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Weitere rechtsterroristische Anschläge in Deutschland zu befürchten

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Berlin, 15. Januar 2020. Nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem antisemitischen Anschlag in Halle in 2019 ist zu befürchten, dass sich die Serie rechtsterroristischer Angriffe in Deutschland fortsetzen wird. Zu diesem Ergebnis kommen die Autorinnen und Autoren des neuen Bandes der Schriftenreihe „Wissen schafft Demokratie“ des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.

Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass sich der Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik zunehmend als „Schwarmterrorismus“ zeigt. Immer häufiger beteiligen sich Menschen ohne vorherige Bindung an rechtsextreme Gruppen in kürzester Zeit an schweren, mehr oder weniger spontanen, rechtsterroristische Gewalttaten und Planungen. Rechtsterroristen nehmen mit ihren Taten international Bezug aufeinander und organisieren sich online in Hasscommunities. Diese dynamischen Netzwerke lassen sich flexibel anpassen und kurzfristig für Hasskampagnen und Gewalttaten mobilisieren.

„Im Internet hat sich eine offen zugängliche digitale Hasskultur etabliert, mit der neue Pfade der Radikalisierung und Rekrutierung entstanden sind“, erklärt Dr. Matthias Quent, Direktor des IDZ Jena. „Auch der Attentäter von Halle war ein Nachahmungstäter, der sich in dieser digitalen Hasskultur radikalisiert hat. Terrorismus umfasst nicht nur konspirative Angriffe auf Repräsentanten des Staates, sondern auch gefährliche und planvolle Anschläge gegen Minderheiten, zum Beispiel Flüchtlinge. Rechte Täter können allein oder in Gruppen handeln – aber sie sind immer Teil menschenfeindlicher Diskurse und Netzwerke.“

Die Forscher weisen auf das systematische Versagen der Sicherheitsbehörden und Versäumnisse bei der juristischen Aufarbeitung hin und warnen, dass der Rechtsterrorismus von staatlicher Seite zu lange unterschätzt wurde. Die Bagatellisierung des Rechtsextremismus hat das Vertrauen in den Rechtsstaat beschädigt.

„Von Extremismus und Terrorismus wird erst dann gesprochen, wenn der Staat oder seine Repräsentanten direkt attackiert werden. Rechtsterrorismus beginnt nicht mit dem Mord an Politikern. Wir erleben ihn alltäglich mit Drohungen und Angriffen auf Angehörige von Minderheiten, demokratisch Engagierte, Journalisten und Lokalpolitiker“, führt der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Samuel Salzborn aus. „Die starre Vorstellung der Sicherheitsbehörden klammert die gesellschaftlichen Ursachen für Rechtsterrorismus aus, die auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden sind. Antisemitismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit bilden den Nährboden für Rechtsterrorismus.“

Die Wirkung dieser Botschaftstaten geht über die direkt Betroffenen hinaus: Die Angriffe gelten der liberalen Demokratie, den Menschenrechten und dem Rechtsstaatsprinzip.

„Es müssen endlich wirksamere Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die jüngsten Ankündigungen der Politik sind nicht ausreichend und die Prävention kommt zu kurz“, sagt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. „Die rechtsextreme Szene hat in den letzten Jahren ein neues Selbstbewusstsein gewonnen und fürchtet kaum noch Konsequenzen für ihre Pläne und Überzeugungen. Der Verfolgungsdruck auf Rechtsextremisten muss erhöht werden. Es braucht auch eine bessere Ausbildung und Sensibilisierung in der Polizei für die Sichtweise der Betroffenen, die viel Vertrauen in die Behörden verloren haben.“

Die 19 Beiträge des Sammelbands befassen sich mit den historischen Kontinuitäten rechten Terrors in Deutschland, mit der juristischen Aufarbeitung der NSU-Morde und anderen Fällen sowie mit aktuellen Entwicklungen wie der Radikalisierung im Internet, Reichsbürgern oder der These von „Einzeltätern“.

Der Sammelband erscheint in einer Auflage von 1.000 Stück und ist kostenlos beim IDZ Jena bestellbar. Alle Beiträge werden open Access (frei zugänglich) auf der Website des IDZ zur Verfügung gestellt: https://www.idz-jena.de/schriftenreihe/band-6-schwerpunkt-rechtsterrorismus

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