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Günter Schwannecke

, 58 Jahre (staatlich anerkannt)

Der 58-jährige Günter Schwannecke wurde am 29. August 1992 auf einer Parkbank in Berlin-Charlottenburg von einem Neonazi mit einem Baseballschläger zusammengeschlagen. Am 05. September erlag er den Verletzungen. Günter Schwannecke geriet ins Visier der Neonazis, weil er Zivilcourage zeigte und sich gegen die rassistischen Bedrohungen durch die Angreifer aussprach.

Günter Schwannecke war eine zeitgenössischer Künstler

Günter Schwannecke war ein bekannter zeitgenössischer Kunstmaler. Er wurde 1934 in Braunschweig geboren und ging dort zur Schule. Während seiner Schulzeit war er in einem Boxverein aktiv und wurde sogar einmal niedersächsischer Jugendmeister im Boxen. Anfang der 1950er Jahre machte er eine Ausbildung zum Positivretoucheur (heute Mediengestalter). Anschließend studierte er an der Werkkunstschule Braunschweig und später mit einem Begabtenstipendium an der Kunsthochschule Stuttgart.

Nach seinem Studium arbeitete Günter Schwannecke als Positivretoucheur und wandte sich immer stärker der Malerei zu. Anfang der 1960er Jahre stellte er seine Werke in Galerien verschiedener deutscher Städte aus. Während seines ersten Aufenthalts in Berlin porträtierte er Popikonen, eine Kunstform, mit der er Erfolg hatte, von der er sich später aber wieder abwandte. Da seine Ausstellungen schwer zu finanzieren waren, lebte er teilweise sehr arm.

Als er nach einer Zeit in Braunschweig wieder nach Berlin zog, wurde Schwannecke Teil der Kreuzberger Künstler:innenszene. Er war ein politischer Künstler, der ein alternatives Leben frei von Konventionen führen wollte. In Berlin waren seine Werke in den Kreuzberger Mehringhöfen zu sehen. Günter Schwannecke lebte zeitweise in einer Wohngemeinschaft in Berlin-Charlottenburg. Im Jahr 1992, zum Zeitpunkt seines Todes, war er ohne festen Wohnsitz. Sein Stil veränderte sich in den 1980ern, neben abstrakten Werken zeichnete er noch immer gern realistisch – Menschen, die ihm begegneten. Teilweise beglich er mit seiner Malerei Rechnungen. Sein Freund Walter Vitt sagte dazu: „Ich staunte, dass er sich in seinen Bildern und Radierungen mehr und mehr dem absolut Abstrakten zuwandte, aber gleichzeitig ein hervorragender realistischer Zeichner war und beides nebeneinander gelten ließ.“

Ermordert, weil er sich den Neonazis in den Weg stellte

Am Abend des 29. August 1992 hielt sich der zu diesem Zeitpunkt wohnungslose Günter Schwannecke gemeinsam mit seinem Freund Hagen Knuth auf einem Spielplatz in Berlin-Charlottenburg auf. Mit ihnen auf dem Spielplatz waren vier Studierende aus Sri Lanka. Zwei Neonazis kamen an dem Platz vorbei, beleidigten die vier rassistisch und bedrohten sie. Die Studierenden ignorierten die verbalen Attacken, woraufhin die beiden Neonazis, die als Skinheads erkennbar waren, von ihnen abließen und weggingen. Kurze Zeit später kamen sie jedoch mit einem Baseballschläger bewaffnet zurück. Einer der beiden Skinheads sagte vor Gericht aus, er habe den Schläger mitgenommen, um „seinen Worten vor den zahlenmäßig überlegenen Ausländern Nachdruck verleihen zu können“.

Von den Studierenden waren zu diesem Zeitpunkt nur noch zwei auf dem Spielplatz. Die beiden Neonazis gingen sofort auf sie zu, bedrohten sie mit dem Schläger und beleidigten sie erneut rassistisch. Günter Schwannecke und sein Freund mischten sich ein und forderten die beiden Neonazis auf, von den Studierenden abzulassen. Dadurch gerieten sie in den Fokus der Täter, die Studierenden konnten fliehen. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung. Norman Z., der spätere Hauptangeklagte, schlug plötzlich und ohne jede Vorwarnung mit dem Baseballschläger auf Günter Schwannecke ein, der sogleich zu Boden ging. Anschließend schlug der damals 22-jährige Skinhead mit seinem Schläger zweimal gegen den Kopf von Hagen Knuth. Dieser erlitt ein schweres Hirntrauma und lag zwölf Tage im Krankenhaus. Günter Schwannecke starb am 5. September 1992 an den Folgen des Angriffs.

Täter waren organisierte Neonazis

Die beiden Täter versuchten zu fliehen, wurden aber von der Polizei gefasst. Norman Z., der Günter Schwannecke die tödlichen Schläge versetzt hatte, wurde am 22. Februar 1993 vor dem Landgericht Berlin wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Das Gericht wertete auch die Schläge gegen Hagen Knuth als „akut lebensbedrohend“. Das Verfahren gegen den Mittäter Hendrik J. wurde eingestellt. Ihm wurde vor Gericht keine Tatbeteiligung vorgeworfen.

Norman Z. war überzeugter Neonazi und hatte bereits mehrere Delikte begangen, u.a. Verbreitung von Propagandamitteln, Bedrohung, Verstoß gegen das Waffengesetz und Körperverletzung. Recherchen zufolge hatte er gemeinsam mit einem weiteren Neonazi einen Berliner Ableger des Ku-Klux-Klan gegründet – die Sektion „White Storm Berlin“. Auch aus seiner sozialdarwinistischen Einstellung machte der Täter keinen Hehl. Trotzdem wurde die Tat sowohl von der Polizei als auch vor Gericht entpolitisiert. Norman Z. wurde in der polizeilichen Vernehmung gefragt, ob er einer politischen Gruppe angehöre. Er antwortete darauf mit „ja“, er gehöre einer zehnköpfigen Gruppe von Skinheads an. Er spielte den politischen Charakter dieses Zusammenschlusses jedoch herunter, was von den Beamt:innen geglaubt und übernommen wurde. Im polizeilichen Abschlussbericht heißt es, dass der Täter keiner „festen Gruppierung“ angehöre.

Diese Erzählung wurde auch vor Gericht übernommen, der Fall als unpolitische Tat verhandelt. Im Urteil heißt es gar: „Politisch war der Angeklagte nicht näher interessiert. Ihn faszinierte, dass die Skinheads aus seiner Sicht unabhängig von konventionellen Lebensvorstellungen ein Leben als Außenseiter führen.“ Als Motiv sah das Gericht das Bedürfnis des Täters, Frust abzulassen.

Günter-Schwannecke-Gedenkinitiative setzt sich für eine würdige Erinnerung ein

Die Günter-Schwannecke-Gedenkinitiative hat es durch ihre kontinuierliche Arbeit geschafft, die Erinnerung an Günter Schwannecke wach zu halten. Fast jährlich finden Gedenkveranstaltungen in Berlin-Charlottenburg statt, an denen Initiativen und Einzelpersonen teilnehmen.

In der Erinnerungsarbeit wird auch die vielseitige Biografie Günter Schwanneckes zunehmend aufgegriffen. Auf der Gedenkkundgebung 2020 sagte ein:e Vertreter:in der Berliner Obdachlosenhilfe: „Günter Schwannecke hat sich Faschist:innen entgegengestellt und wurde dafür ermordet. Wir wollen [seiner] nicht nur als Mensch und politische[r] Künstler, sondern auch als Genossen, der sich für eine sozialere und gerechtere Gesellschaft eingesetzt hat, gedenken.“

2013 wurde auf Druck der Initiative der noch immer am Tatort befindliche Spielplatz unbenannt – in Günter-Schwannecke-Spielplatz. Seitdem erinnern dort auch eine Tafel und ein Gedenkstein an das couragierte Verhalten des Künstlers. Auf der Tafel steht: „Auf diesem Platz wurde der Berliner Kunstmaler Günter Schwannecke am 29.8.1992 Opfer eines tödlichen Angriffs durch Neonazis. Er starb, weil er Zivilcourage bewiesen hat. Er steht in einer Reihe ungezählter Opfer von neonazistischem Terror. Wir werden sie niemals vergessen.“

Nachtrag: Günter Schwannecke wurde nach einer ausführlichen Untersuchung durch Wissenschaftler*innen des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin unter der Leitung von Michael Kohlstruck als Todesopfer rechter Gewalt nachgemeldet.

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