Weiter zum Inhalt

Nie wieder ist jetzt – Amadeu Antonio Stiftung fördert über hundert Projekte im Jahr 2023

Nie wieder ist jetzt - Amadeu Antonio Stiftung fördert über hundert Projekte im Jahr 2023

Die Terrorangriffe der Hamas auf Israel und die seitdem stark angestiegenen antisemitischen Vorfälle sind eine ernste Bedrohung für Jüdinnen und Juden weltweit. Die Diskussion darüber wurde schnell rassistisch instrumentalisiert.

 

Die Ereignisse des Jahres 2023 haben uns mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt, wie dringend notwendig es ist, konsequent gegen Antisemitismus und Rassismus vorzugehen. Im Jahr 2023 haben wir über hundert Projekte der demokratischen Zivilgesellschaft gefördert.

 

Ein Schwerpunkt des Engagements lag auf dem Thema Erinnerung. Unsere Erinnerungs-Projekte tragen dazu bei, eine kritische Erinnerungskultur zu etablieren, passend auch zum Motto der diesjährigen Aktionswochen gegen Antisemitismus.

 

Kritische Erinnerungskultur ist eine Kultur des Erinnerns, die von der demokratischen Zivilgesellschaft eingefordert und gelebt wird, die Kontinuitäten von Antisemitismus und Rassismus bis heute benennt, die nicht zur Selbstentlastung „wiedergutgewordener” Deutscher dient, die Perspektiven von Überlebenden und Betroffenen in den Mittelpunkt stellt und politische Konsequenzen einfordert, damit „Nie wieder“ keine leere Worthülse bleibt.

 

Die Erinnerung an die Shoah, nationalsozialistische Verbrechen und verleugnete Opfergruppen während des NS stand bei den antifaschistischen Bautagen am Gedenkort an das ehemalige Mädchen-Konzentrationslager Uckermark und bei Zeitzeug*innenprojekten an Schulen in Hamburg und Detmold im Vordergrund.

 

Eine Initiative von Angehörigen der von den Nationalsozialist*innen als “asozial” oder als “Berufsverbrecher” stigmatisierten Opfergruppen gedachte mit einer Gedenkstele dieser verleugneten Opfergruppen in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Schüler*innen aus Freiburg besuchten Gedenkstätten und jüdische Gemeinden und setzten sich mit der Geschichte der badischen und saarpfälzischen Jüdinnen und Juden zur NS-Zeit und ihrer Deportation ins Lager Gurs auseinander.

Es dauerte fast 80 Jahre, bis in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen mit einer eigenen Gedenkstele auch an die im NS als „asozial“ Verfolgten erinnert wird. Foto: Amadeu Antonio Stiftung

An rechte Gewalt in den 90ern erinnerte ein Projekt aus dem sächsischen Wurzen, bei dem Jugendliche aus der Region ins Gespräch mit Betroffenen und Zeitzeug*innen der damaligen rechten Gewalt kamen. Ein Projekt aus Solingen erinnerte an die Opfer des rassistischen Brandanschlages von Solingen im Jahr 1993.

 

In einer Ausstellung werden die fünf Todesopfer Gürsün İnce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç mit ihren individuellen Lebensgeschichten porträtiert und der gesellschaftliche Kontext zwischen rechter Gewalt, restriktiver Asylpolitik und zivilgesellschaftlicher Unterstützung beschrieben.

 

Auch an Marwa el-Sherbini, die 2009 in Dresden ermordet wurde, wird von einem Projekt erinnert. Einst aus einem Kunstprojekt mit jüdischen und muslimischen Jugendlichen zu einem Gedenkort umgestaltet, bleibt der Marwa-El-Sherbini Platz in Bremen ein wichtiger Ort des Erinnerns an mehr als 200 Opfer rechtsextremer Gewalt seit den 90er Jahren.

 

Seit 2019 findet im Juli am Todestag von El-Sherbini, der zum Tag gegen antimuslimischen Rassismus geworden ist, auf dem Marwa-El-Sherbini Platz jährlich eine Yortsayt-Gedenkveranstaltung statt. Das Wort »Yortsayt« entstammt dem Jiddischen und bezeichnet den Jahrestag der Beerdigung einer verstorbenen Person.

An die rechtsterroristischen Anschläge der letzten Jahre von Hanau und Halle erinnern Projekte in Halle und in Oldenburg mit einem Solidaritäts-Festival und in Erfurt mit einer Ausstellung. Die Ausstellungsmacherin Talya Feldman hat den antisemitischen Anschlag auf die Synagoge in Halle im Jahr 2019 überlebt. Mit der Ausstellung „Klagegedicht“ verschafft sie den Opfern des antisemitischen und rassistischen Anschlags durch das Zeigen einer Tanzperformance und Aussagen von Überlebenden Raum und Gehör.

Die Erinnerung an den deutschen Kolonialismus und die unzureichende Aufarbeitung wird im Projekt zum sogenannten “Tansania-Park” in Hamburg-Jenfeld thematisiert: So stehen im Hamburger „Tansania-Park“ Denkmäler aus der Zeit des Nationalsozialismus, die den Kolonialismus glorifizieren. Die Denkmäler sind für die Öffentlichkeit weitgehend unzugänglich. Lokale Aktivist*innen stoßen mit einem Symposium und einem musikalischen Projekt eine Debatte über den Kolonialismus, seine Opfer und gegenwärtige Erinnerungskultur an.

 

A propos Erinnerungskultur: In einem Projekt aus Frankfurt geht es explizit um die Aufarbeitung des NS-Regimes im Nachkriegsdeutschland und heute: 2023 jährt sich zum sechzigsten Mal der Beginn des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Vor diesem Hintergrund organisieren Engagierte eine Ausstellung, die sich mit den Verbrechen in Auschwitz und ihrer juristischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung auseinandersetzt. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Aussagen der Überlebenden, die im Auschwitz Prozess aussagten.

Das Askari-Relief im Tansania-Park Hamburg wurde 1939 eingeweiht. Es zeigt Deutsche "Schutztruppen" in den Deutschen Kolonien und Askari, einheimische Soldaten in den Kolonialtruppen, die die Kolonialherrschaft unterstützen sollten. Die Bilder sollten jungen Wehrmachtssoldaten als Vorbild dienen. Foto: Sarah Steidl
Teilnehmende des CSD Zwickau schirmen die Parade von Anfeindungen ab. (Foto: Amadeu Antonio Stiftung)

Neben den Projekten mit dem Fokus Erinnerung haben wir noch viele weitere Projekte gefördert: z.B. eine Tagung zu den Spezifika rechtsextremer Mobilisierung in Mittelstädten, einen Christopher Street Day im sächsischen Zwickau, eine empowernde Ballroom Veranstaltung für queere BiPoC und sehr viele gut gelaunte Festivals gegen rechtsextreme Raumnahme mit klarer Ansage gegen Rassismus und Antisemitismus von Rheinland-Pfalz über Nordrhein-Westfalen bis nach Sachsen. Alle geförderten Projekte finden Sie in unserer Förderbilanz.

Großer Dank an Engagierte und Spender*innen

Wir sind sehr dankbar, dass alle Engagierten der demokratischen Zivilgesellschaft trotz  angekündigter Streichungen für die politische Bildung und erschwerter Bedingungen durch zunehmend starke rechtsradikale Parteien nicht aufgeben, sondern unermüdlich für eine offene, demokratische Gesellschaft streiten.

 

Ein großer Dank gilt auch all unseren Spender*innen, die es möglich machen, dass wir diese Projekte unterstützen konnten.

171102-JMT17-LandoHass-104

Geförderte Projekte

Chronologische Übersicht der geförderten Projekte und unterstützten Personen

Ausblick 2024: Bekämpfung von israelbezogenem Antisemitismus und Superwahljahr

Wir sind tief erschüttert über die Terrorangriffe der Hamas auf Israel und die seit Beginn des Nahostkriegs stark steigenden antisemitischen Angriffe auf Jüdinnen und Juden. Auch das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza und die rassistischen Instrumentalisierungen der Debatte in Deutschland machen uns betroffen. Angesichts dessen möchten wir insbesondere Projekte ermutigen, Anträge bei uns zu stellen, die über insraelbezogenen Antisemitismus aufklären, die Solidarität mit Jüdinnen und Juden zeigen und die deutlich machen, dass die Benennung von Antisemitismus und Rassismus nicht gegeneinander ausgespielt werden darf.

 

Auch aus einem anderen Grund wird die Unterstützung der demokratischen Zivilgesellschaft im Jahr 2024 dringlicher denn je: Bei Kommunalwahlen in Thüringen, Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern und Europawahlen werden hohe Zugewinne rechtsextremer Parteien erwartet. Zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte könnte in Deutschland eine Partei, die vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird, eine Landtagswahl als stärkste Partei gewinnen. Dieses Szenario droht in Thüringen.

 

Mit dem rasanten Aufstieg des parlamentarischen Rechtsextremismus ist in den letzten Jahren ein Anstieg an rechtsextremen Einstellungen und eine massiv wachsende Demokratieunzufriedenheit einhergegangen. Dadurch gerät die demokratische Zivilgesellschaft zunehmend unter Druck. Gerade in vielen ländlichen Regionen und kleinen Orten gibt es oft kaum zivilgesellschaftliche Initiativen, die die demokratische Kultur vor Ort direkt mitgestalten können. Angesichts dessen wird die Amadeu Antonio Stiftung gemeinsam mit Campact eine Förderkampagne zur Unterstützung der ostdeutschen demokratischen Zivilgesellschaft starten. Wir freuen uns, wenn Sie uns mit einer Spende dabei unterstützen!

Mitmachen stärkt Demokratie

Engagieren Sie sich mit einer Spende oder Zustiftung!

Neben einer Menge Mut und langem Atem brauchen die Aktiven eine verlässliche Finanzierung ihrer Projekte. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung für Demokratie und Gleichwertigkeit.