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Ein Prozess, der bleibt

Vor dem Kar Marx Monument in Chemnitz stehen und sitzen Menschen
Foto: belltower.news

Es ist der 24. März 2020, die Coronapandemie in Deutschland nimmt gerade Fahrt auf. Im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts in Dresden sitzen trotzdem noch Menschen zusammen. Vertreter*innen der Presse, Beobachter*innen, Richter*innen, Staatsanwaltschaft und acht Angeklagte – Christian K., Martin H., Marcel W., Sven W., Sten E., Christopher W., Maximilian V und Tom W. In den letzten sechs Monaten waren sie an 34 Verhandlungstagen im Gerichtsgebäude in der Innenstadt. Vorgeworfen wird ihnen schwerer Landfriedensbruch und die Bildung einer terroristischen Vereinigung. In den letzten Wochen wurde verhandelt und schon einige Abschlussplädoyers gehalten. Am heutigen Tag folgt der Rest. Und dann fällt das Urteil.

„Revolution Chemnitz“, so nannte sich eine Chatgruppe auf dem Messengerdienst Telegram. Die Mitglieder schlossen sich zu einer rechtsterroristischen Gruppe zusammen, griffen aus rassistischen Motiven Menschen an und planten für den 3. Oktober Anschläge und den Umsturz Deutschlands. Die acht Männer wurden daraufhin festgenommen und angeklagt – wegen Landfriedensbruch und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das Prozesstagebuch „Revolution Chemnitz“ schließt die Lücke fehlender Dokumentation des Verfahrens, um es für die Öffentlichkeit nachvollziehbar und zugänglich zu machen und wird von der Amadeu Antonio Stiftung gefördert.

Die Terrorgruppe
Die Chatgruppe „Revolution Chemnitz“ gründet sich am 14. September 2018. Eine Zeit, in der Chemnitz nach dem Mord eines Menschen von Neonazi-Demonstrationen und Gegenprotesten geprägt ist. Acht Männer sind in der Gruppe, rekrutiert aus der Neonaziszene in und um Chemnitz. Am gleichen Tag tritt die Gruppe als „Bürgerwehr“ in den Straßen von Chemnitz auf. Nach einer erneuten Demonstration sind einige Mitglieder an einem rassistischen Angriff beteiligt, bei dem mehrere Menschen verletzt werden. Später wird dies als eine Art „Probelauf“ für einen großen Anschlag am 3. Oktober bezeichnet. Die Männer werden fest- und die Ermittlungen aufgenommen. Ein gutes Jahr später erhebt die Bundesanwaltschaft Anklage wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Im Verfahren werden aus Chatprotokollen, Videoaufnahmen und Telefonaten die Taten und Pläne der Gruppe rekonstruiert.
Die Website des Prozesstagebuchs www.revolution-chemnitz.org dokumentiert den Verlauf jedes einzelnen Prozesstags. Detailliert berichtet sie beispielsweise von dem Schreiben, mit dem sich einer der Angeklagten beim Verfassungsschutz bewarb, den geschlossenen rechtsextremen Weltbildern der Beschuldigten, dem Plan, den „antideutschen Machenschaften“ gewaltvoll ein Ende zu bereiten, und auch von der Verabredung zu den Angriffen am 14. September.

Ein Betroffener schilderte bereits einige Verhandlungstage vorher die bedrohliche Situation, die am Abend des sogenannten „Probelaufs“ auf der Schlossteichinsel in Chemnitz entstand. Der als Zeuge gehörte Mann berichtet, dass er mit einigen Freund*innen grillte, als sie von einer großen, einheitlich in schwarz gekleideten Gruppe umzingelt und angegriffen wurden. Als die Angegriffenen fliehen wollen, werden Flaschen auf sie geworfen. Einer seiner Freunde wird am Kopf getroffen und schwer verletzt. Die Abschlussplädoyers der Verteidigung ähneln sich allesamt. Sie reden die Taten der Gruppe klein und weisen die Vorwürfe von den Angeklagten: Die Beweggründe für die Chatgruppe seien nachvollziehbar, es hätte sich nur um Stammtischgerede gehandelt und es sei zu wenig geschehen, um die Angeklagten wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung zu verurteilen.

Der Prozess geht zu Ende
Im Prozess kommt nach und nach zutage was im Chat besprochen wurde: Wie kommt man möglichst günstig an Waffen? Wer kann bei Angriffen auf Linke helfen? Und wie plant man eine Revolution und den Umsturz des Systems?
Die umfassenden Berichte und Beobachtungen vom Prozess gegen die Gruppe bestehen nur, weil es sich der Akubiz e.V. aus Pirna mit dem Prozesstagebuch „Revolution Chemnitz“ zur Aufgabe gemacht hat, die Öffentlichkeit zu informieren. Zwar berichteten Medien von den Urteilen, aber der Verlauf und die Inhalte des Prozesses blieben unklar. Die Dokumentationen sind auch darüber hinaus wichtig. Sie können helfen, die Bedingungen zur Entstehung von rechtsterroristischen Vereinigungen besser zu verstehen, ihre Gefahren der Öffentlichkeit sichtbar zu machen und Strukturen zu entwickeln, sie in Zukunft zu verhindern.

Vor dem Urteil dürfen die Angeklagten sprechen. Entschuldigungen oder Einsichten sind keine zu hören. Schließlich wird das Urteil verkündet. Das Gericht sieht es als erwiesen, dass eine terroristische Vereinigung gegründet wurde. Der vorsitzende Richter stellt das in seiner zwei Stunden dauernden Urteilsbegründung klar. Die Angeklagten werden wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und teilweise wegen Landfriedensbruch verurteilt. Sie bekommen Haftstrafen von zwei Jahren und drei Monaten bis fünfeinhalb Jahren.

Die Website mit der vollständigen Dokumentation des Prozesses ist zu finden unter https://www.revolution-chemnitz.org

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