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Stellungnahme

Zivilgesellschaftlicher Druck wirkt – RIAS Niedersachsen begrüßt Wiederaufnahme des Prozesses gegen Martin Kiese

Nach über drei Jahren wird am 22. Februar 2024 am Amtsgericht Braunschweig der Prozess gegen das Bundesvorstandsmitglied der rechtsextremen Partei „Die Rechte“, Martin Kiese, eröffnet. Es ist nunmehr der dritte Versuch eines Strafverfahrens gegen den rechtsextremen und antisemitischen Hetzer.

Der Angeklagte, der Rechtsextreme Martin Kiese, soll unter anderem wegen antisemitischer, rassistischer und homophober Äußerungen am 15. November und 19. Dezember 2020 strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Bundesweite Aufmerksamkeit hatte das Verfahren erregt, weil das Verfahren wegen der antisemitischen Beschimpfungen „Judenpack“ und „Judenpresse“ seitens der Staatsanwaltschaft Braunschweig gleich mehrfach eingestellt wurde. Es ist allein der Hartnäckigkeit von Betroffenen, die mehrfach gegen die unwillige Staatsanwaltschaft Braunschweig vorgegangen waren, zu verdanken, dass es nunmehr doch zu einem erneuten Verfahren kommt.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens sowie der Prozess sind ein Erfolg für alle Institutionen und Einzelpersonen, die sich in dieser Angelegenheit engagiert haben. Rebecca Seidler, Vorsitzende des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden, der sich in den letzten Jahren immer wieder für einen Prozess gegen Kiese einsetzte, erklärt:

Es ist ärgerlich und nicht nachvollziehbar, dass es so viel Zeit und Einsatz benötigte bis die Staatsanwaltschaft endlich Anklage erhob. Antisemitische Hetze muss konsequenter und schneller juristisch verfolgt werden. Ich erwarte jetzt ein deutliches Zeichen der Justiz. Es muss mit allen juristischen Mitteln unmissverständlich klar gemacht werden, dass Antisemitismus keine Meinung ist, sondern eine Straftat.

Helge Regner von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Niedersachsen nimmt die Justiz in die Pflicht:

Es ist an der Zeit klar zu benennen, dass Teile der Justiz ihrer Verantwortung für den Schutz von Minderheiten und der Demokratie nicht gerecht werden. Rassismus und Antisemitismus werden juristisch so lange kleingehäckselt, bis am Ende das Offensichtliche begraben ist: Es handelt sich um Judenhass, der die Menschenwürde der Betroffenen auf abscheuliche Weise angreift.

Dr. Kati Lang, Rechtsanwältin eines betroffenen Journalisten, zeigt sich entrüstet ob des Unwillens der Strafverfolgungsbehörden Antisemitismus anzuerkennen:

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat einen massiven Unwillen bei der Verfolgung antisemitischer Hetze gezeigt. Dass die Betroffenen auf eigene Kosten und mit immenser Ausdauer dafür sorgen mussten, dass die Justiz tätig wird, ist ein Armutszeugnis für die Strafverfolgungsbehörden.“

Zum Hintergrund:

Am 15. November 2020, dem sogenannten Volkstrauertag, fand eine von „Die Rechte“ als „Heldengedenken“ bezeichnete Kundgebung statt. Nach deren Auflösung beschimpfte Kiese anwesende Journalist*innen als „Judenpresse“ und „Judenpack“ und drohte ihnen mit „Feuer und Benzin“.

Knapp einen Monat später, am 19. Dezember 2020, beleidigte Kiese bei einer Versammlung wieder Gegendemonstrierende und Journalist*innen. Erneut wurden seine Aussagen in einem Video festgehalten. Demnach sagte Kiese: „Ihr miesen Leute aus Israel. Darauf scheiß‘ ich, auf Israel. Ich piss‘ drauf. Mein Opa hat schon gekämpft. Scheiß Israel. Du Idiot […] hat einen schon verprügelt, weil er ein Jude war. […] Du Homowichser, kommst aus Israel. […] Ich schlage keine Kinder, ich schlage nur Leute aus Israel“.

In beiden Fällen wurde zunächst wegen des Verdachts der Volksverhetzung durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt, die Verfahren aber kurz darauf wieder eingestellt. Die Staatsanwaltschaft begründete Ihre Entscheidung damit, dass „die Worte ‚Jude’ und ‚Judenpresse‘ (am 15.11.20) „objektiv keine Beleidigungen“ seien.  Für den 19.12.20 wurde festgestellt, dass „diese Äußerungen keinen abgrenzbaren Teil der Bevölkerung betrafen bzw. zu unkonkret und widersprüchlich waren“, um ein Verfahren zu begründen.

Gegen diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft regte sich Widerstand. Unter anderem stellte ein von den Beleidigungen betroffener Journalist Strafantrag und legte Beschwerde gegen die Einstellungen der Verfahren ein. Daraufhin wurde Anfang 2023 bekannt, dass wegen des Vorfalles vom 19. Dezember 2020 eine Anklage wegen Beleidigung erhoben wurde. Neu aufgenommene Ermittlungen zu Kieses Äußerungen am 15. November 2020 wurden jedoch erneut eingestellt. Begründet wurde dies damit, dass die „Aussagen gegen die anwesenden Pressevertreter gerichtet und nicht (auch) gegen die in Deutschland lebenden Juden im Allgemeinen“ gewesen seien. Pressevertreter*innen stellen demnach „keinen abgrenzbaren Teil der inländischen Bevölkerung“ dar. Ferner gab die Staatsanwaltschaft an, dass „die konkreten Äußerungen doch eindeutig gegen die Pressevertreter gerichtet [gewesen seien], bei denen es sich nicht um Juden gehandelt haben dürfte.“

Insbesondere letztere Bewertung löste Unverständnis aus, da die Staatsanwaltschaft nicht weiter ausführte, woher sie die Annahme ziehe, dass unter den beleidigten Journalist*innen keine Jüdinnen*Juden anwesend waren. Diese verfügen schließlich nicht über äußerlich wahrnehmbare Merkmale, noch unterliegen Jüdinnen*Juden einer Verpflichtung, sich als jüdisch zu erkennen zu geben. Nach der erneuten Beschwerde durch die Zivilgesellschaft und der darauf folgenden Empfehlung der Generalstaatsanwaltschaft wurde auch dieses Verfahren wieder aufgenommen.

Am 22. Februar werden nicht nur Kieses antisemitische Aussagen verhandelt: Er ist auch noch wegen rassistischer Äußerungen, so wie die Beleidigung eines weiteren Journalisten angeklagt. Die Verhandlung am Amtsgericht Braunschweig ist öffentlich.

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