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Analyse

Nach Christchurch: „In der rechtsextremen Szene gibt es tickende Zeitbomben“

Dr. Matthias Quent

Was hat das Attentat in Christchurch mit der extremen Rechten in Deutschland zu tun? Was sind die Folgen von Hasskriminalität für die betroffenen Minderheiten? Und welche Wege sind jetzt in der Rechtsextremismusprävention zu gehen? Wir sprachen mit Matthias Quent, Soziologe, Rechtsextremismusexperte und Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.

Mit seinem Manifest bezog sich der Attentäter von Christchurch auf den französischen Vordenker der „Neuen“ Rechten Renaud Camus, aber auch der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik war eines seiner Vorbilder. Haben wir die internationale Vernetzung rechtsextremer Terrorist*innen zu lange unterschätzt?

Sicherheitsbehörden und Öffentlichkeit haben die internationale ideologische Vernetzung der extremen Rechten oft unterschätzt. Hingegen weisen Rechtsextremismusforschung und auch zivilgesellschaftliche Initiativen schon lange darauf hin, dass beispielsweise die Europäischen Identitären von der Alt-Right in den USA beeinflusst werden und umgekehrt. Da gibt es also schon seit langem eine rassistische, eine ethnozentristische Internationale. Sie verbündet sich ideologisch vor allem gegen Muslime, aber letztendlich auch gegen die liberale Demokratie. Die Rechtsaußen-Internationale ist im Kern antisemitisch. Die menschenverachtende Ideologie findet ihren Ausdruck immer wieder in massiven Gewalttaten – zum Beispiel bei Breivik, oder jetzt auch in Christchurch.

Zu dieser ideologischen Komponente kommt die Vernetzung der Diskurse hinzu, aber auch die Vernetzung von Personen, insbesondere über Soziale Netzwerke, und in der dritten Instanz dann die Vernetzung mehr oder weniger formalisierter Akteur*innen – zum Beispiele Vereine wie die Identitären – in den Bewegungen.

Welche Rolle spielen denn Soziale Netzwerke für die Radikalisierung von Rechtsextremen?

Zunächst sind Plattformen eine Umgebung zur Affinisierung, wo Menschen mit spielerischen ideologischen Andeutungen vertraut gemacht werden, vermittelt durch einen zynischen, rassistischen und sexistischen Humor. Das Internet bietet Rechtsextremen also eine optimale Bühne, um Nachahmer*innen anzusprechen und ihre Ideologie zu verbreiten.

Soziale Netzwerke bilden auch einen Diskursraum. Was man früher am Stammtisch diskutiert hat, passiert jetzt im Internet. Das ist überall so, und das betrifft auch die extreme Rechte. So können Geschlossenheit hergestellt, Erfahrungen, beispielsweise sogar zum Waffenhandel, ausgetauscht und Nachahmer*innen angesprochen werden. Natürlich ist das Internet auch ein perfekter Ort, um das Ziel von Terrorismus zu erfüllen, nämlich Angst und Schrecken möglichst weit zu verbreiten. So, wie es der Christchurch-Attentäter mit seinem Livevideo tat.

Wenn der Attentäter in seinem Manifest über einen vermeintlichen „Weißen Genozid“ und „Bevölkerungsaustausch durch Politiker“ schreibt, klingt das erschreckend ähnlich wie Narrative der AfD über „großen Austausch“ und „Umvolkung“. Sind rechtsextreme Positionen in der Mitte der Gesellschaft angekommen?

Rechtsextreme Positionen kommen aus der Mitte der Gesellschaft, mit unterschiedlichen Schwerpunkten – mal stark marktradikal auf die „Verwertbarkeit“ von Menschen bezogen, mal rassistisch-biologistisch geprägt. Sie begleiten die westliche, die deutsche Kultur seit über 100 Jahren. Da spielen nationalsozialistische Ideologiefragmente der Rassenlehre ebenso eine Rolle wie Einstellungen der Ungleichwertigkeit, insbesondere gegen Muslim*innen, die in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitet sind. Dort dockt die radikale Rechte an, indem sie Religion oder auch kulturelle Zugehörigkeit als unveränderbar, als vererblich definiert.

Wir sprechen viel über die Täter*innen, weniger über die Folgen von Hasskriminalität für die Betroffenen. Was bedeutet es für Angehörige von Minderheiten, Ziel rechter Gewalt zu sein?

Studien belegen, dass es Opfern von Hassverbrechen psychisch schlechter geht als anderen Kriminalitätsopfern. Wir wissen auch, dass rechte Gewalt das Vertrauen in die Demokratie, den Rechtsstaat, die Polizei schwächt. Ein signifikanter Teil dieser Menschen hat mehr Angst als andere, sie werden unterdrückt, kleingehalten, ausgeschlossen. Das hat schwerwiegende Folgen für die einzelnen, aber auch für die Positionierung ihrer Gruppen in der Gesellschaft. Nicht zuletzt steht damit die Demokratie an sich in Frage, die die Menschenwürde aller und den Schutz von Minderheiten vor Gewalt und Diskriminierung zu ihren Zielen erklärt hat.

Die Aufklärung rechtsextremen Terrors in Deutschland kommt schleppend voran. Deren Netzwerkcharakter wird unterschätzt oder gar abgestritten – jüngst verdeutlicht am Beispiel des NSU. Was muss sich in Polizei und Justiz ändern, damit rechter Terror lückenlos aufgeklärt wird?

Der Rechtsextremismus muss als eigenständiges Phänomen anerkannt werden. Wir haben es mit einer rechtsextremen demokratiefeindlichen Subkultur zu tun, die sich durch alle Milieus zieht – bis in die Behörden hinein, wie wir durch die Recherchen der taz zum rechtsextremen Netzwerk um „Hannibal“ wissen. Die Gefahr kommt also auch aus dem Inneren unserer Demokratie. Wir sollten sie benennen und ernst nehmen und dürfen sie nicht als den Wahnsinn von ein paar wenigen Irregeleiteten oder als ‚besorgte Bürgern‘ verharmlosen.

Was bedeuten die Ereignisse von Christchurch für die Rechtsextremismusprävention? War sie in den letzten Jahren erfolgreich, und wie soll es weitergehen?

Die Rechtsextremismusprävention basierte in den letzten Jahren in Deutschland stark auf einer Stärkung der Zivilgesellschaft und der Opferberatungsinitiativen. Dieser Kurs ist insgesamt erfolgreich, wenn man sich anschaut, inwieweit zumindest schwere rechte Gewalttaten – damit meine ich Tötungsdelikte – seit den 1990er Jahren abgenommen haben. Aber die Bedrohungen gegen Minderheiten und die demokratische Zivilgesellschaft werden größer, und deswegen muss die Stärkung dieser Akteur*innen weitergehen.

In einer zweiten Instanz ist es wichtig, mehr in staatliche Strukturen hineinzuwirken. Also in den Behörden, bei der Polizei stärker zu sensibilisieren und zu erklären, dass Rechtsterrorismus auch in Deutschland ein großes Bedrohungspotenzial hat. In der Aus- und Weiterbildung, aber auch in der politischen Diskussion darüber, wie ernst diese Themen genommen werden, sehe ich noch Nachholbedarf.

Worin äußert sich, dass die Bedrohungen für die Zivilgesellschaft größer werden?

Die Angriffe gegen die Zivilgesellschaft nehmen in ganz Europa und auch in Deutschland zu – maßgeblich forciert durch die AfD. Es ist zu beobachten, wie die Zivilgesellschaft unter Druck gesetzt wird, wie sie zum Teil in der Öffentlichkeit denunziert wird, aber auch, dass das Gewaltpotenzial gestiegen ist. Die Untergangsstimmung, die von Rechtsextremen in Form von Narrativen wie „wir müssen jetzt handeln, bevor es zu spät ist“ verbreitet wird, trägt dazu bei, dass es in der rechtsextremen Szene tickende Zeitbomben gibt. Sie sind der Meinung, dass sie, wenn die rechte Zeit gekommen ist, auch mit härteren Mitteln vorgehen müssen. Das hat sich in Chemnitz gezeigt, oder auch in der Silvesternacht in Bottrop. Leider muss man attestieren: sowas kann jeden Tag passieren.

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