpfen ehemalige Vertragsarbeiter*innen vor Gericht in Angola für eine Auszahlung ihres Gehalts.

Der ruhige Antonio macht trotzdem das Beste aus seiner Situation: Er will ein Leben in Eberswalde aufbauen, eine Familie mit seiner Freundin gründen – trotz allen Einschränkungen. Dann fällt die Mauer – und damit steht auch Antonios Zukunft auf der Kippe. Denn nach der Wende versucht die neue, gesamtdeutsche Bundesregierung, die Verträge der ostdeutschen Gastarbeiter*innen aufzulösen. Bleiben dürfen sie nicht, nur in Ausnahmefällen werden Aufenthaltsgenehmigungen verlängert. Erst im Jahr 1997 beschließt die Bundesregierung ein dauerhaftes Bleiberecht für Vertragsarbeiter*innen – aber nur unter bestimmten Bedingungen.

 

Und die, die bleiben können, erleben eine pogromartige Stimmung im wiedervereinten Land: In Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Mölln fliegen Molotowcocktails gegen Unterkünfte von Asylbewerber*innen und Wohnhäuser von Migrant*innen. Rechtsextreme Straßenbanden jagen Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen. Diese Zeit wird später als „Baseballschläger-Jahre“ in die Geschichte gehen.

Vor dem Wohnheim in Eberswalde. Foto: Christian Fenger
Amadeu Antonio Gedenktafel - Foto von Robert

Erschlagen vom Nazi-Mob, während die Polizei zusah

Eine Gruppe aus 50 rechtsextremen jungen Erwachsenen jagte den jungen Amadeu Antonio in der Nacht zum 25. November 1990 durch Eberswalde. Die Polizei beobachtet das Szenario und greift nicht ein. Am 6. Dezember verstarb der Angolaner. Ein Rückblick auf den Mord.

Am 24. November 1990 geht Amadeu Antonio mit zwei Freunden aus Mosambik abends in die Gaststätte „Hüttengasthaus“ – einen der wenigen Orte in Eberswalde, wo ausländische Vertragsarbeiter*innen willkommen sind. Draußen rufen 50 Nazis rechtsextreme Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Der Gastwirt bittet Antonio und seine Freunde heraus, wo der aufgezeigte Mob bewaffnet mit Zaunlatten und Baseballschlägern auf sie wartet. Seine Begleiter können schwer verletzt fliehen. Antonio wird vom Mob verfolgt, dann ins Koma geprügelt. Elf Tage später, am 6. Dezember 1990, stirbt er. Er ist eines von sieben Todesopfer rechtsextremer Gewalt im Jahr 1990. Im Jahr darauf kommen acht weitere ums Leben, 1992 sind es 27 Menschen.

 

Antonios Schicksal ist beispielhaft für die Leben vieler Vertragsarbeiter*innen aus Angola und Mosambik. Wer überlebt hat, kämpft oft bis heute um Gerechtigkeit und um die Anerkennung der ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse in der DDR. Amadeu Antonio hat diese Chance nicht mehr gehabt.

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