In Oldenburg hat ein Polizist einen 21-jährigen Schwarzen mit Schüssen von hinten getötet. In Konfliktsituationen mit der Polizei haben PoC schlechtere Chancen als weiße diese zu überleben, das seien „amerikanische-Verhältnisse“, sagt ein Polizeiforscher.
In der Nacht zu Ostersonntag wollte der 21-jährige Lorenz eine Disco in der Oldenburger Innenstadt betreten. Dort verwehrte man ihm den Einlass. Laut der Polizeimeldung habe er anschließend „Menschen verletzt und bedroht“, weshalb ein Beamter von seiner Schusswaffe Gebrauch machte und Lorenz das Leben nahm. Die Erzählung, Lorenz sei mit einem Messer bewaffnet gewesen, musste die Staatsanwaltschaft am Mittwoch dementieren. Vor den tödlichen Schüssen soll der junge Schwarze mit Reizgas gesprüht haben.
Drei Schüsse von hinten
Eine Obduktion ergab, dass der 21-Jährige dreimal von hinten getroffen wurde: in Hüfte, Oberkörper und Kopf. Ein vierter Schuss soll ihn am Oberschenkel gestreift haben. Der 21-Jährige starb der Polizei zufolge im Krankenhaus. Gegen den Polizisten ist ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Totschlags eingeleitet worden – das ist in solchen Fällen Routine.
Lorenz’ Tod macht viele Menschen betroffen. Sie wirft Fragen auf: War es den Beamt*innen nicht möglich, Lorenz auch ohne Waffengewalt zu mäßigen? Wie bedrohlich war die Situation, wenn Lorenz mit drei Schüssen von hinten getroffen wurde? Spielt die Hautfarbe von Lorenz eine Rolle, für die massive Gewaltanwendung der Polizei? Lorenz war Schwarz.
Polizeiproblem: Nicht weiße haben schlechtere Chancen einen Polizeieinsatz zu überleben
Rassismus, rassistische Denkmuster, sind tief in der deutschen Gesellschaft verankert und machen auch vor dem Sicherheitsapparat nicht Halt. Der Fall von Oury Jalloh wird oft als Beispiel genannt, wenn es um Rassismus in der Polizei geht. Aber er ist kein Einzelfall. In den letzten Monaten und Jahren sehen wir eine Zunahme rassistischer Polizeigewalt sowie mutmaßlicher Polizeimorde.
Polizeiforscher Alexander Bosch sieht zunehmend US-amerikanische Verhältnisse auch in Deutschland. „In den USA wissen wir, dass Polizist*innen bei PoC eher Schusswaffengebrauch machen als bei weißen“. Und auch in Deutschland scheint, „dass weiße Menschen in Stress- und Konfliktsituationen mit Beteiligung der Polizei eine größere Chance haben, diese zu überleben, als nicht-weiße Menschen“, so Bosch. „Das ist der Moment des strukturellen Rassismus in der Polizei“. Wissenschaftliche Daten gebe es dazu allerdings für Deutschland noch nicht, wären aber eine Untersuchung wert.
Rassistische und antisemitische Polizei-Chats, Machtmissbrauch im Amt, Racial Profiling, weit verzweigte rechtsextreme Netzwerke, tödliche Polizeigewalt – laut Innenministerien und Sicherheitsbehörden alles nur Einzelfälle. Für den Fall des gewaltsamen Todes von Lorenz stehen nun die staatlichen Institutionen in der Pflicht, vollumfänglich aufzuklären, wie es zu der Schussabgabe kam. In der Vergangenheit blieben bei ähnlich gelagerten Fälle immer Restzweifel, räumt der Polizeiforscher ein.
Denn: Statistiken belegen, dass Polizist*innen nach tödlichen Einsätzen fast nie belangt werden. Auch übermäßige Gewalt im Einsatz wird selten geahndet. Die Erfolgsaussichten nach einer Anzeige sind gering. Laut dem Statistischen Bundesamt wird ein Großteil der Verfahren gegen Polizeibedienstete eingestellt, bei 4.500 Ermittlungsverfahren im Jahr 2020 wurden lediglich 70 Strafverfahren eingeleitet.
Ermittlungsverfahren gegen Polizisten eingeleitet
Auch gegen den Polizisten aus Oldenburg wird nun ermittelt, wie in solchen Fällen üblich, von einer anderen Dienststelle, hier durch die Nachbardienstelle Delmenhorst. Alexander Bosch zweifelt jedoch an einer gänzlich unabhängigen Ermittlung. Schließlich sei es zum einen noch dieselbe Institution, die hier ermittelt. Zum anderen deutet er auf eine mögliche Wechselwirkung solcher Ermittlungen hin: 2021 starb in Delmenhorst der 19-jährige Qosay Khalaf, nachdem er im Polizeigewahrsam kollabiert war. Damals hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg die Ermittlungen aufgenommen.
„Viel eher sollte es unabhängige Ermittlungsstellen für die Polizei geben“, meint Alexander Bosch. Aber auch ein unabhängiger Polizeibeauftragter mit Kompetenzen wie in Bremen oder Berlin wäre ein Fortschritt, meint Alexander Bosch weiter, „weil sich diese mit strukturellen Fehlentwicklungen in der Polizei beschäftigen können“.
Unabhängige Polizeibeauftragte fungieren wie eine Art Ombudsstelle, die in den Parlamenten angesiedelt sind. Noch gibt es diese Funktion in Niedersachsen nicht, sondern nur eine exekutive Beschwerdestelle. Ihre Einrichtung ist jedoch laut Koalitionsvertrag geplant, wird jedoch von der Polizeigewerkschaft kritisiert. „Durch solch eine Ombudsstelle könnte die Unabhängigkeit von Aufklärungsarbeit zwar nicht gewährleistet werden, aber sie könnten darauf einwirken, strukturelle Fehler zu beseitigen“, so Bosch.
Es braucht Aufklärung und Vertrauen
Staatliche Institution müssen nun aufklären, wieso Lorenz, ohne dass er mit einem Messer bewaffnet gewesen war, von hinten erschossen wurde. Über die Jahre verloren gegangenes Vertrauen muss zurück zugewonnen werden.
Dass in der Vergangenheit ähnlich gelagerte Fälle von Polizeigewalt in der Öffentlichkeit diskutiert wurden und überhaupt als solche wahrgenommen wurden, ist zu großen Teilen Betroffenen und Engagierten zu verdanken. „Überall dort, wo in den vergangenen Jahren Menschen durch Polizeigewalt gestorben sind, tauchten kurze Zeit später Initiativen auf, die Aufklärung einfordern, Erinnerung pflegen und trotz eines staatlichen und gesellschaftlichen Widerstands keine Ruhe geben. So auch nach den aktuellen Ereignissen in Oldenburg.“ schreibt Mohamed Amjahid in einem Kommentar für die taz. Die Initiative Gerechtigkeit für Lorenz entstand schnell nach dem gewaltsamen Tod.
In den kommenden Tagen finden bundesweit zahlreiche Demonstrationen statt, die Aufklärung und Gerechtigkeit für den Tod von Lorenz fordern.
Anmerkung der Redaktion, 25.04.2025:
Donnerstagnachmittag veröffentlichte die Staatsanwaltschaft eine Pressemitteilung, wonach bei dem Getöteten das Messer sichergestellt wurde.