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Geplatzte Wahl der Verfassungsrichter*innen – Ein Erfolg für den rechtsalternativen Kulturkampf

Symbolbild, Bundestag

Was sonst ein sachlicher, demokratischer Prozess ist, wurde diesmal von einer antidemokratischen Desinformations- und Hetzkampagne zerschlagen. Rechtsextreme Netzwerke, AfD, rechtsalternative Medien – sie alle arbeiteten Hand in Hand, um eine Richterin zu diffamieren und damit demokratische Institutionen zu schwächen und die Polarisierung in Deutschland weiter voranzutreiben.

Von Lorenz Blumenthaler

Was ist passiert?

Die Regierungsparteien ließen sich bei der geplanten Wahl der Verfassungsrichter*innen am 11. Juli 2025 vor den Karren der rechtsextremen Kulturkämpfer*innen spannen. Falschbehauptungen und Gerüchte – besonders rund um das Thema Abtreibung – haben die Sphäre rechtsalternativer Medien verlassen und es geschafft, weit in die Mitte der Gesellschaft hinein, zu überzeugen. Statt aus einer Position der Stärke Richter*innen zu ernennen, wie es demokratisch gewählte Regierungen tun, geht es auf einmal um völlig andere Themen: vermeintliche Plagiatsvorwürfe, das Recht auf Abtreibung oder politische Einstellungen. Selbst mögliche Auswirkungen der Ernennung von Frau Brosius-Gersdorf auf die Prüfung eines AfD-Verbotsverfahrens werden thematisiert. Selbst diese Fokusverschiebung ist Teil des rechtsextremen Kulturkampfes. Auch wenn am Ende alle dieser Punkte sich als haltlos herausstellten, verfängt ein Teil solcher Desinformations- und Hetzkampagnen immer. Im Fokus dieser in weiten Teilen auch antifeministischen Mobilisierung stand die von der SPD nominierte Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf. Das Ziel: Die Polarisierung der Gesellschaft anhand ihrer Personalie und die politische Aufladung des Bundesverfassungsgerichts.

Denn es ging längst nicht mehr nur um die Ernennung einer Verfassungsrichterin – sondern um die Diskreditierung demokratischer Institutionen und Prozesse.

Angriff auf eine demokratische Institution

Im Regelfall ist die Wahl von Richter*innen ans Bundesverfassungsgericht ein sachlicher, parteiübergreifender Prozess, Teil des demokratischen Protokolls, das die Unabhängigkeit der Justiz schützt. Das informelle Abkommen der demokratischen Parteien sieht vor, dass die größten Fraktionen Kandidat*innen nominieren. Im Vorfeld wird sich zwischen den Fraktionen abgestimmt, um sicherzustellen, dass die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht wird.

Das alles geschieht mit großem Bedacht: Das Bundesverfassungsgericht ist die höchste Instanz der Rechtsprechung in Deutschland und ein zentraler Garant für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Schutz von Grundrechten. Es wird dann konsultiert, wenn es um Grundfragen unserer Verfassung geht.

Rechtsextremer Kulturkampf von oben

Die extreme Rechte hat es geschafft: Mit einer antidemokratischen Desinformations- und in Teilen misogynen, wie antifeministischen Hetzkampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf gelang es rechtsalternativen Medien von Nius über rechtsextreme Influencer bis hin zur AfD, die Maschinerie des rechtsalterantiven Kulturkampfes in Gang zu setzen und damit die Wahl der Verfassungsrichter*innen platzen zu lassen. Wie es am Ende nicht zur Wahl der Verfassungsrichter*innen kam, spiegelt beispielhaft die Arbeitsteilung des rechtsextremenKulturkampfes wider, dessen Dynamik wir aus den USA nur zur Genüge kennen: Denn dieser findet keinesfalls durch „besorgte Bürger“, sondern vor allem durch rechtsextreme Eliten, rechtsalternative Medien und eine antidemokratische Kampagnenmaschine Einzug in den politischen Diskurs.

Die Arbeitsteilung der extremen Rechten

Rechtsalternative Medien verbreiten Unwahrheiten oder selektive Aussagen, wie die von Frauke Brosius-Gersdorf über Schwangerschaftsabbrüche, die dann von rechtsextremen Influencern im vorpolitischen Raum multipliziert werden. Meist nimmt alles seinen Anfang in den sozialen Medien, wo durch Kampagnen gezielt Themen gesetzt werden. Dann wird alles von rechtsalternativen Medien, wie Nius oder Apollo News, aufgegriffen und nochmals zugespitzt. Ihr Werkzeug: Extreme Emotionalisierung, selektive Wahrheiten und Empörung. Die AfD beteiligt sich an der Kampagne aus dem Parlament heraus. Ihr Ziel, einen Keil zwischen die Koalitionspartner zu treiben und die Union so weiter nach Rechtsaußen zu treiben, geht auf. Rechtsextreme Narrative diffundieren von rechtsextremen X-Accounts in den Plenarsaal des Bundestages und ihre Inhalte werden dort letztendlich auch von Abgeordneten der Union wiedergegeben. Und das ohne Grund!

Fahrplan gezielter Desinformation

Fahrplan gezielter Desinformation

Die Union als Stimme von Antidemokrat*innen?

Die demokratischen Parteien lassen sich durch Coronaleugner*innen, Abtreibungsgegner*innen und Antifeminist*innen treiben. Sie lassen sich vor den Karren rechtsextremer Akteure aus rechtsalternativen Medien, dem vorpolitischen und dem parlamentarischen Raum spannen. Ganz nebenbei werden demokratische Institutionen massiv geschwächt und ihre Prozesse und Abläufe delegitimiert, ja garverunmöglicht. Dieser arbeitsteilige Prozess ist kein neuer. Wir kennen das Playbook aus der gezielten Misstrauenskampagne gegen NGOs – auch dort führte das Grundrauschen rechtsalternativer Medien gegen einen „NGO Deepstate“ am Ende zu 551 Fragen über die Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen an die Bundesregierung. Auch hier gelangen Inhalte und zentrale Forderungen rechtsalternativer Medien über rechtsextreme Akteure in Kreise der Union und mündeten gar in eine beispiellose Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion.

Wie geht es weiter?

Demokratische Akteur*innen müssen jetzt alles daran setzen, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen innerhalb der Bevölkerung, aber anscheinend auch innerhalb des Parlaments, wiederherzustellen. Der Debattenraum erscheint verwüstet und auch das Vertrauen in die Regierungskoalition hat schwer gelitten.

Statt aus einer Position der Stärke Richter*innen zu ernennen, wie es demokratisch gewählte Regierungen tun, geht es auf einmal um völlig andere Themen: vermeintliche Plagiatsvorwürfe, das Recht auf Abtreibung oder politische Einstellungen. Auch diese Fokusverschiebung ist Teil des rechtsextremen Kulturkampfes.

Demokrat*innen müssen nun souverän bleiben. Insbesondere, wenn Rechtsextreme nach der Macht greifen. Sie müssen klare Haltung zeigen. Gegen Spaltung. Gegen Desinformation. Für die Unabhängigkeit unserer Justiz und den Schutz unserer Demokratie.

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