Die DDR holte in den achtziger Jahren etwa 60.000 vietnamesische Vertragsarbeiter ins Land. Nach der Wende mussten viele nach Vietnam zurückkehren, einige tausend aber konnten bleiben. Ihre Geschichten werden jetzt erstmals in einer Ausstellung erzählt.
„Ich mache keine Fehler, weil ich ein Ausländer bin, sondern weil ich ein Mensch bin“. Phan Huy Thao sitzt auf einem schwarzen Sofa im Eingangsbereich des Vereins Reistrommel im Berliner Stadtteil Marzahn und lässt die letzten 20 Jahre seines Lebens Revue passieren. Rassismus habe er schon häufig erlebt in Deutschland, erzählt er. Rechtsextreme hätten ihn angepöbelt, aber auch „ganz normale Leute“ auf der Straße, und das nur, weil er eine Verkehrsregel nicht beachtet hatte. Was Phan aber fast noch mehr ärgert ist der alltägliche, teilweise unbewusste Rassismus, der so schwer aus den Köpfen herauszukriegen ist: „Es gibt viele Menschen, die laufen mit diesem Vorurteil herum, dass alle ‚Ausländer’ in Deutschland schwarz arbeiten“. Mit diesen Widrigkeiten hat Phan gelernt umzugehen, sie sind Teil seines nicht immer einfachen Lebens geworden. In vier Jahren wird er die Hälfte davon in Berlin verbracht haben. Sein Lebensmittelpunkt ist in Deutschland, nicht in Vietnam. Hier hat er seine Frau kennen gelernt, hier sind seine Kinder geboren.
Der heute 44-jährige Phan Huy Thao war noch sehr jung, als er im Dezember 1989 in die bereits zerbröckelnde DDR kam, um dort als Sprachmittler in einem Betrieb zu arbeiten. Die Aussicht, im Ausland eine Arbeit zu finden und Geld zu verdienen, um die Familie in Vietnam zu unterstützen, war für den damals 24-Jährigen verlockend. Er war jung und sah seinen Aufenthalt als neue Herausforderung an. Zum Zeitpunkt seiner Ankunft war die Mauer zwar schon gefallen, doch was in den darauf folgenden Monaten noch auf ihn zukommen würde, hätte er damals wohl nicht für möglich gehalten. Wie 90 weitere Landsleute wurde Phan Ende 1989 in einem Betrieb eingesetzt, um zwischen vietnamesischen und deutschen Mitarbeitern zu dolmetschen. Er musste sich auf den anstrengenden Schichtdienst umstellen, an den er nicht gewöhnt war. Mit den deutschen Kollegen verbrachte er nur wenig Zeit. Aber er hat auch positive Erinnerungen an die ersten Monate in Deutschland: mit Freude denkt er an die Weihnachtsfeier mit seinen Kollegen zurück. Eine ganz neue Erfahrung.
Ein unbekanntes Kapitel der DDR-Geschichte wird aufgedeckt
Doch das politische Erdbeben des Mauerfalls forderte die ersten Opfer: ein Betrieb nach dem anderen musste dicht machen, zuvor wurden zahlreiche Mitarbeiter entlassen. Die Vertragsarbeiter waren die ersten, die ihren Hut nehmen mussten. Phan war einer von ihnen, nur drei Monate hatte er als Sprachmittler gearbeitet. Jetzt war er plötzlich arbeitslos. Sein Vertrag hatte ursprünglich eine Aufenthaltsdauer für fünf Jahre vorgesehen. Aus der Gruppe, mit der er angekommen war, gingen 75 nach Vietnam zurück.
Phan entschied sich zu bleiben, trotz der unsicheren Zukunft. Er absolvierte eine Fortbildung, fand einen Job als Sozialberater. Und er lernte in dieser Zeit seine heutige Frau kennen. 1991 kam ihre erste Tochter zur Welt. Sechs Jahre später absolvierte er ein Studium zum Sozialarbeiter, heute hat er eine Stelle im vietnamesischen Kulturverein Reistrommel im Berliner Stadtteil Marzahn, wo bis heute der Großteil der ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter lebt. Der Verein, der aus einem Beratungszentrum für Migranten hervorgegangen ist, hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebenssituation ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter zu verbessern. Dazu gehört nicht nur Beratung und Betreuung, sondern auch Aufklärungsarbeit. Denn in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist kaum etwas bekannt über die schwierigen Bedingungen, unter denen die DDR-Vertragsarbeiter leben mussten.
Eine Wissenslücke, die allmählich gefüllt werden soll. Erstmals berichtet jetzt eine Ausstellung („Bruderland ist abgebrannt“) des Reistrommel e.V. über die Biografien der Vertragsarbeiter, die im Rahmen der „sozialistischen Bruderhilfe“ in den Arbeiter- und Bauernstaat geholt wurden. Schätzungsweise 60.000 Arbeitskräfte stammten aus Vietnam, weitere, allerdings in weitaus geringerer Zahl, kamen aus Angola, Mosambik, Kuba und anderen Ländern. Was sie in der DDR erwarten würde, wussten die meisten von ihnen nicht, denn weder ihre Heimatländer noch die DDR hatten sie auf die dortigen Lebens- und Arbeitsbedingungen vorbereitet. Die Amadeu Antonio Stiftung hat die Ausstellung unterstützt, da diese sich einem Thema widmet, das bis zum heutigen Tag von der Mehrheitsgesellschaft größtenteils ausgeblendet wird und daher einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf.
Die Vertragsarbeiter wurden in separaten Wohnheimen untergebracht, der Kontakt zur Mehrheitsbevölkerung war nicht gern gesehen. Um einen Eindruck von den äußerst beengten Wohnverhältnissen zu geben, wurde in der Ausstellung ein Zimmer originalgetreu nachgestellt: ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl und ein kleines Regal hatten darin Platz, mehr nicht. Wer Geschenke für die Familienangehörigen in Vietnam oder Angola besorgt hatte, musste sie aus Platzgründen unter dem Bett verstauen.
Die Eingewöhnung war nicht einfach
Auch Khanh Hu Duong hat in einem solchen Wohnheim gelebt, fünf Jahre lang. Heute arbeitet sie ebenfalls beim Reistrommel-Verein und hat ähnliche Erfahrungen gemacht wie ihr Kollege. Auch sie hat ihre Liebe in Berlin gefunden, allerdings 20 Jahre früher als Phan. Ihr Mann und sie heirateten in den siebziger Jahren in Vietnam, kehrten aber 1997 nach Deutschland zurück. An ihre Anfangszeit in der DDR erinnert sie sich gut, und sie hat gemischte Gefühle, wenn sie daran zurückdenkt: „Ich musste mich an den kalten, dunklen Winter in Berlin erst gewöhnen, das war nicht einfach“. Auch die Menschen, so Khanh, seien ihr in der fremden grauen Stadt sehr kalt vorgekommen, so distanziert. „Aber glücklicherweise haben wir auch deutsche Familien kennen gelernt, die anders sind, und zu denen haben wir heute noch guten Kontakt!“.
Ein ähnlich zwiespältiges Verhältnis zu Deutschland hat auch Khanh’s Kollegin Thao Nguyen*: „Deutschland ist meine Heimat, meine beiden Kinder sind hier geboren, aber manche Menschen gehen nicht gut mit uns um“. In der Ausländerbehörde musste sie schon häufig misstrauische oder unterschwellig rassistische Bemerkungen über sich ergehen lassen, in Brandenburg wurde sie von einer Frau beschimpft. Sie solle zurück nach Hause gehen, da wo sie herkommt! Lange musste Thao nicht fahren, um „zu Hause“ zu sein. Denn für sie wie auch für ihre Arbeitskollegen bei der Reistrommel ist Deutschland längst zur neuen Heimat geworden. Ihre Lebensgeschichten werden in der Ausstellung „Bruderland ist abgebrannt“ präsentiert – bis zum 30. Dezember im Havemanncenter in Berlin-Marzahn.
Jan Schwab
* Name von der Redaktion geändert