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In eigener Sache

Es lag nicht an ihrer Herkunft, sondern am Weltbild des Täters

Wir erleben gerade eine Zeit der Eskalation. Es sind nur wenige Wochen nach dem rechtsextremen Terroranschlag von Hanau vergangen. Zwischen Schreck und Empörung war, wie ich finde, viel zu wenig Zeit zum Trauern. Die Familien und Freunde der Toten erhielten vielleicht viel Aufmerksamkeit, doch ist da genug an Trost und Trauer? Haben sie von uns allen die Wärme, Anteilnahme und Unterstützung bekommen, die sie jetzt so dringend brauchen? Von der ganzen Gesellschaft und nicht nur von den sogenannten betroffenen Gruppen?

Sie wurden ermordet, weil ein Rassist und Rechtsextremist fand, dass sie nicht leben sollten. Es lag nicht an ihrer Herkunft und Hautfarbe, sondern an dem Welt- und Menschenbild des Täters. Nicht ihre Merkmale sind der Grund für eine solche Tat, sondern seine! Nicht sie müssen irgendwie integriert werden, wie es üblicherweise heißt, sondern er sollte wissen, dass Taten wie diese, Menschen wie er, außerhalb jeglicher menschlicher Gemeinschaft stehen. Er, nicht die Opfer! Nicht Herkunft ist der Makel, sondern Haltungen und Taten, die andere abwerten, ausgrenzen und sogar töten.

Viel zu lange wurde in Deutschland das Thema Rassismus ignoriert, ja seine Existenz bestritten. Welche schmerzhaften Erfahrungen die Generation der „Gastarbeiter“ in Deutschland machen musste, wurde nie ausreichend gehört. Wie selbstverständlich Menschen mit Rassismuserfahrungen aufgewachsen sind, war nie Teil der gesellschaftlichen Erzählung über das Leben in Deutschland. Wie groß die Benachteiligungen, der Missbrauch, die Exotisierung von People of Color noch immer sind, darüber beginnt erst jetzt eine zögerliche Diskussion. Wie lange an dem hochmütigen Verleugnen dieser Situation gegen jede Erkenntnis, sogar entgegen wissenschaftlicher Expertise festgehalten wurde, ist eine Schande. Und für die Betroffenen unerträglich. Viel zu lange geht das schon. Rassismus als allgemeiner Usus und Rechtsextremismus als konkrete Aktion – es wird Zeit, dass Deutschland dieses unselige Erbe als solches erkennt und dagegen antritt.

Wie das geschehen kann? Die Expertise darüber ist längst da. Viele kluge und engagierte Menschen haben dazu Vorschläge gemacht und langjährige Erfahrungen ausgewertet. Die nötigen Maßnahmen sind keine Wunderpillen oder ganz ungewöhnliche, revolutionäre Dinge. Nein, es sind erprobte Maßnahmen, weitergedachte Handlungskataloge, veränderte Perspektiven, weitergehende Förderung und immer wieder Empowerment. Die Amadeu Antonio Stiftung hat dies in zehn Punkten zusammengefasst. Und Sie werden sehen, daran ist nichts Wundersames. Es sind längst bekannte Schritte, um in der Gesellschaft, also im alltäglichen Leben, die Prinzipien des Grundgesetztes – Gleichwertigkeit für alle und das damit verbundene Diskriminierungsverbot – durchzusetzen.

Im Moment ist politisch und gesellschaftlich viel in Bewegung. Die Gründe dafür sind schrecklich. Dennoch ist es gut, dass die Morde von Hanau für Unruhe sorgen. Viel besser, als die Ruhe nach so vielen vorangegangenen Morden. Wir wissen nicht, wie die Entwicklung weitergeht. Aber ganz sicher haben wir gerade einen Einfluss darauf, wie in Zukunft über Minderheiten gesprochen wird, wie sich die Gesellschaft für die nächsten Jahrzehnte definieren wird. Ob sie sich selbst in ihrer Vielfalt anerkennt oder verleugnet. Der Kampf um dieses Bild mit allen Konsequenzen ist nicht die Spaltung, von der immer gesprochen wird. Es handelt sich um Konflikte. Konflikte, die es in Deutschland schon sehr lange gibt. Und die unter den Teppich gekehrt wurden. Solange, bis daraus braune Klumpen wurden.

Rechtsextreme, die AfD und andere Rassisten und Antisemiten ernähren sich von ungelösten Konflikten. Lassen wir uns nicht einreden, dass sich die Gesellschaft spaltet. Gehen wir besser die überfälligen Konflikte an. Sie liegen da schon viel zu lange.

Herzliche Grüße,
Ihre Anetta Kahane

P.S. Ganz herzlich möchten wir allen danken, die unserem Spendenaufruf gefolgt sind und für die Angehörigen der Ermordeten von Hanau gespendet haben. Wenn Sie die Familien unterstützen möchten, finden Sie hier unsere Spendenkampagne.

Dieser Text erschien ursprünglich als Vorwort unseres Newsletters, den sie hier abonnieren können.

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