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Analyse: Was sich aus der Bundestagswahl lernen lässt

Grafik: Costamiri (CC BY-SA 4.0), Datenbasis: Open-Data-Angebot der Bundeswahlleiterin

Deutschland hat gewählt und das mit einer so hohen Wahlbeteiligung wie selten zuvor: Mehr als 82,5 % der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Doch davon profitiert vor allem eine Partei, die zutiefst antidemokratisch ist. 20,8 % der Wahlberechtigten – jede*r Fünfte – in Deutschland wählen eine rechtsextreme Partei. In Zahlen sind das mehr als zehn Millionen Menschen.

Von Lorenz Blumenthaler und Robert Lüdecke

Umgekehrt heißt dieses Ergebnis auch: Vier von fünf Wahlberechtigten wollen diese Rechtsextremen nicht im Parlament. Die Bildung einer gemeinsamen Regierungskoalition mit der AfD finden mehr als zwei Drittel der Bevölkerung nach wie vor nicht akzeptabel.

Bundesweit über 20 % – und in Ostdeutschland rund 34 % – für die AfD sind eine reale und ganz konkrete Bedrohung für die Demokratie. Aber: Im Laufe eines Wahlkampfs, in dem ihr Kernthema Migration das alles bestimmende Thema war, konnten die Rechtsextremen kaum noch mehr zulegen.

Der Westen legt zu, der Osten noch extremer

Die rechtsextreme Landnahme schreitet voran: Während die AfD ihr Ergebnis gegenüber der letzten Bundestagswahl bundesweit auf 20,8 % verdoppeln konnte, sticht der Osten besonders hervor/ist sie im Osten flächendeckend stärkste Kraft.

In Thüringen holt sie 38,6 % (7 von 8 Direktmandaten), in Sachsen 37,3 % (16 von 16 Direktmandate), Sachsen-Anhalt holt sie 37,1 % (8 von 8 Direktmandaten), in Mecklenburg-Vorpommern 35 % (6 von 6 Direktmandaten), in Brandenburg 32,5 % (9 von 10 Direktmandaten).

Am äußersten östlichen Rand, in Grenznähe, holt die AfD beinahe allein die Mehrheit: Die blauen Hochburgen sind Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (49,1 %), dicht gefolt von Görlitz (48,9 %) und Bautzen I (48,3 %).

Aktuelle Erfahrungen mit der wirtschaftlichen Transformation und Arbeitslosigkeit wecken Erinnerungen an die Nachwendezeit. Mangelnde Erfahrungen der politischen Selbstwirksamkeit, ungenügend bearbeiteter Rechtsextremismus und ein Gefühl der politischen Entfremdung öffnen Tür und Tor für rechtsextreme Erfolge.

Ein Ostproblem?

Keineswegs. Die AfD verzeichnet auch in Westdeutschland hohe und wachsende Zustimmungsraten. Die Ursachen für die AfD-Unterstützung liegen vor allem in der Entfremdung von den etablierten Parteien, einem Gefühl politischer Ohnmacht und einer über Jahre gepflegten Mischung aus Demokratiefeindschaft und Menschenfeindlichkeit.

Die AfD-Hochburgen im Westen sind Gelsenkirchen (24,7 %) und Kaiserslautern (25,9 %). Zwar hat es dort nicht für Direktmandate gereicht, stärkste Zweistimmen-Partei sind die Rechtsextremen dort trotzdem.

Besonders mit Blick auf Direktmandate bleibt die Frage, wer eigentlich wen jetzt noch im Bundestag vertritt. Zwar können die demokratischen Parteien über die Zweitstimmen noch zahlreiche Abgeordnete entsenden – und die AfD kann gar nicht alle Direktmandate besetzen, weil ihnen in manchen Ländern der Zweitstimmenanteil dafür fehlt. Trotzdem sind es vor allem Rechtsextreme, die im Namen eines ganzen Wahlkreises im Bundestag sitzen. Politik für alle? Vertretung von Minderheiten, Marginalisierten oder jenen, die die Rechtsextremen als politische Gegner*innen betrachten? Fehlanzeige.

Eine Brandmauer wieder aufzubauen, das scheint utopisch. Gerade deshalb braucht es jetzt noch in viel größerem Umfang praktische Solidarität und die Unterstützung für die Menschen vor Ort, die sich mit dem rechtsextremen Mainstream nicht abfinden wollen.


Spenden Sie jetzt, damit die Amadeu Antonio Stiftung unerschütterlich an der Seite der Engagierten und Betroffenen vor Ort stehen kann!

Stärke der Rechtsextremen durch Schwäche der Demokrat*innen

Die AfD saugt mit ihrem radikal-populistischen Kurs politische Unzufriedenheit auf wie ein Schwamm. Vor allem in Ostdeutschland scheinen rechtspopulistische Regierungskritik, die von Desinformation und Untergangsrhetorik bestimmt sind, und die Diffamierung demokratischer Akteure in Politik und Zivilgesellschaft zu verfangen.

Im Glauben, Wähler*innen zurückzugewinnen, haben demokratische Parteien die AfD in Teilen imitiert. Nicht nur, dass sie ihre Themen übernommen haben und die Themen innere Sicherheit, Asyl und Migration vermischt haben. Auch in ihrer Rhetorik und ihren politischen Forderungen haben sie sich spürbar verschärft.

Ein Etappensieg für die Rechtsextremen, ganz ohne eigenes Zutun. Denn eingezahlt hat das letztlich nur auf das Original, die AfD, die das Thema Migration von Beginn als „Markenkern“ im Wahlkampf in den Vordergrund stellte.

Die gemeinsame Abstimmung von CDU, CSU, FDP und AfD im Bundestag war das formelle Ende der ohnehin löchrigen Brandmauer.

Menschenfeindliches Agenda Setting

Islamistische Attentate durch Asylsuchende verdrängten im Wahlkampf zeitweise alle anderen Themen an den Rand, besonders im Schlussspurt. Die Verengung auf das Thema Migration spielte der AfD in die Karten.

Den Rechtsextremen wurden hier wachsende Problemlösungskompetenzen seines der Wähler*innen zugeschrieben, während die anderen Parteien dazu beitrugen, dass das Thema auch wirklich als größtes Problem wahrgenommen wurde. Nur wenige demokratische Politiker*innen hinterfragen noch rechte Narrative und Kampfbegriffe wie „irreguläre Migration“.

Wo andere Parteien noch versuchten, weitere Themen zu setzen, stilisierten die Rechtsextremen Fragen nach der gesellschaftlichen Transformation zum „Kulturkampf“.

Mehr Zustimmung bedeutet mehr Menschenfeindlichkeit

Für Betroffene von Rassismus und demokratisch Engagierte insbesondere in Ostdeutschland ist das Wahlergebnis ein Albtraum. Auch wenn der Versuch der Union, der AfD Stimmen abzujagen, indem sie deren Positionen übernehmen, nicht geklappt hat: Die mutmaßlich neue Regierungspartei und die größte Oppositionspartei des deutschen Bundestages sind sich darin einig, dass Doppelstaatler*innen – und damit Menschen mit Migrationsgeschichte – Bürger*innen zweiter Klasse sind. Menschenfeindlichkeit wird so, langsam aber sicher, salonfähig.

Auch demokratisch Engagierte, die bereits während des Wahlkampfs immer wieder Opfer von Gewalt, Bedrohungen und organisierten Diffamierungskampagnen wurden, geraten weiter unter Druck. Das wird in den nächsten vier Jahren nicht besser werden.

Gerade deshalb brauchen diese Menschen mehr als warme Worte, sie brauchen unsere praktische Solidarität. Wir müssen die Demokratie auch direkt vor Ort schützen. Minderheitenrechte sind Grundsatz unserer Demokratie, auch daran gilt es eine neue Bundesregierung zu erinnern.

Großer Zuwachs bei jungen Menschen

Viele Jugendliche, besonders in schwierigen sozialen Lagen, erleben ein großes Gefühl der Verunsicherung und des „Vergessenwerdens“. Von der Corona-Pandemie bis hin zu aktuellen Krisen wie dem Krieg in der Ukraine. Diese Jugendlichen fühlen sich mit ihren Ängsten, Unsicherheiten und Bedürfnissen von Politik und Gesellschaft nicht ausreichend gehört.

In solchen Situationen ist es ein Leichtes für Rechtsextreme, mit einfachen Lösungen und populistischen Versprechungen Anklang zu finden. Wer das bevorzugte Soziale Netzwerk öffnet, kann sich dem nicht entziehen: Wenn dir ein Maximilian Krah erklärt, dass du bei „linken Lehrern“ einfach auf Durchzug stellen sollst, konservative Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit dir Erfolg in Beruf und Familie versprechen und eine bockige Weidel, die Journalist*innen Antworten auf kritische Fragen verweigert, und es „den Medien damit richtig zeigt“ – dann verfängt das in jugendlichen Lebenswelten. Vor allem dann, wenn Algorithmen rechte Hetze ungefragt in jeden Feed spülen, weil negative Emotionen durch die Plattformen belohnt werden.

Wie geht es jetzt weiter?

Die CDU ist in der Verantwortung, eine Regierung zu bilden. Das muss schnell gehen, denn der Rest der Welt wartet nicht auf Deutschland. Gleichzeitig muss die neue Regierung stabile demokratische Mehrheiten schaffen, die Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen und in der sich möglichst viele Menschen gehört und vertreten fühlen.

Keine Zusammenarbeit mit rechtsextremen Parteien, das bleibt der Minimalkonsens, an der auch die Arbeit einer neuen Regierung zu messen sein wird. Zwei Drittel der Deutschen sind nach wie vor gegen eine Koalition mit der AfD.


Unterzeichnen Sie jetzt die Petition der Amadeu Antonio Stiftung für die Koalitionsverhandlungen: Regierung in der Pflicht: Demokratie verteidigen!


Wenn der – mitunter erbittert und auf dem Rücken von Minderheiten ausgetragene – Wahlkampf eine Sache gezeigt hat, dann dass Demokratie von Kompromissen lebt. Es darf nicht sein, dass Zustimmung zu Maximalforderungen erpresst wird, indem gedroht wird, anderenfalls gemeinsame Sache mit Demokratiefeinden gemacht wird. Wer auf diese Mittel zurückgreift, bedient sich der antidemokratischen Politik eines Donald Trump und setzt die Kettensäge an das Fundament demokratischer Gesellschaften.

Der Wind wird rauer, wir bleiben stabil

Die nächsten vier Jahre werden entscheidend. Jede Form von Normalisierung rechtsextremer Politik öffnet den Raum für weitere Radikalisierung, gefährdet unsere Demokratie und führt zu noch mehr Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen von Hass und Hetze. Für Betroffene ist die Situation bereits jetzt prekär. Viele Menschen haben berechtigte Ängste, sehen keine Zukunftsperspektive mehr für sich und ihre Familien.

Doch wenn andere laut werden, müssen wir noch viel, viel lauter werden. Wir als Amadeu Antonio Stiftung stehen nach wie vor an eurer Seite und kämpfen weiterhin dafür, Minderheiten zu schützen und die Demokratie zu verteidigen. Ganz egal, wie rau der Gegenwind wird. Doch dafür brauchen wir nicht nur Demokrat*innen, sondern auch eure Unterstützung.

Wer sich, so wie wir, mit den Wahlergebnissen nicht einfach so abfinden will, unterschreibt unsere Petition „Regierung in der Pflicht: Demokratie verteidigen!“. Damit richten wir uns schon jetzt an eine mögliche neue Koalition.

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