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Dieter Eich

, 60 Jahre (staatlich anerkannt)

In der Nacht zum 24. Mai 2000 im Berliner Bezirk Pankow wurde der Sozialhilfeempfänger Dieter Eich in seiner Wohnung von vier Neonazis erst zusammengeschlagen und anschließend erstochen. Die Täter feierten den Mord anschließend als Heldentat.

Seine Freund:innen nannten ihn Beethoven

Über das Leben Dieter Eichs ist nur wenig bekannt. Er lebte im Ortsteil Buch in Berlin-Pankow. Seine Freunde gaben ihm den Spitznamen Beethoven. Dieter Eich hatte eine Lebensgefährtin, seit Anfang des Jahres 2000 wohnten die beiden zusammen. Zu dieser Zeit war er auf Sozialhilfe angewiesen. Kurz vor der Tat starb die Lebensgefährtin Dieter Eichs. Das stürzte ihn in eine schwere Lebenskrise.

Dieter Eich hielt sich in der Nacht zum 24. Mai 2000 in seiner Wohnung in Berlin-Pankow auf. Im selben Haus lebte seit kurzem ein junger Neonazi, der regelmäßig Partys mit anderen Rechtsextremen in seiner Wohnung feierte. An jenem Abend traf sich dieser mit drei Freunden an einem Imbiss in der Nähe des Hauses. Die vier Neonazis im Alter zwischen 17 und 21 Jahren kannten sich aus der rechtsextremen Kameradschaftsszene. Später gingen sie in die besagte Wohnung.

In der Wohnung betranken sich die vier Männer, hörten laut neonazistische Musik, heizten sich gegenseitig auf. Die Stimmung war aggressiv, wie später ausgesagt wurde. Die Neonazis beschlossen, jemanden „aufzuklatschen“. Einer der Täter schlug den „dreckigen Asozialen“ aus dem 9. Stock des Wohnhauses vor – damit täte man „etwas für das Volk“. Gemeint war Dieter Eich.

In ihrem Hass auf vermeintlich sozial Schwächere erschien den Neonazis der Sozialhilfeempfänger Dieter Eich als geeignetes Opfer. Einer der Täter kannte ihn bereits – wenige Tage zuvor hatte er Dieter Eichs Fernsehgerät aus dessen Wohnung gestohlen. Wegen des Diebstahls wussten die Neonazis, dass die Wohnung nicht verschlossen werden konnte. Bewaffnet mit einem 15 cm langen Jagdmesser machten sie sich gegen 23 Uhr auf den Weg in Dieter Eichs Wohnung. Zwei der Männer warteten im Flur, die anderen beiden griffen den schlafenden Mann unvermittelt an. Sie traten mit Springerstiefeln auf ihn ein, fügten ihm schwere Platzwunden zu und brachen ihm mehrere Rippen. Die Angreifer kehrten zurück in die eigene Wohnung, berauschten sich an ihrer Tat und feierten weiter.

Irgendwann kam ihnen der Gedanke, Dieter Eich könnte sie erkannt haben. Daraufhin beschlossen sie, der „Asoziale da oben muss weg“. Sie entschieden sich, Dieter Eich zu ermorden. Wieder mit dem Messer bewaffnet gingen sie zurück in Dieter Eichs Wohnung. Dieser lag regungslos auf seinem Bett. Einer der Neonazis, René R., stach ihm mit dem Messer in die Brust. Dieter Eich starb an Ort und Stelle. Im Anschluss an die grausame Tat feierten die Neonazis den Mord als heldenhaft. René R. prahlte am nächsten Tag damit, „seinen ersten Menschen abgestochen“ zu haben.

Gericht erkannte das rechtsextreme, politische Motiv nicht an

Die Täter verabredeten sich nach der Tat bei einem stadtbekannten Neonazikader, um sich über das weitere Vorgehen beraten zu lassen. Dieser empfahl, René R. solle den Mord auf sich nehmen, sollten sie gefasst werden. Für diesen Fall vermittelte er den vier Tätern einen rechtsextremen Szeneanwalt. Polizeibeamt:innen verhafteten die vier Täter wenige Tage nach der Tat. Obwohl diese am Tatabend ein drittes Mal in die Wohnung Dieter Eichs gegangen waren, um Spuren zu verwischen, führten Blutspuren die Beamt:innen zu den Neonazis.

In der Untersuchungshaft übten Rechtsextreme Druck auf René R. aus, die Tat auf sich zu nehmen. Die anderen drei Täter wurden als wichtiger für die rechtsextreme Szene erachtet und sollten so davonkommen. René R. widerrief seine hieraus resultierende Falschaussage jedoch wieder, weshalb es am 2. März 2001 zu einer Verurteilung aller vier Täter vor dem Landgericht Berlin kam: Sie erhielten Haftstrafen zwischen fünf und acht Jahren nach Jugendstrafrecht sowie zu elf Jahren und sechs Monaten nach Erwachsenenstrafrecht.

Der rechtsextreme, sozialdarwinistische Charakter der Tat wurde vor Gericht thematisiert. Im Urteil hieß es, Dieter Eich wurde von den Tätern als Opfer ausgewählt, „weil er in ihren Augen keinen Nutzen für die Gesellschaft erbrachte“. Der Richter sagte, der „Entschluss, einen wehrlosen und hilflosen Menschen zu misshandeln, ist auf dieser Gesinnung gewachsen“. Trotzdem unterschied das Gericht zwischen der Tatmotivation des Angriffs auf Dieter Eich und seiner Ermordung. Für den Mord erkannte das Gericht kein politisches Motiv an, sondern sah die Verdeckung der Körperverletzung als alleinigen Beweggrund – obwohl die Neonazis deutlich machten, dass sie das Leben Dieter Eichs aufgrund ihres menschenverachtenden Weltbilds als wertlos betrachteten und die Tat so für sich selbst legitimierten.

Gedenkinitiative „Niemand ist vergessen“ machte auf die Tat aufmerksam

Der Mord an Dieter Eich ging in der Öffentlichkeit zunächst unter, bis die Gedenkinitiative „Niemand ist vergessen“ im Jahr 2007 auf die Tat aufmerksam machte. Seitdem organisieren die Engagierten jährlich eine Gedenkdemonstration oder -kundgebung und fordern die Anbringung einer Gedenktafel. Bei den Gedenkaktionen thematisieren die Initiativen neben der Ermordung Dieter Eichs und der Aufarbeitung der Tat auch die Situation sozial Benachteiligter sowie Sozialdarwinismus und soziale Ausgrenzung allgemein.

Im Jahr 2010 legten Engagierte einen Kranz vor dem Wohnhaus nieder, in dem Dieter Eich ermordet worden war. 2011 veröffentlichte die Gedenkinitiative einen Kurzfilm, in dem der Mord und die Hintergründe beleuchtet wurden. Für 2020 war anlässlich des 20. Todestags von Dieter Eich eine große Gedenkveranstaltung geplant, die wegen der Corona-Beschränkungen nicht stattfinden konnte. Deshalb initiierte die Gruppe die „Aktionswochen zum Gedenken an Dieter Eich“, bei denen Künstler:innen und Aktivist:innen dezentrale kreative Gedenkaktionen umsetzten.

Nachtrag: Dieter Eich wurde nach einer ausführlichen Untersuchung durch Wissenschaftler:innen des Zentrums für Antisemitismusforschung (PDF-Dokument) der Technischen Universität Berlin unter der Leitung von Michael Kohlstruck als Todesopfer rechter Gewalt nachgemeldet.

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