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Ostritz: Eine Stadt wehrt sich erfolgreich gegen Nazis

Erfolgreich gegen Nazis gewehrt: Das Ostritzer Friedensfest. Foto: Internationalen Begegnungszentrum Sankt Marienthal

Nazis die Stadt überlassen? Das kommt für die Ostritzer*innen nicht in Frage. Überregional bekannt wurde die kleine sächsische Stadt wegen des rechtsextremen „Schild und Schwert“-Festivals. Über mehrere Jahre versuchen Neonazis den Ort zum Schauplatz für ihre menschenverachtenden Inhalte und Aktivitäten zu machen und ungestört zu Rechtsrock zu feiern. Die Ostritzer*innen wehren sich erfolgreich dagegen und setzen der braunen Party ihr eigenes Festival entgegen. Gemeinsam können sie zeigen, dass sich zivilgesellschaftliche Vernetzung lohnt und ihre Stadt bunt statt braun ist. Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt sie von Anfang an dabei.

Von Lea Wolters

Sachsen gilt neben Thüringen als Hochburg von Rechtsrock-Konzerten. Konzerte und Festivals der Szene dienen der Vernetzung, der Finanzierung und der Rekrutierung von Nachwuchs.. 2018 machte der Thüringer NPD-Chef und Neonazi Thorsten Heise das sächsische Ostritz mit dem von ihm organisierten „Schild und Schwert“-Festival, kurz: SS-Festival, zu einem Zentrum der rechtsextremen Szene. Der NPDler ist für seine engen Kontakte zu gewalttätigen rechtsextremen Gruppierungen wie Combat 18 bekannt und selbst mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung.

Neonazis vereinnahmen die Region

Am 20. April strömten mehrere hundert Neonazis in den beschaulichen Ort und machten keinen Hehl daraus, an diesem Tag auf dem Festival den Geburtstag Adolf Hitlers zu feiern. Auch im Folgejahr wurde das Datum bewusst gewählt, um den Jahrestag der Kriegserklärung an die Sowjetunion zu zelebrieren. Das Festival diente nicht nur als Ort für menschenverachtende Musik und Kampfsport-Vorführungen, sondern vor allem als Vernetzungsort für die rechtsextreme Szene. So tummelten sich nicht nur deutsche Neonazis auf dem Festivalgelände, auch Rechtsextreme aus Polen, Tschechien und Mitglieder der mittlerweile in Deutschland verbotenen Gruppierung Combat 18 reisten aus den USA an. Neben dem rechtsextremen Festival fand 2018 auch das Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“ – das Highlight der bundesweiten rechtsextremen Kampfsport-Szene – in Ostritz statt. Als einer der Initiatoren der Veranstaltung galt Malte Redeker, Deutschland-Chef und Europasekretär der mittlerweile in Deutschland verbotenen „Hammerskins”. Im November 2019 sprach Redeker auf einer Bühne der Veranstaltung offen vom viel beschworenen Tag X, auf den sich die Szene mit dem Kampfsporttraining vorbereiten müsse. Die Veranstaltung, die vorher an wechselnden Orten stattfand, ermöglichte über Jahre hinweg einen Raum dafür, sich gemeinsam auf die gewalttätige Umsetzung der eigenen politischen Ziele vorzubereiten.

Gemeinsam gegen den Hass

Von Beginn an regte sich in Ostritz aber auch Widerstand gegen das rechtsextreme Festival in der Stadt. Das martialische Auftreten der militanten Neonazis erzeugte eine bedrohliche Kulisse in dem beschaulichen Ort. Für viele Bewohner*innen der Stadt war jedoch schnell klar, dass Neonazis nichts in ihrer Stadt zu suchen haben und man möglichst schnell dagegen aktiv werden müsse. Bereits 2018 schloss sich ein Bündnis aus Bürger*innen, Vereinen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, um Neonazis etwas entgegenzusetzen. Stefanie Patron, Projektleiterin beim Internationalen Begegnungszentrum Sankt Marienthal, berichtet, dass die Anfänge zwar noch etwas chaotisch waren, da in kürzester Zeit gehandelt werden musste, doch aufgrund des großen Engagements von Freiwilligen und Ehrenamtlichen aus der Stadt schnell ein großes und kreatives Angebot auf die Beine gestellt werden konnte.

Gemeinsam mit der Stadtverwaltung und dem IBZ Sankt Marienthal wurde das Ostritzer „Friedensfest“ ins Leben gerufen, das seitdem als Gegenveranstaltung zum Rechtsrock-Festival ein klares Zeichen für eine vielfältige und offene Gesellschaft setzt. Das Fest setzt sich vor allem dafür ein, einen breiten gesellschaftlichen Konsens gegen Rechtsextremismus zu etablieren und dabei einen Raum für Jung und Alt, sowie Menschen aus unterschiedlichen Kontexten zu schaffen. Die Hoffnung der Veranstalter*innen war und ist es, möglichst viele Menschen in der gesamten Region zu erreichen und zu ermutigen, sich Rechtsextremismus mit demokratischen Mitteln entschlossen entgegenzustellen.

Den Nazis die Bühne stehlen

Bereits seit fünf Jahren erweist sich das Fest als ein erfolgreiches Projekt und ist Teil des gesellschaftlichen Lebens in Ostritz. Der Kreis von Unterstützer*innen wurde mit der Zeit immer größer und viele Menschen bereicherten die Veranstaltung durch diverse Angebote. Das Fest bietet jedes Jahr ein breites Angebot aus Bildung, Kunst und Kultur. Den Veranstalter*innen war es dabei besonders wichtig, möglichst niedrigschwellige Bildungsangebote zu schaffen und diese offen zu gestalten, sodass möglichst viele Menschen sich angesprochen fühlen und Lust haben, teilzunehmen. In den letzten Jahren sind immer wieder bekannte Musiker*innen wie beispielsweise Matze Rossi oder Keimzeit auf dem Fest aufgetreten. Alle Bands, die auf dem Fest spielen, treten ehrenamtlich auf, um die Stadt bei ihrem Kampf gegen Rechtsextremismus zu unterstützen.

Mit der Zeit schaffte es das Ostritzer Friedensfest zunehmend, den Nazis die Bühne zu stehlen. Die mediale Aufmerksamkeit richtete sich immer mehr weg von dem Neonazi-Treffen auf die Gegenveranstaltung und das zivilgesellschaftliche Engagement vor Ort.

Das Engagement der Bewohner*innen fand in der Vergangenheit nicht nur auf dem Fest auf dem Marktplatz Ausdruck. Nachdem die Polizei auf dem Gelände des Neonazi-Festivals ein Alkoholverbot durchgesetzt hatte, sorgten die Ostritzer*innen gemeinsam dafür, den Rechtsextremen auch außerhalb vom Festivalgelände die Party zu verderben. Mit einer koordinierten Aktion kauften sie gemeinsam den gesamten Biervorrat des örtlichen Supermarkts auf, sodass sich die Neonazis auch anderweitig nicht mit Alkohol eindecken konnten.

Gesellschaftlicher Widerstand lohnt sich

Mittlerweile scheinen auch die Neonazis gemerkt zu haben, dass sie in Ostritz nicht willkommen sind. Nachdem 2019 die Kampfsportveranstaltung „Kampf der Nibelungen“ vom Verwaltungsgericht Dresden verboten wurde, ist auch vom „Schild und Schwert“-Festival seit ein paar Jahren nichts mehr zu sehen. Als schließlich das Festival seit dem Jahr 2020 zunächst zwei Mal verschoben wurde, fällt die braune Party nun endgültig aus. Für die Bürger*innen der Stadt ist das ein Grund zur Freude und eine weitere Motivation, das Friedensfest auch in diesem Jahr wieder gemeinsam lebendig werden zu lassen.

Das Ostritzer Friedensfest fand am 15. September 2023 wieder statt. Es ist eine Erfolgsgeschichte und über die Grenzen der Region hinaus als positives Beispiel bekannt geworden. Stefanie Patron sieht den Erfolg des Festes vor allem darin, dass es sich aus der Gesellschaft vor Ort entwickelt hat und maßgeblich von den Ostritzer*innen selbst getragen wird. Organisatorische und bürokratische Fragen, die häufig nicht so schnell zu lösen sind, wurden in Ostritz durch ein schnelles und funktionierendes Zusammenwirken der Bewohner*innen mit der Stadtverwaltung und dem IBZ Sankt-Marienthal bewältigt.

Am Beispiel Ostritz zeigt sich, dass sich zivilgesellschaftliche Vernetzung und Widerstand lohnen und dass es einen Unterschied macht, wenn Menschen gemeinsam ihre Stadt gestalten. Gemeinsam haben die Ostritzer*innen über Jahre hinweg deutlich gemacht, dass in ihrer Stadt kein Platz für den braunen Hass ist. Darauf können sie zu Recht stolz sein. Wir freuen uns sehr, dieses Projekt auch weiterhin zu fördern!

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