Die Reaktionen auf die öffentlich gemachten Vorwürfe gegen Lindemann waren dieselben, die immer kommen, wenn es um sexualisierte Gewalt geht: Nämlich, dass Betroffenen nicht geglaubt wird und mutmaßliche Täter geschützt werden. In diesem Fall wurden mutmaßlich Betroffene ganz massiv im Internet angegriffen, diffamiert und bedroht. Dazu kommt die Angst vor juristischen Konsequenzen, wenn sie ihre Erfahrungen öffentlich machen. Das hat natürlich wiederum Auswirkung auf die Frage: Stelle ich eine Strafanzeige, oder nicht? Immer wieder hören wir von den Beratungsstellen, dass sich Betroffene dagegen entscheiden. Wir wissen auch aus Studien, dass das verschiedene Gründe hat. Teilweise weil der Täter eine vertraute Person, vielleicht der eigene Partner oder der Ex-Partner.
Teilweise weil die Frauen Angst vor finanziellen Konsequenzen oder langwierigen Verfahren haben, die sehr retraumatisierend sein können. Laut einer Studie des BKA wird nur bei ungefähr einem Prozent aller Fälle von sexualisierter Gewalt eine Strafanzeige gestellt, bei Vergewaltigung sind es knapp zehn Prozent. Und auch bei den angezeigten Fällen wird ein Großteil der Verfahren eingestellt, sodass die Verurteilungsquote bei sexualisierter Gewalt sehr gering ist. Das hat auch damit zu tun, dass es Situationen sind, in denen meist nur zwei Personen anwesend sind – so steht Aussage gegen Aussage. Und aufgrund dieser Konstellation werden Verfahren oft eingestellt. Sexualisierte Gewalt ist oft ein strafloses Verbrechen.
Im Fall Lindemann hat die Staatsanwaltschaft Berlin aufgrund der medialen Berichterstattung und Anzeigen Dritter Ermittlungen aufgenommen und das Verfahren eröffnet. Da es aber keine direkten Zeuginnenaussagen gab, wurde das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt. Das passiert, wenn Beweise nicht ausreichen, um eine Schuld zu beurteilen oder nachzuweisen. Eine Verfahrenseinstellung bedeutet aber nicht, dass Betroffene gelogen hätten oder dass die mutmaßlichen Täter unschuldig sind, sondern es bedeutet, dass die Tat nicht nachgewiesen werden kann. Das Verfahren gegen Lindemann ist daher in keiner Weise besonders, sondern vielmehr bestätigend.