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Neonazi-Rädelsführer freigesprochen: Zweites Urteil im rassistischen Mord an Samuel Yeboah

Am 19. September 1991 verübte mindestens ein Täter einen Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Saarlouis. Dabei starb der 27 Jahre alte Ghanaer Samuel Kofi Yeboah. Über 30 Jahre später könnte der Fall aufgeklärt werden, Angeklagte stehen vor Gericht. In einem zweiten Prozess wurde ein mutmaßlicher Täter trotz belastender Zeugenaussagen freigesprochen.

Von Josephine Köhne

Vor knapp 33 Jahren, am 19. September 1991, verübte mutmaßlich mindestens ein Täter einen Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Saarlouis (Saarland). Von den 21 Menschen, die zur Tatzeit im Haus waren, konnten einige dem Tod gerade noch entkommen: Zwei Menschen sprangen, um sich und ihr Leben zu retten, aus dem Fenster und erlitten teils schwere Verletzungen. Ein Mensch verlor in dieser Nacht in den Flammen sein Leben. Samuel Kofi Yeboah aus Ghana wurde im Alter von 27 Jahren durch eine rassistische Gewalttat ermordet.

Nach über 30 Jahren fällt ein erstes Urteil

Noch heute fehlt es an Aufklärung zum rechtsextremen Hintergrund der Tat. Der Brandanschlag reiht sich ein in eine rassistisch motivierte Gewaltserie in den 1990er Jahren, die insbesondere in Ostdeutschland ein gewaltiges Potenzial an Hass und Gewalt freisetzte.

Über 30 Jahre später, im Oktober 2023, wird in einem ersten Prozess zum Fall Saarlouis Peter Werner S., Anhänger der damaligen Neonaziszene, verurteilt. Das Urteil: Mord und versuchter Mord in 20 Fällen sowie Brandstiftung mit Todesfolge. Für den Täter bedeutet das sechs Jahre und zehn Monate Haft – eine Jugendstrafe, da er zum Tatzeitpunkt erst 20 Jahre alt war. Das Urteil ist bis jetzt noch nicht rechtskräftig.

Der Stolz auf die Tat wird zum Verhängnis

Dass es sich nicht um eine „Jugendsünde“ handelte, wird bei einer Grillparty 2007 deutlich. Da prahlte Peter Werner S. mit seiner Tat vor einer Zeugin. Doch erst 12 Jahre später geht sie damit zur Polizei. Nach eigener Aussage erfuhr sie erst 2019 von dem Mordopfer der Tat. Nicht die Ermittlungsarbeit und Akribie der Polizei, sondern der eigene Stolz wurde dem Täter zum Verhängnis.

Ob es sich wirklich nur um einen Täter handelte, wurde letzte Woche vor dem Oberlandesgericht Koblenz verhandelt. Dort stand Peter St. vor Gericht: Er gilt als Rädelsführer der Saarlouiser Neonaziszene in den 1990ern.

“Hier müsste auch mal so etwas brennen”

Das soll Peter St. laut seinem früheren Neonazi-Kameraden Holger S., dem Hauptzeugen, am Vorabend der Tat in einer Gaststätte gesagt haben und spielte damit auf die rassistischen Übergriffe von Hoyerswerda 1991 an. Wegen plötzlicher Gedächtnislücken ist sich Holger S. doch nicht mehr sicher und revidiert seine zuvor häufig getätigte Aussage von „brennen“ zu „passieren“ und somit seine stark belastenden Aussagen. Ob aus Angst vor Racheaktionen aus der rechtsextremen Szene, kann nur gemutmaßt werden.

Aus der Aufforderung zur Brandstiftung wird ein Aufruf zur Randale und somit ein verjährter Strafbestand. Letzten Endes gab es für den Angeklagten dadurch einen Freispruch.

Freispruch trotz belastender Zeugenaussagen

Der plötzliche Sinneswandel und die veränderten Aussagen von Holger S. veränderten den Prozess komplett. Aufgrund der eindrücklichen Beweislage hat die Nebenklage Revision angekündigt. Denn neben Holger S. gibt es noch weitere damalige Neonazis, die dessen erste Schilderungen untermauern.

Ein Zeuge sagt aus, dass am besagten Abend von Benzin als Hilfsmittel zur Tat gesprochen worden sein soll. Zwei weitere frühere Nazikameraden bekräftigen das Bild seiner Rolle als Rädelsführer und Initiators des Brandanschlags. Sie berichten von einem ungleichen Zweiergespann: Peter St. soll manipulativ gewesen sein und Peter Werner S. jemand, der alles für den „Boss“ tat.

Unzureichende Beweislage wegen unzureichender Ermittlungen

33 Jahre später ist die Beweislage für das Gericht nicht eindeutig genug. Das wundert kaum, denn die damaligen Ermittlungen schlossen bereits nach zwei Wochen einen rechtsextremen Tathintergrund aus und das trotz eindeutiger Hinweise und Indizien auf die Saarlouiser Neonaziszene. Auch Verbindungen der damaligen Neonazis zum NSU sind bekannt. Trotzdem wird der Anschlag bis heute nicht als rassistischer oder rechtsextremer Fall bei der Polizei angeführt.

Und auch das Gedenken in Saarlouis gestaltet sich schwer. Noch heute kämpfen antirassistische Initiativen für ein würdevolles Gedenken der Opfer, insbesondere an Samuel Yeboah.

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