Berlin, 07. November: Die Amadeu Antonio Stiftung begrüßt in weiten Teilen die heute vom Deutschen Bundestag verabschiedete Resolution “Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken”. Ein Jahr nach dem 7. Oktober und damit einem Jahr des Rekordhochs von Judenhass in Deutschland ist die Resolution das lange überfällige Bekenntnis zum Schutz jüdischen Lebens, das Jüdinnen und Juden schmerzlich vermissen. Dass sich der Deutsche Bundestag zum Schutz jüdischen Lebens bekennt, ist mit Blick auf den eskalierten Deutungskampf darum, was Antisemitismus ist und was vermeintlich nicht, eine Vergewisserung, dass die deutsche Politik sich nicht länger von der Verharmlosung des Antisemitismus treiben lässt. Die Resolution ist ein Kompromiss, der sich an ihrer konkreten Umsetzung in Praxis messen lassen muss, um den Judenhass in all seinen Formen zurückzudrängen. Es ist auch Aufgabe einer demokratischen Zivilgesellschaft, die Resolution mit Leben zu füllen.
Tahera Ameer, Vorständin der Amadeu Antonio Stiftung erklärt: “An dieser Resolution wird sich das Handeln der Politik, aber auch die Gesellschaft messen lassen müssen. Die Reaktionen auf den Resolutionsentwurf sind beunruhigend: Das wichtige Zeichen einer solchen fraktionsübergreifenden Resolution, dass Betroffene seit Monaten erwarten, wird umgedeutet.
In diesem Kampf um die Definitionshoheit, was Antisemitismus vor allem nicht sei, geht es längst nicht mehr um die katastrophale Lage für Jüdinnen und Juden und die Notwendigkeit im Kampf gegen Antisemitismus voranzukommen. Wenn sich etliche prominente Stimmen, gegen eine Resolution aussprechen, die Jüdinnen und Juden erwarten, dann wird deutlich, dass sich nur die Wenigsten für den Alltag von Jüdinnen und Juden interessieren, der von Antisemitismus bestimmt ist. Jüdische Gemeinden, Organisationen und Einzelpersonen müssen immer wieder ihre Lage erörtern und um eine Anerkennung ihrer Situation kämpfen. Mit Davidsternen markierte Wohnhäuser, Angriffe auf hebräisch sprechende Personen, Terrorverherrlichung auf den Straßen und Polizeischutz vor Synagogen sind keine Realität, mit der sich diese Gesellschaft arrangieren sollte.
Die Amadeu Antonio Stiftung steht an der Seite der Betroffenen von Antisemitismus. Jetzt ist nicht der Moment zum Zerreden, jetzt gilt es gemeinsam gegen Judenhass ins Handeln zu kommen.”
Eine der prominentesten Debatten zur Bundestagsresolution dreht sich um die IHRA-Arbeitsdefinition, die seit Jahren zu delegitimieren versucht wird. Der Anlass hier ist wie bereits in der Vergangenheit die Definitionsfrage über israelbezogenen Antisemitismus. Die IHRA-Arbeitsdefinition hat sich in der Praxis bewährt. Weltweit arbeiten viele Institutionen, Regierungen und Bildungseinrichtungen gut damit. Auch wir – jetzt und fortan. Sie ist nach wie vor die Grundlage der Chronik antisemitischer Vorfälle der Amadeu Antonio Stiftung.
Tahera Ameer fügt hinzu: “Wenn zudem beklagt wird, die Resolution schränke ein, ist das eine gefährliche Umkehr. Antisemitismus muss endlich eingeschränkt werden, in Kunst und Kultur wie an der Hochschule. Es liegt auf der Hand, dass die eigentliche Arbeit nach dem Beschluss beginnt. Die jetzige Situation jedenfalls ist keine hinnehmbare Realität, nicht für Jüdinnen und Juden und auch nicht für unsere Demokratie, die ein Schutzversprechen ist. Die abwiegelnden Reaktionen und Relativierungen der letzten Tage genau wie die parallele, simplifizierende Ansicht zu ‘importiertem Antisemitismus’, die Rassismus verstetigt, lassen vermuten, dass es diesen Minimalkonsens noch immer nicht gibt.”