Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Kommentar

Hinsehen und Betroffene unterstützen – Die „Anti-Corona“-Bewegung ist gefährlich

(Mord-)Drohungen durch Coronaleugner*innen gegen Einzelpersonen nehmen zu. Wird die Gefährlichkeit der Situation nicht erkannt und ihr entschlossen begegnet, werden womöglich Menschenleben aufs Spiel gesetzt.

Von Mimi Boks

Am vergangenen Wochenende werden Journalist*innen von Teilnehmenden der „Querdenken“-Demonstration durch die Leipziger Innenstadt gejagt und angegriffen. Eine Puppe mit der Aufschrift „Covid-Presse“ hängt am 23. Oktober in Minden an einem Galgen aufgeknüpft von einer Brücke, ein Gebäude des RKI wird einen Tag später mit Brandsätzen angegriffen, (Mord-) Drohungen gegenüber Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und Lehrer*innen nehmen zu – die Medienberichte häufen sich. Wird die Gefährlichkeit der Situation nicht erkannt und ihr entschlossen begegnet, werden womöglich Menschenleben aufs Spiel gesetzt.

Auf ihrer „Corona-Tour“ sind die Corona-Leugner*innen nun insbesondere in und vor Schulen unterwegs, belästigen Schüler*innen und Lehrer*innen. Auf einem Video, das am 27.Oktober auf dem Twitteraccount von Nicola Sacco (@schwarze Palme) veröffentlicht wurde, lässt eine Rednerin, ganz wie nebenbei, auch immer mal wieder fallen, dass man ja nicht alle geflüchteten Menschen aufnehmen könne. Im nächsten Moment werden wieder Schüler*innen und Lehrer*innen dazu aufgefordert, aus der Schule zu kommen und „sich zu zeigen“. Am 29.10. wurde schließlich durch den SPIEGEL Online bekannt, dass Corona-Leugner*innen mutmaßlich einen Brandanschlag auf ein Wohnhaus in der Berliner Invalidenstraße verübt haben. Am Tatort wurde ein Bekenner*innenschreiben gefunden, in dem die sofortige Einstellung aller Corona-Beschränkungen, der Rücktritt der Bundesregierung und Neuwahlen gefordert werden – all das sind die Momente, in denen sich die Fratze des Antidemokratischen und des Gefährlichen, des Rechtsextremen und des Rassistischen ganz offen zeigt.

Wenn Menschen eine vermeintlich schuldige Gruppe als verantwortlich für gesellschaftliche Probleme heranziehen und sich dabei selbst als „den Widerstand“ definieren, reduziert sich die Komplexität der Ereignisse. Zudem verbreiten sich Verschwörungsnarrative besonders in Zeiten des Internets schnell und bieten eine Möglichkeit, sich aktuellen Unsicherheiten und Unübersichtlichkeiten mit einer geschlossenen Erzählung zu entledigen. In diesen Parallelwelten landet man schnell beim Infragestellen von wissenschaftlichen Erkenntnissen und der (Weiter-)Verbreitung von Fake-News. Die Existenz des Virus wird angezweifelt und wenn die Existenz desselben doch anerkannt wird, wird die Schuld für seine Existenz bestimmten Gruppen angehängt. Im Zuge dessen werden diese Gruppen auch als Schuldige für die Maßnahmen und Einschränkungen definiert. So lebt es sich einfacher und das ist gefährlich. Mitheraufbeschworen, angeheizt und genutzt wird diese Tendenz von Rechtsextremist*innen.

Anhäufungen von antiasiatischem Rassismus und Übergriffe auf asiatisch gelesene Menschen, eine Zunahme antisemitischer Angriffe und Äußerungen, insbesondere im Internet, sind ebenfalls Auswirkung dieser Entwicklung. Vor der Gefahr dieser antidemokratischen Proteste, deren Teilnehmer*innen sich doch ständig auf die Meinungsfreiheit berufen während sie selbst permanent Menschen anfeinden und angreifen, haben zivilgesellschaftliche Akteur*innen lange gewarnt – leider ohne großen Erfolg.

Stattdessen nehmen die staatlichen Institutionen die Gefahr und die berechtigten Ängste der Betroffenen häufig nicht ernst. Anzeigen wegen tätlicher Angriffe auf Journalist*innen werden nicht verfolgt, da es kein „öffentliches Interesse an der Verfolgung“ gäbe, wie Valentin Hacken am 28. Oktober auf seinem Twitteraccount die Staatsanwaltschaft Halle zitiert. Selbst die Bedrängung von Polizist*innen, wie auf einem Video zu sehen ist, das Julius Geiler am 25. Oktober auf seinem Twitter-Account veröffentlichte, scheint keine nennenswerten Folgen zu haben.

Auch wenn wir uns vor Augen halten müssen, dass diese kleine Gruppe von Menschen zum Glück kein repräsentativer Teil der Gesellschaft ist, dürfen wir die von ihr ausgehende Gefahr nicht ignorieren. Die Gefahr besteht darin, dass sie in der Selbststilisierung als letzte Bastion des Widerstands mit einem Auftrag zur „Erweckung“ der Gesellschaft Gewaltakte als zulässiges Mittel legitimiert. Mit dieser anhaltenden und gefährlichen Radikalisierung und den unterschwellig mitwirkenden Tendenzen in der Gruppe der „Anti-Corona-Protestler*innen“ dürfen Politik, Organe der ausführenden Gewalt und Zivilgesellschaft die Betroffenen nicht alleine lassen. Den schlussendlich sind es Menschen, die hier bedroht sind und es ist auch die freie Wissenschaft und die Pressefreiheit. Wir müssen hinsehen und aufmerksam dafür sein, wenn Menschen diffamiert, bedroht oder sogar angegriffen werden im Namen eines vermeintlichen Kampfes für Freiheit und Grundrechte und wir müssen da sein, um die Betroffenen zu unterstützen.

Weiterlesen

Nickolas(3)
Interview

Schule, aber rechts: Was tun gegen rechtsextreme Schüler*innen und Eltern?

Vor wenigen Tagen warnten die Schülervertretungen aller ostdeutschen Bundesländer vor wachsenden Rechtsextremismus. Inzwischen belegen auch Zahlen aus den Ländern diesen Eindruck: Nicht nur
im Osten haben sich rechtsextreme Vorfälle an Schulen vervielfacht. Rechtsextreme Cliquen auf dem Schulhof, Hakenkreuzschmierereien im Klassenzimmer und überforderte Lehrer*innen mittendrin. Was tun? Unser Kollege Benjamin Winkler klärt auf.

Mitmachen stärkt Demokratie

Engagieren Sie sich mit einer Spende oder Zustiftung!

Neben einer Menge Mut und langem Atem brauchen die Aktiven eine verlässliche Finanzierung ihrer Projekte. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung für Demokratie und Gleichwertigkeit.