Die Landtagswahl in Brandenburg hat mit dem Erfolg der rechtsextremen AfD ein beunruhigendes Signal für die demokratische Kultur des Bundeslandes und darüber hinaus gesetzt. Mit einem Ergebnis von 29,2 % konnte die AfD hinter der SPD, die mit 30,9 % nur knapp vorne lag, den zweiten Platz erreichen. Dieses Ergebnis verdeutlicht eine starke Verankerung rechtsextremer Positionen in Teilen der Bevölkerung und ist ein Alarmsignal für die demokratische Gesellschaft.
Von Lorenz Blumenthaler und Robert Lüdecke
Es ist wichtig, die Gründe für diesen Wahlerfolg zu analysieren und daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen – insbesondere im Hinblick auf die Bundestagswahl 2025. Besonders die demokratischen Parteien sind gefordert, ihre Strategien im Umgang mit Rechtsextremismus zu überdenken und zu schärfen.
Rechtsextreme Wahlentscheidungen junger Menschen: Ein Warnsignal
Besonders alarmierend ist der starke Zuspruch der AfD unter jungen Wähler*innen. Warum entscheiden sich gerade die Jüngeren zunehmend für rechtsextreme Positionen, wenn junge Menschen doch eigentlich als Hoffnungsträger einer demokratischen Zukunft gelten?
Jugendliche erleben in einer komplexen Welt – und das war schon immer so – persönliche Unsicherheiten und Zukunftsängste. Die AfD schürt und missbraucht diese Unsicherheiten für die eigenen Zwecke. Populistische, einfache Antworten und rechtsextreme Botschaften, mit klaren Schuldzuweisungen und Feindbildern, werden in sozialen Medien gezielt verbreitet. Dort wirken sie besonders stark auf jüngere Zielgruppen. Die Algorithmen befeuern und unterstützen vorwiegend emotionalisierende und schrille Inhalte: sogenanntes „Rage-Bait“.
Zudem scheinen viele junge Menschen das Gefühl zu haben, von den etablierten Parteien nicht ernst genommen zu werden, was sie in die Arme der AfD treibt. In den Augen vieler Jugendlicher spricht die AfD aus, was „die Politik“ sich nicht traut. Die demokratischen Parteien müssen jetzt dringend neue Ansätze entwickeln, um jungen Menschen eine überzeugende Alternative zu bieten – nicht nur durch bessere Bildungspolitik, sondern auch durch stärkere Partizipationsmöglichkeiten. Und mit der konkreten Vorstellung einer lebenswerten Zukunft, die eine glaubwürdige Alternative zu den populistischen Versprechungen bietet.
Stadt-Land-Gefälle: Eine Herausforderung für die neue Landesregierung
Ein weiteres zentrales Ergebnis der Wahl ist das deutliche Stadt-Land-Gefälle bei den rechtsextremen Wahlerfolgen. Während die AfD in städtischen Gebieten weniger Unterstützung fand, konnte sie auf dem Land und in strukturschwachen Regionen besonders punkten. Hier zeigt sich eine tiefe Spaltung, die auf strukturelle Probleme zurückzuführen ist. Viele Bürger*innen fühlen sich abgehängt, wirtschaftlich und sozial benachteiligt und von der Politik der letzten Jahrzehnte nicht ausreichend vertreten – und das nicht zuletzt, weil Populisten und Demokratiefeinde ihnen das gebetsmühlenartig genau so erzählen. Die AfD schürt ein Gefühl der Entfremdung und missbraucht es, indem sie einen Keil zwischen die Menschen treibt.
Es rächt sich, dass öffentliche Dienstleistungen immer mehr abgebaut wurden, es kaum noch Bibliotheken und Jugendclubs in der Fläche gibt, die politische Präsenz vor Ort fehlt. Politik wird zwar gemacht, aber vor Ort selten sichtbar. Hier können sich Demokratiefeinde als „Kümmerer“ geben und Utopisches versprechen, das sie selbst nie einlösen müssen. Demokratische Parteien und die zukünftige Landesregierung müssen hier dringend nachsteuern: Es braucht eine solidarische Ausgestaltung des Strukturwandels. Und das nicht nur in Form von Investitionen in die Infrastruktur ländlicher Räume, sondern auch durch ein Vermitteln von Perspektiven und Chancen, die in einem Wandel stecken.
Ostdeutschland ist nicht ganz Deutschland: Ein differenziertes Bild ist nötig
Die Wahlerfolge der AfD in den ostdeutschen Bundesländern dürfen nicht dazu führen, Ostdeutschland pauschal als Hochburg des Rechtsextremismus zu stigmatisieren. Die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche der Nachwendezeit wirken bis heute nach und prägen die Einstellungen vieler Menschen, auch in Form eines über Generationen weitergegebenen Demokratiemisstrauens. Das Trauma entwerteter Nachwende Biografien schürt nach wie vor Erwartungsängste vor dem gesellschaftlichen Abstieg. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mit der AfD eine Partei zur neuen Volkspartei im Osten wurde, in deren Reihen mehrere Dutzend ehemalige inoffizielle und auch hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter Karriere machen.
Was beim pauschalen Reden über „den Osten“ oft untergeht: Es gibt in Ostdeutschland eine lebendige Zivilgesellschaft, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert und für Demokratie eintritt. Ja, sogar Menschen, die rechtsextreme Wahlerfolge als Appell verstehen, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, um dort der rechtsextremen Landnahme etwas entgegenzusetzen. Menschen, die trotz Übermacht nicht aufgeben wollen. Diese Kräfte zu stärken und die Besonderheiten der ostdeutschen Geschichte und Gegenwart in den politischen Diskurs einzubinden, ist eine wichtige Aufgabe für die kommenden Jahre.
Statt Ostdeutschland als Problemregion abzustempeln, müssen differenzierte politische Strategien entwickelt werden, die die realen Sorgen der Menschen vor Ort aufgreifen und Lösungen anbieten – und sich nicht von den Themen treiben lassen, die Rechtsextreme den Leuten einreden. Kein Asylsuchender, der abgeschoben wird, schafft einen Ausbildungsplatz. Keine Grenzkontrolle lässt einen Bus öfter fahren. Kein abgeschaffter Rundfunkbeitrag führt dazu, dass sich eine Arztpraxis ansiedelt.
Nächste Wahl: Bundestagswahl 2025 – Weichenstellung für die Zukunft
Mit den Ergebnissen der Landtagswahlen im Osten wirft die Bundestagswahl 2025 bereits jetzt ihren Schatten voraus. Die demokratischen Parteien müssen ihre Anstrengungen verstärken, um rechtsextreme Kräfte zurückzudrängen. In der Auseinandersetzung mit dem parlamentarischen Rechtsextremismus wirken demokratische Parteien nach wie vor überfordert. Die Wahlen in Sachsen und Thüringen haben gezeigt, dass es nichts hilft, den migrationsfeindlichen Kurs der AfD zu bedienen. Hier wird der rechtsextremen Partei, trotz unverhohlenem Rassismus und Deportationsplänen, unlängst eine enorme „Problem“lösekompetenz zugeschrieben.
In Brandenburg mobilisierten die demokratischen Parteien vor allem gegen die AfD. Es war ein Wahlkampf, der hauptsächlich gegen Demokratiefeinde und Rechtsextreme geführt wurde. Was diese Bedrohung ausmacht oder welchen Hass und gewaltsame Bedrohung Menschen vor Ort schon längst erleben, blieb diffus. Genauso wie eigene Politikkonzepte oder Ideen, wie eine lebenswerte Zukunft in Brandenburg aussehen könnte.
Der Erfolg der AfD in Brandenburg könnte Signalwirkung haben, wenn nicht energisch gegengesteuert wird – gerade weil das Land in der Bekämpfung von Rechtsextremismus in der Vergangenheit einiges richtig gemacht hat. Es geht dabei nicht nur um Wahlkampfstrategien, sondern um eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den Ursachen für den Aufstieg der AfD.
Hohe Wahlbeteiligung: Appelle zum Wählen gehen reichen nicht aus
Ein häufig gehörter Appell bei Wahlen lautet, die Wahlbeteiligung zu steigern, um demokratiefeindliche Parteien kleinzuhalten. In Brandenburg war die Wahlbeteiligung mit über 72,9 % jedoch vergleichsweise hoch. Umfragen belegen, dass immer mehr Menschen die Rechtsextremen aus tiefer Überzeugung und nicht aus Protest wählen. Die Bürger*innen wissen, wofür diese Partei steht, was sie bekommen – egal ob sie für oder gegen die Rechtsextremen sind. Demokratiefeinde gehen verlässlich wählen, das war schon immer so.
Einfache Appelle zum Wählen allein reichen nicht aus, um rechtsextremen Parteien das Wasser abzugraben. Vielmehr müssen die demokratischen Parteien inhaltlich stärker überzeugen, besonders in den Regionen, die sich von der Politik abgehängt fühlen. Es gilt, Politik greifbarer zu machen und Antworten auf die drängenden sozialen und wirtschaftlichen Fragen zu liefern. Statt einfache Wahlkampfparolen zu wiederholen und sich dadurch abzugrenzen, dass man die Alternative zur rechtsextremen Alternative ist, kann nur eine Politik, die sich den realen Sorgen der Menschen widmet, der weiteren rechtsextremen Raumnahme entgegenwirken.
Die Zivilgesellschaft kann es nicht allein: die Verantwortung der demokratischen Parteien
Die Wahl in Brandenburg zeigt, dass die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus auf mehreren Ebenen geführt werden muss. Hier ist auch der Bund gefragt, denn dort gibt es nach wie vor demokratische Mehrheiten und Mittel unsere Demokratie zu schützen. Der Schutz unserer Demokratie muss Chefsache werden. In Demokratieförderung muss genauso investiert werden, wie in Autobahnen. Es wird nicht ausreichen, sich auf die anstehende Bundestagswahl 2025 vorzubereiten, ohne grundlegende Fragen der politischen Kultur zu beantworten. Es geht um eine Erneuerung der politischen Ansprache, um den Abbau von regionalen Ungleichheiten und um eine Stärkung der demokratischen Kultur, besonders bei jungen Menschen.
All das leisten etliche Engagierte und Initiativen, eine demokratische Zivilgesellschaft vor Ort. Aber sie spürt enormen Druck, das Ende der eigenen Kapazitäten und fehlenden Rückhalt. Demokratie ist nichts, was outgesourct werden kann und sich von selbst wieder einpegelt. Die demokratischen Parteien stehen vor der Aufgabe, sich den gesellschaftlichen Herausforderungen mit klaren Konzepten zu stellen – bevor sich die Erfolge der AfD bei der Bundestagswahl 2025 wiederholen.