Der 38-jährige Enver Şimşek wurde am 09. September 2000 vom sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Nürnberg ermordet.
Enver Şimşek war Blumenhändler. Am Tag seiner Ermordung fuhr er von Hessen nach Nürnberg, um einen seiner mobilen Blumenläden zu beliefern. Da sein Mitarbeiter verreist war, stellte er sich selbst hinter den Blumenstand. Gegen 15 Uhr rief ein Kunde die Polizei, weil der Blumenstand leer stand. Kurze Zeit später wurde Enver Şimşek von der Polizei schwer verletzt auf der Ladefläche seines Lieferwagens gefunden. Er wurde mit Verletzungen von insgesamt acht Schüssen aus zwei Pistolen ins Krankenhaus gebracht, wo er 11. September 2000 starb.
Selbstständig im Blumengroßhandel und Familienvater
Enver Şimşek ist in Salur aufgewachsen, einem Dorf nördlich der türkischen Stadt Antalya. In seiner Jugend half er den Schäfern vor Ort und verbrachte gerne Zeit in den Bergen. Auch nach seinem Umzug nach Deutschland fuhr Enver Şimşek noch gerne zu Besuch in sein Heimatdorf.
1978, noch in der Türkei, heiratete Enver Şimşek seine Frau Adile. Nach seinem Militärdienst kam Enver Şimşek im Jahr 1985, mit 24 Jahren, nach Deutschland. Ein Jahr später wurde seine Tochter Semiya geboren, ein weiteres Jahr später sein Sohn Abdulkerim. In Deutschland arbeitete Enver Şimşek zunächst für einen Automobilzulieferer, ab Mitte der 1990er Jahre machte er sich dann im Blumengroßhandel selbstständig – mit einem Ladengeschäft im hessischen Schlüchtern und mehreren mobilen Verkaufsständen.
Zweieinhalb Jahre vor seiner Ermordung machte Enver Şimşek gemeinsam mit seiner Frau eine Pilgerreise nach Mekka. Er hatte sich vorgenommen, sich stärker seiner Religion zuzuwenden, weniger zu arbeiten und mehr Zeit für seine Familie zu haben.
„Diese ganzen Vorurteile haben einfach die Polizei auf dem rechten Auge blind gemacht. Oder man wollte einfach bewusst blind bleiben.“
Die Polizei ermittelte nicht in Richtung eines rechtsextremen Mordes, sondern gegen die Familie von Enver Şimşek. Sie ging davon aus, dass Enver Şimşek ermordet wurde, weil er in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen sei. Die Ermittlungsbehörden verhörten die trauernde Familie und stigmatisierte sie damit – „Können Sie erahnen, wie es sich für meine Mutter angefühlt hat, plötzlich selbst ins Visier der Ermittlungen genommen zu werden?“, fragt Semiya Şimşek. Mit deutlichen Worten kritisierte sie die Ermittlungsarbeit der Polizei: „Diese ganzen Vorurteile haben einfach die Polizei auf dem rechten Auge blind gemacht. Oder man wollte einfach bewusst blind bleiben.“
Auch nach dem Prozess bleiben viele Fragen offen
Im Jahr 2011 kam es zur Selbstenttarnung des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“. Die beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im November 2011 gemeinsam mit einer Tatwaffe tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe, die ebenfalls als Teil des sogenannten Kerntrios der Terrorzelle gilt, verschickte daraufhin Videos, in denen sich der „NSU“ zu den Morden an insgesamt 10 Menschen bekannte. Dieses Ereignis offenbarte das jahrelange Versagen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die die Angehörigen schikanierten, statt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, und die etliche Hinweise auf die Terrorzelle missachteten.
Am 08. November 2012 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des sogenannten „NSU“. Am 11. Juli 2018 verhängte das Oberlandesgericht München eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe. Die „Helfer“ wurden zu Haftstrafen von zwei, zweieinhalb, drei und zehn Jahren verurteilt.
Der Prozess lässt viele Fragen offen – beispielsweise nach dem rechtsextremen Unterstützungsnetzwerk der Terrorzelle oder danach, welche Informationen Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz über die Terrorzelle hatten.
Zivilgesellschaftliche Initiativen halten die Erinnerung die Opfer des „NSU“ wach
Angehörige und zivilgesellschaftliche Initiativen streiten seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Morde des „NSU“ und für die Etablierung einer würdigen Erinnerungskultur.
In Jena, der Stadt, in der das „NSU“-Kerntrio aufwuchs, und in Nürnberg wurden Plätze nach Enver Şimşek benannt. Zudem organisieren Initiativen und Angehörige regelmäßig Gedenkveranstaltungen.