Der 52-jährige Obdachlose Jürgen Seifert wird am 9. Juli 2000 von fünf jungen Neonazis in einem Abrisshaus in Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) zu Tode geprügelt. Vor der tödlichen Attacke forderten die Täter Geld von dem Obdachlosen. Kurz darauf wird der 52-Jährige mit Schlägen und Tritten so schwer misshandelt, dass er kurze Zeit später an seinen Verletzungen stirbt.
Jürgen Seifert hatte keine Angehörigen mehr und lebte ohne festen Wohnsitz. Häufig übernachtete er im »Obdachlosen- und Asylbewerberheim Haffburg«. Der damalige Heimleiter schilderte Jürgen Seifert als einen „friedlichen Menschen, von dem niemals Gewalt ausging“. Aufgrund einer körperlichen Beeinträchtigung war er auf eine Gehhilfe angewiesen. Das Abrisshaus am Wismarer Kagenmarkt nutzte Jürgen Seifert gemeinsam mit seinen Freunden häufig als Treffpunkt und Rückzugsort, in dem er sich teilweise für mehrere Tage am Stück aufhielt. Es liegt nicht weit entfernt vom Obdachlosenheim, in dem er untergebracht war.
Zu Tode geprügelt
Auch in der Tatnacht übernachtet Jürgen Seifert in dem Abrisshaus. Er wird jedoch früh morgens von fünf 19- bis 22-Jährigen geweckt, die Geld von ihm haben wollen. Die fünf angetrunkenen Neonazis feierten zuvor Geburtstag. Als ihnen das Geld ausgeht, kommt ihnen die Idee, in einem der Abrisshäuser Obdachlose auszurauben. Als Jürgen Seifert ihnen kein Geld geben kann, beginnen sie, ihn brutal zu durchsuchen. Es folgt ein enthemmter Gewaltexzess gegen den Obdachlosen. Die fünf Jugendlichen schlagen völlig hemmungslos auf ihr Opfer ein und verlassen dann zunächst das Haus. Kurze Zeit später kehren sie nochmal zurück. Als sie feststellen, dass Jürgen Seifert zwar schwer verletzt, aber noch am Leben ist, massakrieren sie ihn weiter. Sie schlagen und treten auf ihn ein, werfen große Möbelstücke auf ihr Opfer. Einer der Täter springt ihm auf den Kopf. Als sie ihn schließlich zu Tode geprügelt haben, lassen die Neonazis von ihrem Opfer ab und verlassen das Haus. In einem nahegelegenen Park rauben sie einen Mann aus und schlagen auch ihn brutal zusammen. Jürgen Seifert wird erst drei Tage später mit Hirnblutungen, Rippenbrüchen, einem Herzriss, Organquetschungen und zahlreichen Hämatomen in dem Abrisshaus aufgefunden. Die einzelnen Verletzungen allein hätten für sich bereits zum Tode geführt.
Wismar als Hotspot rechter Gewalt
Bei der Durchsuchung der Wohnungen der Täter kann die Polizei rechtsextremes Material sicherstellen. Auch durch Tätowierungen an den Körpern der Täter wird der Bezug zur rechtsextremen Szene deutlich. Wismar gilt im Jahr 2000 als eine Hochburg rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern. Für Menschen, die von Rechtsextremen als „fremd“, „anders“ oder „schwach“ gesehen wurden, ist jeder Tag in der Hansestadt mit Gefahr und Angst verbunden. Immer wieder ereignen sich schwere Übergriffe, bei denen teils Messer und Baseballschläger zum Einsatz kommen. Die Bedrohung ist allgegenwärtig: Rechte Skinheads fahren regelmäßig mit Autos durch die Stadt, beleidigen Passant*innen oder greifen sie plötzlich und ohne Vorwarnung an.
Gericht entpolitisiert die Tat
Im März 2001, acht Monate nach der Tat, begann der Gerichtsprozess gegen die fünf Angeklagten. Laut Anklage handelten die fünf Männer aus Habgier und Hass auf Obdachlose. Im Juni 2001 wird der 21-jährige Haupttäter zu lebenslanger Haft verurteilt. Die vier anderen Täter bekommen wegen Mordes aus niederen Beweggründen oder Totschlags Freiheitsstrafen zwischen sechs Jahren und neun Monaten und vier Jahren und drei Monaten. Obwohl die Staatsanwaltschaft den „Hass auf Obdachlose“ explizit als Tatmotivation benennt, wird eine politische Dimension der Tat ausgeschlossen. Nicht die rechtsextreme Gesinnung hätte zum Mord geführt. Vordergründig sei für die Täter die Forderung nach Geld gewesen.
Obdachlose als vergessene Todesopfer rechter Gewalt
Obdachlose, eine der schwächsten Gruppen in der Gesellschaft, erfahren ständig Bedrohung durch rechtsextreme Gewalt. Wenn tödliche Attacken auf wohnungslose Menschen als Raubüberfälle getarnt werden, müssen sie als das behandelt werden, was sie sind: rechtsextrem motivierte Morde. Obdachlose gelten in der rechtsextremen Szene als „asozial“ und „minderwertig“. Der ideologische Kontext der Täter darf gerade bei einer tödlichen Attacke auf diese Opfergruppe nicht ignoriert werden, begründet sich doch in ihrer rechtsextremen Gesinnung (Sozialdarwinismus) die exzessive Gewalt gegen sozial schwächer gestellte Menschen. Eben diese Brutalität des Gewaltexzesses gegen Jürgen Seifert verdeutlicht die rechtsextreme Motivation der Tat. Die Täter ermordeten Jürgen Seifert nicht aus finanziellen Motiven, sondern weil sie ihn als Vertreter einer von ihnen verachteten Gruppe schwächer Gestellter erkannten. Sie wussten um den Treffpunkt der Obdachlosen im Abrisshaus und suchten dieses in der Tatnacht gezielt auf, um ihren Menschenhass in die Praxis umzusetzen. Dennoch ist Jürgen Seifert nicht offiziell als Todesopfer rechter Gewalt von staatlicher Seite anerkannt.
In Gedenken an Jürgen Seifert zogen kurz nach seinem Mord am 16. Juli 2000 circa 200 Menschen in einem Trauermarsch durch Wismar. Weitere lokale Erinnerungsarbeit oder Gedenkveranstaltungen gab es seitdem nicht.