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Interview

Anetta Kahane zum Abschied: „Ich bin total stolz auf die Amadeu Antonio Stiftung!“

Anetta Kahane. Foto: Ivo Mayr / Correctiv

Diese starke Frau ist für alle, die mit ihr arbeiten, ein Schatz und eine Inspiration, und den Nazis in Deutschland macht sie Angst. Anetta Kahane bringt Menschen zum Nachdenken – und zum Handeln. Heute übergibt sie den Vorstand der Amadeu Antonio Stiftung in neue Hände.

Um zu erkennen, wie erfolgreich ihre Arbeit ist, reicht es, ihren Namen zu googeln – denn zum Meme, zur Verkörperung sämtlicher rechtsextremer Feindbilder kann nur werden, wer viel richtig macht im Kampf gegen Rechtsextremismus und für eine demokratische Kultur. Heute endet eine Ära: Anetta Kahane hat 1998 die Amadeu Antonio Stiftung gegründet, um zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu unterstützen. Heute übergibt sie den Vorstand in neue Hände. Zeit für eine Bilanz.

Anetta, 1998 hast Du die Amadeu Antonio Stiftung gegründet. Wie blickst Du heute auf Dein Werk, auf die Stiftung?

Aber das ist doch nicht mein Werk! Die Stiftung ist doch das Werk von allen, die hier arbeiten, von diesem tollen Team, das heute die Amadeu Antonio Stiftung ist. Ich habe vielleicht den Spirit dazu beigetragen. Wert auf intellektuelle Beweglichkeit gelegt, die Fähigkeit gefördert, Probleme zu nehmen und sie von allen Seiten zu betrachten, in all ihrer Komplexität wahrzunehmen und dann so zu handeln, dass alle Aspekte bedacht werden. Also ehrlich, ich bin total stolz auf die Stiftung. Was wir alles zusammen geschafft haben! Ich bin so zufrieden und begeistert darüber, was aus der Stiftung geworden ist. Auch wenn ich das natürlich nicht ahnen konnte, als ich 1998 angefangen habe. Ich freue mich, dass die Stiftung eine Anziehung ausübt auf Menschen, die engagiert sind, klug, und die Menschen gernhaben. Die sich viele Gedanken machen, nicht ideologisch auf Themen zugehen, sondern überlegen und auch prüfen: Wie wirkt das eigentlich, meine Idee gegen Rechtsextremismus? Funktioniert das? Wir sind Menschen, die wütend sind, wenn Nazis andere angreifen und verletzen, aber die die Wut nutzen, um die Menschen zu verteidigen, die sonst Opfer werden, damit alle hier zusammen möglichst großartig zusammenleben können. Menschen, die aber auch dabeibleiben, wenn es komplex wird, unbequem, wenn es Gegenwind gibt. Natürlich machen das nicht nur wir, das müssen wir ja mit vielen Ansätzen und Organisationen machen. Aber ich bin da natürlich klar parteiisch: Mein Baby kann das am besten!

Wenn wir kurz beim Baby-Bild bleiben: Wie ein Baby hat Dir die Stiftung ja auch viel Arbeit gemacht. Hat sich das gelohnt?

Naja, mein Baby ist jetzt 24 Jahre alt, es studiert und gedeiht! Scherz beiseite: Wenn es die Stiftung nicht gegeben hätte, wäre so Vieles nicht so zustande gekommen in der Arbeit gegen Rechtsextremismus, wie wir es heute erleben. Allein dass wir jetzt Bundesprogramme haben, die den Fokus auf die Zivilgesellschaft und ihre Expertise legen, wenn es um Demokratiestärkung geht! Wir haben als Amadeu Antonio Stiftung so oft angefangen, über Themen zu sprechen. Wer wollte denn in den 1990ern ernsthaft über Rechtsextremismus reden? Rechtsextremismus als Gefahr ernstnehmen? Wer wollte in der Welle der Internetbegeisterung in den frühen 2000er Jahren über Hass im Netz reden, obwohl Menschen bedroht und zum Schweigen gebracht wurden? Wer wollte darüber reden, dass Antisemitismus nichts Historisches ist, sondern immer noch erschreckend lebendig? Wo man doch schon die Gedenkstätte in Auschwitz besucht hatte, reicht das denn nicht?

Ernsthaft über Rassismus, über den strukturellen und alltäglichen, sprechen wir auch erst seit wenigen Jahren. Ich glaube, dass es ein Verdienst der Stiftung ist, dass wir über diese Themen sprechen, aber darüber hinaus auch in Handeln kommen. Dass wir diese Themen in die Breite der Gesellschaft tragen, weit über die Blase der Aktivist:innen und Betroffenen hinaus – weil es nötig ist und nur in der Breite der Gesellschaft wirkungsvoll zu bearbeiten ist.

Dabei ist die Stärke unserer Stiftung immer gewesen, dass wir einerseits operativ arbeiten, also Dinge selbst ausprobieren, und andererseits unsere Erfahrungen weitergeben und zu inspirieren versuchen, indem wir Projekte in ganz Deutschland fördern. Wobei auch in der Projektförderung immer zu unserem Erfolg beigetragen hat, dass wir selbst wissen, wie Projektarbeit ist, welche Fallstricke es gibt, dass wir Verständnis haben für die Lage der Zivilgesellschaft vor Ort – dass es also bei uns ja nie darum geht, nur Kohle abzugreifen, sondern gemeinsam an einer Sache zu arbeiten, voneinander zu lernen. Zum Erfolgsrezept gehört natürlich außerdem unsere unglaubliche Öffentlichkeitsarbeit, mit der wir Themen und Probleme zur Debatte stellen und Lösungen vorschlagen können.

Wer sich Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland ansieht: Es ist ein riesiges Aufgabenfeld. Was hat Dir den Mut gegeben, diese Arbeit anzufangen? 

Hast Du Mut oder Wut gesagt?

Was immer es war, Anetta.

Nun, meine Familie gehört ja selbst zu den Verfolgten im Nationalsozialismus. Die Toten besiedeln meine Nächte. Das hat mich so sehr geprägt, für mein ganzes Leben. Und zugleich waren da meine Eltern, die immer gekämpft haben. Beides hat mich sehr geprägt. Mein Vater studierte 1933 Jura, wurde als Jude gleich zu Beginn von Mitstudenten so oft und stark verprügelt, dass er nach Prag ins Exil ging, sich da aber fragte, was nun? Er ist in den spanischen Bürgerkrieg gegangen und hat später erzählt: „Das war zwar gefährlich – aber das war wenigstens etwas, was ich tun konnte!“ So bin ich auch. Ich möchte immer etwas tun. Deshalb habe ich Menschen auch nie verstanden, die sagen: „Aber da konnte man gar nichts tun.“

Doch, wir können immer etwas tun. Deshalb wollte ich Initiative ergreifen, Verantwortung übernehmen zum Schutz derjenigen, denen durch Nazis das Lebensrecht abgesprochen wird. Manchmal haben mich Menschen gefragt: „Warum machst Du nicht etwas anderes?“, und ich dachte: „Was denn? Das hier interessiert mich.“ Natürlich ist das nicht leicht, die Anfeindungen, die Ignoranz, und ich habe mich immer mal wieder gefragt, warum lebe ich weiter hier, in Deutschland? Könnte es nicht woanders viel entspannter sein? Aber ich bin wegen der Stiftung geblieben. Wegen den Menschen, die etwas bewegen, etwas verändern wollen. Stell Dir vor, wir hätten das nicht gemacht. Wie wäre es dann? Ich kann lange Zeiträume im Blick behalten. Was hat sich nicht alles verändert seit den 1950er Jahren in Deutschland, zum Guten! Mit der Amadeu Antonio Stiftung tragen wir jetzt seit 25 Jahren aktiv zu dieser Veränderung bei.

Ich weiß, es ist eine fiese Frage, weil 25 Jahre natürlich aus vielen Erinnerungen bestehen aber: Fällt Dir eine besonders schöne Situation in der Arbeit für die Stiftung ein, die Dir besonders wichtig ist?

Einschneidend war für mich auf alle Fälle, als 2001 die Familienministerin auf mich zukam und sagte: „Sie wünschen sich also andere Programme gegen Rechtsextremismus? Was würden Sie denn tun?“ Damals habe ich ihr eine Skizze geschrieben, die die Grundlage bildete für CIVITAS, das erste Demokratieförderprogramm in Deutschland, das den Paradigmenwechsel vollzogen hat von der Arbeit mit Tätern zur Stärkung der Zivilgesellschaft und der Opfer, und das die Grundlage der Bundesprogramme zur Demokratieförderung gelegt hat, die wir heute haben.

Emotional gibt es aber natürlich noch ganz viele Momente, aber sie alle haben zu tun mit Menschen, die sich persönlich entwickeln im Laufe der Demokratiearbeit. Die aufgeblüht sind in der Stiftung oder durch die Förderung der Stiftung, die heute so schlaue Dinge sagen und großartige Arbeit machen, da geht mir das Herz auf. Auch die jungen Leute, die nach einem Vortrag zu mir kommen und mir erzählen: „Ich war in einem Eurer Workshops, das hat mir so geholfen und jetzt erreiche ich ganz viele Menschen und kann sie für meine Arbeit begeistern.“ Das zeigt eine Nachhaltigkeit, wie ich sie mir wünsche. Biographisch bewegt hat es mich auch, als die jüdischen Deutschen aus der Sowjetunion nach Deutschland kommen konnten. Wie viele Probleme gab es da anfangs – und wie gut hat die Einwanderung inzwischen funktioniert. Die nächste Generation studiert jetzt, engagiert sich – das freut und berührt mich sehr.

Was ist das Wichtigste, dass Du in der Zeit gelernt hast und anderen mitgeben möchtest? Als Leiterin einer Stiftung? Als Kämpferin gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus? 

Es ist in diesem Arbeitsbereich so überaus wichtig, seine eigene Arbeit wertschätzen zu können! Im Bereich Rechtsextremismus arbeiten viele schlaue Menschen, die sehr gut darin sind zu sehen, was schiefläuft, was sich noch nicht verbessert hat. Das ist ja auch ein Impuls, ein Antrieb für die Arbeit. Aber es ist umso wichtiger, auch politisch und strategisch darauf zu schauen, was auch gut geworden ist. Wie habe ich die Situation besser gemacht, wie habe ich dazu beigetragen, dass sich Dinge zum Besseren verändern? Das, was wir tun, macht einen Unterschied. Das müssen wir sehen, damit wir die Kraft haben, weiterzumachen. Ich blicke auf das, was noch möglich ist, was sich noch ändern muss. Aber ich vergesse nicht, was schon passiert ist, was ich schon verändert habe. Dazu gehört natürlich auch, immer zu gucken: Funktieren meine Ansätze? Funktioniert das mit der operativen Arbeit, der Förderpolitik und der Öffentlichkeitsarbeit für die Stiftung? Wenn nicht, muss ich eben etwas ändern. Wenn ich vom Wertschätzen der eigenen Arbeit rede, dann nicht wegen guter Vibes. Sondern wegen Realität.

So, zum Schluss darfst Du Dir noch vorstellen, Du hättest jetzt noch einen Wunsch frei – was wäre es?

Okay, dann wünsche ich mir noch einen Paradigmenwechsel! Ich wünsche mir, dass Politik und Verwaltung begreifen, dass sie der Zivilgesellschaft dienen. Ich wünsche mir, dass diejenigen, die die Demokratie und ihre Werte jeden Tag im Alltag verteidigen, nicht als Bittsteller zum Staat kommen müssen, sondern als tragender Teil der gesellschaftlichen Lösung so geschätzt und unterstützt werden, wie sie es verdient haben. Na gut, aber Weltfrieden und die Gleichwertigkeit aller Menschen würde ich auch noch nehmen.

Die Interviewerin, Simone Rafael, heute Chefredakteurin von Belltower.News und Leiterin des Digitalbereichs, arbeitet mit Anetta Kahane seit 2002 in der Amadeu Antonio Stiftung. Damals waren wir zu fünft, heute arbeiten rund 130 Menschen an drei Standorten daran, Demokratie on- und offline zu verteidigen, Menschen vor rechtsextremen, antisemitischen und rassistischen Angriffen zu schützen, über Verschwörungsideologien aufzuklären und Zivilgesellschaft, Politik, Medien und Wissenschaft anzuspornen und zu inspirieren. 

Liebe Anetta, wir können Dir nur immer wieder danken für Deine Stärke, Deine Menschlichkeit, Deinen Wagemut, die Unbeugsamkeit, den Witz und die Inspiration. Wir werden Dich im praktischen Alltag vermissen, aber die Arbeit in Deinem Sinne fortführen! 

Und liebe Leser:innen von Belltower.News:
Anetta Kahane wird bei Belltower.News Kolumnistin, ihre klugen Gedanken dort also regelmäßig einmal im Monat zu lesen sein.

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