In der Nacht zum 6. Oktober 1999 wurde der 38-jährige Kurt Schneider von vier Neonazis in Berlin-Lichtenberg zu Tode misshandelt und mit einem Messer erstochen – aus sozialdarwinistischen Motiven.
Leider ist nur sehr wenig über das Leben Kurt Schneiders bekannt. Er wurde 1961 in Königs Wusterhausen in Brandenburg geboren. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Maurer. In diesem Beruf war er einige Zeit lang tätig. Bis zum Jahr 1994 lebte er gemeinsam mit seiner Mutter in der brandenburgischen Kleinstadt – dann zog er nach Berlin. 1999 lebte er in Berlin-Lichtenberg. Er war zu dieser Zeit arbeitslos und litt unter einer Alkoholabhängigkeit.
Den Gruß von einem vermeintlich sozial „Schwächeren“ empfanden die Neonazis als Provokation
Kurt Schneider hielt sich in der Nacht zum 6. Oktober 1999 in der Nähe einer Tankstelle auf der Frankfurter Allee in Berlin-Lichtenberg auf. Er war gerade auf dem Weg nach Hause, als er auf eine Gruppe von vier Neonazis traf. Die vier Männer im Alter zwischen 17 und 23 Jahren zogen in dieser Nacht umher, um Gewalt gegen all jene anzuwenden, die nicht in ihr rechtsextremes Weltbild passten. Wie sie später selbst aussagten, waren sie gezielt auf der Suche nach körperlichen Auseinandersetzungen. Nachdem sie sich in einem ehemaligen Neonazitreffpunkt getroffen hatten, griffen sie auf der Straße einen Mann an, weil dieser einen Döner aß und in den Augen der Täter wie ein „Hip-Hopper“ aussah. Sie schlugen ihm mehrfach mit einer Bierflasche gegen den Kopf. Anschließend liefen sie mit einer Zaunlatte bewaffnet zu einem besetzten Haus in der Samariterstraße und riefen dort die neonazistische Parole „Hier marschiert der nationale Widerstand“.
Als niemand aus dem Haus reagierte, begaben sie sich zu der Tankstelle, die sich in der Nähe des Wohnhauses einer der Täter befand. Kurt Schneider grüßte die Neonazis. Diesen Gruß eines in ihren Augen sozial Schwächeren empfanden die vier Neonazis als Provokation – sie traten ihm unvermittelt in den Bauch. Kurt Schneider verließ die Tankstelle daraufhin, doch die Täter folgten ihm. Sie lockten ihn in eine unbeleuchtete Grünanalage, einen früheren Urnenhain, und schlugen ihn dort brutal zusammen. Anschließend stahlen sie ihm das wenige Geld, das er bei sich trug, sowie seinen Tabak.
Sie ließen Kurt Schneider vor Ort liegen und gingen in die Wohnung eines der Neonazis. Dort „berauschten sich die Angeklagten zunächst an dem zuvor von ihnen ausgeübten Gewaltakt“, wie es später im Urteil heißt. Sie beschlossen gemeinsam, mit einem Küchenmesser zurück zu Kurt Schneider zu kehren und ihn zu ermorden. Als sie den noch immer am Boden Liegenden fanden, traten sie zuerst mehrfach mit ihren Springerstiefeln auf ihn ein. Anschließend ermordeten sie ihn mit vier Messerstichen. Seine Leiche ließen sie im Gebüsch liegen.
Mord vor Gericht als Verdeckungstat entpolitisiert
Die Polizei nahm die vier Neonazis am nächsten Tag fest. Ein Zeuge gab gegenüber der Polizei an, „Sieg Heil“-Rufe in der Nähe des Tatorts gehört zu haben. Blutspuren und leere Bierflaschen führten die Beamt:innen zu der Wohnung, in der die Täter sich aufhielten. Die Wohnung war der Polizei bereits als Neonazitreffpunkt bekannt. Am 20. April 2000 wurden die Täter vor dem Landgericht Berlin wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Mord verurteilt: Michael V. und Manuel S. zu lebenslanger Haft, Carsten U. zu achteinhalb und Björn O. zu acht Jahren Haft.
Die Täter waren überzeugte Rechtsextremisten und gaben dies auch offen zu. Sie sagten gegenüber der Polizei aus, Mitglieder der neonazistischen Vereinigung „Hammerskins“ zu sein. Die Behörden gingen dem jedoch nie nach.
Dass die vier Neonazis Kurt Schneider als Reaktion auf den Gruß angriffen, ist ein Ausdruck ihres sozialdarwinistischen Weltbilds – sie sahen in ihm einen Menschen von geringerem Wert und empfanden den Gruß deshalb als Beleidigung. Obwohl diese politischen Beweggründe wie auch die Zugehörigkeit der Täter zur rechtsextremen Szene vor Gericht thematisiert wurden, erkannte das Gericht kein politisches Motiv. Die Tötung Kurt Schneiders wurde hingegen als Tat angesehen, die ausschließlich zur Verdeckung des Raubes begangen wurde.
Initiativen erstritten Anbringung einer Gedenktafel
Aufgrund der mangelnden staatlichen Anerkennung als rechtsextremes Mordopfer gerieten Kurt Schneider und die grausame Tat in Vergessenheit. Erst mit der nachträglichen Anerkennung auf Grundlage der Studie der Technischen Universität Berlin 2018 wurden Engagierte wieder auf den Mord aufmerksam. Daraufhin organisierten zivilgesellschaftliche Gruppen im Jahr 2019 eine Gedenkveranstaltung anlässlich des 20. Todestags von Kurt Schneider. Seitdem finden jährlich Gedenkveranstaltungen statt.
Am 21. Todestag brachten Personen eine provisorische Gedenktafel in der Nähe des Tatorts an. Sie wurde nach wenigen Tagen abgerissen. Die Gedenkinitiativen ließen aber nicht locker und machten Druck auf die Politik des Bezirkes. Daraufhin beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Anfang 2021 die Anbringung einer offiziellen Tafel in Gedenken an Kurt Schneider.
Nachtrag: Kurt Schneider wurde 2018 nach einer ausführlichen Untersuchung durch Wissenschaftler:innen des Zentrums für Antisemitismusforschung (PDF-Dokument) der Technischen Universität Berlin unter der Leitung von Michael Kohlstruck als Todesopfer rechter Gewalt nachgemeldet.