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Rechtsextreme radikalisieren sich in digitalen Parallelgesellschaften – Amadeu Antonio Stiftung stellt Ergebnisse ihres Online-Monitorings vor

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Berlin, 30.01.2020. Online-Radikalisierung ist der stärkste Antrieb für den internationalen Rechtsterrorismus. In digitalen Hass-Communities bilden sich rechtsextreme Parallelgesellschaften. Zu diesem Ergebnis kommt die Amadeu Antonio Stiftung nach einem zweijährigen Monitoring.

Die Terroranschläge von Christchurch, Halle und El Paso in 2019 haben gezeigt, dass Online-Radikalisierung in Hass-Communities der stärkste Antrieb für den internationalen Rechtsterrorismus ist. Die Täter berufen sich bei Anschlägen auf eine ähnliche Ideologie, wählen ähnliche Anschlagsformen, beziehen sich in Erzählungen und Manifesten aufeinander, motivieren sich damit gegenseitig und werben um Nachahmungstäter.

Radikalisierung in geschlossenen Räumen

Populäre Netzwerke wie Facebook, Youtube und Instagram gehen zunehmend gegen rechtsextreme Inhalte vor und verbannen sie von den Plattformen. Diese ‚deplatforming‘ genannte Verdrängung kostet die Rechtsextremen spürbare Reichweite und führt dazu, dass sie ihre Aktivitäten in weniger restriktive Online-Räume verlagern. Dazu gehören alternative Plattformen und ‚Dark Social‘ – geschlossene oder halb-öffentliche Medien und Messengerdienste wie Telegram und Discord. Gleichzeitig ist eine Radikalisierung von Nutzer*innen zu beobachten, die den Rechtsextremen auf diese Ausweichkanäle folgen.

„Rechtsextreme nutzen heute mehrere Plattformen gleichzeitig, um in ihren Zielgruppen Menschenhass und Verschwörungserzählungen zu verbreiten. Über ein eng verästeltes Netz von Angeboten werden unterschiedlichste Zielgruppen angesprochen und in eine alternative Online-Welt gezogen. Das wachsende generelle Misstrauen gegenüber etablierten Medien begünstigt die Entstehung von rechts-alternativen Echokammern“, erklärt Miro Dittrich, Experte für Online-Monitoring bei der Amadeu Antonio Stiftung.

Spirale der Online-Radikalisierung

Die zunehmende Abschottung und gegenseitige Bestätigung des eigenen Weltbildes verschiebt die Wahrnehmung der Wirklichkeit innerhalb dieser Online-Communities. Es entstehen alternative Wirklichkeiten, in denen keine Gegenrede stattfindet und die gegen Fakten resistent sind.

„Wenn man die Radikalisierung in diesen digitalen Parallelgesellschaften beobachtet, bekommt man den Eindruck eines kollektiven Wahns, in den sich die Nutzer in den Chatgruppen hineinsteigern. Diese Menschen sind überzeugt, Deutschland stünde vor dem Untergang und politische Lösungen könnten das nicht abwenden. Aus dieser Überzeugung ergibt sich ein Handlungszwang, mit dem in letzter Konsequenz Taten begründet werden“, führt Dittrich aus.

Rechte Strategien zur Meinungsmanipulation

Um ihre Ideologie auch in den populären Netzwerken zu verbreiten, setzen Rechtsextreme auf bewusste Strategien zur Meinungsmanipulation. Rechts-alternative Medien, Blogs und Influencer erfüllen eine Scharnierfunktion: Mit Desinformationen wie zur Herkunft eines mutmaßlichen Täters, Verschwörungserzählungen wie der Umbenennung deutscher Weihnachtsmärkte aus Rücksicht auf eine angebliche Islamisierung oder der permanenten Delegitimierung etablierter Medien als „Lügenpresse“ ebnen diese Akteure den Weg für radikalere Inhalte.

„Die Rechtsextremen führen bewusst und strategisch einen Kampf der Meinungen. Wer sich Videos zum Rundfunkbeitrag anschaut, landet schnell bei angeblich gleichgeschalteten Medien und letzten Endes bei einer angeblichen Meinungsdiktatur. Unter den Videos wird offensiv für die passenden Chatgruppen geworben. In diesen Gruppen fügen sich die ideologischen Puzzleteile zu einem großen Ganzen, scheinbare Widersprüche lösen sich in einfachen Antworten auf.“, erklärt Miro Dittrich.

Strategien gegen Online-Radikalisierung nötig

Die Auseinandersetzung mit rechtsextremer Online-Radikalisierung muss beginnen, bevor Menschen in geschlossenen Hass-Communities landen. Dies gelingt nur durch eine aufmerksame digitale Zivilgesellschaft, die Gegenrede und Widerspruch gegen Hassnarrative leistet. Technische Lösungen wie die automatisierte Einbindung von Informationen gegen Desinformationsstrategien oder Algorithmen zugunsten sachlicher anstatt populistischer Inhalte können den Einstieg in Hass-Communities erschweren.

Die Amadeu Antonio Stiftung empfiehlt die flächendeckende Förderung von Medienkompetenz im inner- und außerschulischen Bereich, um insbesondere Jugendliche gegen Strategien zur Meinungsmanipulation zu immunisieren. Konspirative Hasscommunities können nur mit höherem Verfolgungsdruck durch Netzwerkbetreiber und besser geschulte Sicherheitsbehörden aufgelöst werden.

 

Hintergrund der Analyse:

Die Amadeu Antonio Stiftung hat für die Analyse rechts-alternativer Medienstrategien über 300 verschiedene Youtube-Kanäle, mehr als 200 Telegram-Kanäle und -Gruppen und über 150 Facebook-Gruppen ausgewertet. Die Ergebnisse der Analyse über einen Zeitraum von zwei Jahren sind in dem neuen Bericht „Alternative Wirklichkeiten. Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien“ dokumentiert, der zum Download bereitsteht: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/alternative-wirklichkeiten/

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