„Ziemlich sicher, genau jetzt während Sie diesen Satz lesen, findet irgendwo in der (Offenen) Jugendarbeit Empowerment statt. Möglicherweise nennen die involvierten Jugendlichen und ihre Begleiter*innen das Was und Warum dieser Arbeit nicht einmal Empowerment. Vielleicht ist ihr Tun eingebettet in einen selbstgewählten Kampf für soziale Gerechtigkeit oder den intuitiven Wunsch
danach, die (eigene) Menschenwürde zu schützen, zu erhalten und wiederherzustellen. Vermutlich hat diese Empowermentarbeit irgendetwas mit Diskriminierung und Rassismus zu tun. Mit den wiederholten Integrationserwartungen der Mehrheitsgesellschaft und ihrer Bildungs- und Erziehungsinstanzen. Mit den tagtäglichen subtil bis offenen Ausschlusserfahrungen Jugendlicher of Co-
lor. Mit dem Bemühen der Jugendarbeiter*innen of Color, die Jugendlichen gut im mitunter gewaltvollen Spannungsfeld zwischen Anpassung und Selbstbestimmung zu begleiten.
Kurzum, wir müssen davon ausgehen, dass kritische Praktiker*innen of Color den Empowermentansatz schon in der (institutionalisierten) Jugendarbeit leben. Die Geschichte(-n) der verschiedenen Migrationsbewegungen sowohl in der BRD als auch in der DDR legen außerdem nahe, dass der Empowermentansatz innerhalb der Jugendarbeit, beginnend mit Teilen der zweiten Generation(-en), schon seit Jahrzehnten gestaltet und geprägt wurde. Schutzräume – mehr oder weniger bewusst kreiert, mehr oder weniger institutionalisiert – waren und sind ein zentrales Instrument unterschiedlichster Communities deutschlandweit, um das (Selbst-)Bewusstsein ihrer Jugendlichen für die eigene Menschenwürde zu pflegen und zu bewahren. Informelle Netzwerke und selbstorganisierte Zusammenhänge haben die Empowermentarbeit im Kontext von Rassismus maßgeblich mitgeprägt und tun es noch. Diese Arbeit fand und findet auch und vor allem jenseits großer Träger und klassischer Institutionen der Sozialen Arbeit statt. Egal wie wir Empowerment ausbuchstabieren, die Praxis schafft Realitäten, die sich in bestehenden Kompetenzen, Netzwerken und Methoden zeigen. Diese sind also im Zusammenhang mit Empowerment gegen Rassismus schon längst gegeben. Dennoch haben sich große Teile der Sozialen Arbeit noch nicht von der paternalistischen Umsetzung eines sehr ursprünglich gelagerten Wunsches, nämlich den Randständigen, den Marginalisierten, den Anderen zu helfen, verabschiedet. Diese Art der Umsetzung hält Abhängigkeits- und im Ergebnis Gewaltverhältnisse aufrecht, die wir uns nicht mehr leisten können. Was für uns als Autor*innen und Praktiker*innen zählt, ist tatsächlich, wie der Ansatz in der Praxis bereits emanzipativ gefüllt und umgesetzt wird und wie diese Umsetzungen weiter gefördert werden können. Denn: gesellschaftliche Rückentwicklung geht immer, das zeigt die Geschichte. Auch die Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit können in Zeiten, in denen es möglicherweise eher darum ginge, sich mandatswidrigen Aufträgen entgegenzustellen und kritisch zu intervenieren, jederzeit hinter bereits definierte (eigene) Standards zurückfallen. Damit sich die Soziale Arbeit generell und Offene Jugendarbeit speziell vom Stigma „den Randständigen zu helfen“ befreien kann, damit sie auf die Dauer sowohl für rassismuserfahrene Jugendliche als auch rassismuserfahrene Fachkräfte glaubhaft bleibt und nicht zuletzt um den Empowermentansatz strukturell zu verankern, braucht es nicht nur eine unermüdliche emanzipative, radikale und mutige Praxis von jenen, die
tagtäglich ihre Menschenwürde schützen und verteidigen und andere darin zu stärken, das ebenso zu tun. Es braucht außerdem: Zuhören, Lernoffenheit, Verbündete, Powersharing (vgl. Yiğit/Can 2006), Zurücktreten von Entscheidungsprozessen und -positionen sowie Ressourcen, Ressourcen, Ressourcen.
Der folgende Beitrag skizziert basierend auf unseren Erfahrungen aus der Arbeit mit Fachkräften und Jugendlichen Maximen, Ebenen und Bedingungen für die Implementierung von Empowerment in der Jugendarbeit.“
Dies ist ein Auszug auf dem Artikel „Slow Slow (Run Run)“ Empowerment, Sichtbarkeit und Teilhabe in der Offenen Jugendarbeit von Golschan Ahmad Haschemi, Verena Meyer, Pasquale Virginie Rotter.
Der Autor*innen befassen sich darin mit verschiedenen Aspekten nachhaltiger Empowermentarbeit:
- Partizipation als Grundlage von Jugendarbeit und Empowerment
- Empowerment als Stabilisierung
- Was passiert in einem Safer Space
- Risiken und Chancen des Empowermentansatzes
- Schwarze Fachkräfte und Fachkräfte of Color gestalten Empowermentarbeit
- Handlungsempfehlungen für Schwarze Fachkräfte und Fachkräfte of Color
Der Artikel ist Teil des gerade veröffentlichten und sehr lesenswerten Buchs „Empowerment und Powersharing. Ankerpunkte – Positionierungen – Arenen“; Hg. von Yasmine Chehata und Birgit Jagusch; Beltz/Juventa Weinheim 2020., das wir als Ganzes sehr empfehlen!