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Mahdi ben Nacer

, 38 Jahre

Der 38-Jährige Mahdi ben Nacer wurde am 23.12.2023 aus rassistischen Motiven in Rickenbach (Baden-Württemberg) erschossen. Der Täter, der mit seiner Familie und Freund*innen für die Weihnachtstage nach Rickenbach gefahren war, entmenschlichte sein Opfer auch noch nach seinem grausamen Tod, indem er die Leiche zerteilte und die Körperteile an verschiedenen Stellen in den Rhein warf. Das Opfer galt lange Zeit als vermisst. Erst im April 2024 fand ein Taucher zufällig ein Körperteil von Mahdi ben Nacer und brachte so unverhofft die Ermittlungen in Gang.

Mahdi ben Nacer wuchs in Tunesien auf und hatte fünf Geschwister. 2011 flüchtete er über das Mittelmeer nach Italien. Zwei Jahre später stellte er in Deutschland einen Asylantrag, der jedoch abgelehnt wurde. Aufgrund seines prekären Aufenthaltstitels erhielt der ausgebildete KfZ-Mechaniker keine Arbeitserlaubnis. Mahdi ben Nacer lebte isoliert in einer Geflüchtetenunterkunft in Rickenbach (Baden-Württemberg). Er vermisste seine Familie in Tunesien, mit der er über Videoanrufe Kontakt hielt.

Ein rassistischer Mord

Am Tag seines Mordes gerät Mahdi ben Nacer auf einem Parkplatz in eine verbale Auseinandersetzung mit seinem späteren Mörder. Ben Nacer ist mit seinem Fahrrad unterwegs, der Täter hilft seiner Mutter beim Ausparken. Laut Täter habe Mahdi ben Nacer dabei ihn und seine Familie bedroht, weshalb er später zu der Unterkunft des 58-jährigen Mannes gelaufen sei. Im Gepäck hat er eine Pistole, die er illegal besaß und mit in den Familien-Weihnachtsurlaub genommen hatte. An der Unterkunft angekommen, zielt der erfahrene Sportschütze und Jäger zwei Mal auf den Kopf seines Opfers – Mahdi ben Nacer ist sofort tot. Der Täter lässt die Leiche zunächst in der Unterkunft liegen. Einen Tag später – an Heiligabend – bringt er den Leichnam zu einem Waldstück. Doch auch dieser Ort erscheint ihm noch zu unsicher, deshalb zerteilt er die Leiche wiederum ein paar Tage später mit einer Machete in einer Kleingartenanlage. Er wickelt die menschlichen Überreste in einen Maschendrahtzaun und wirft sie an verschiedenen Stellen in den Rhein.

Bis April 2024 gilt Mahdi ben Nacer als vermisst. Im April findet ein Taucher im Rhein eine Hand und bringt so die Ermittlungen in Gang. Der Täter stellt sich der Polizei. Vor Gericht gibt er an, aus Notwehr gehandelt zu haben. Durch das Fenster der Unterkunft habe er beobachtet, wie Mahdi ben Nacer allein in seinem Zimmer mit Besteck herumfuchtelte und davon gesprochen habe, alle zu töten. Der Täter habe sich bedroht gefühlt. Wie der kaum deutsch-sprechende Mahdi ben Nacer ein Selbstgespräch auf Deutsch geführt haben soll, konnte im Prozess nicht aufgeklärt werden.

Ermittlungen decken rechtsextremes Weltbild des Täters auf

Im Zuge der Ermittlungen wird die völkisch-nationalistische, antisemitische, rassistische und christlich-fundamentalistische Gesinnung des Täters aufgedeckt. Beim Täter zu Hause in Maulburg fanden die Ermittler*innen neben den 38 gemeldeten Waffen auch 20.000 Schuss Munition, Granaten-Attrappen, Schwarzpulver, NS-Literatur und Erlebnisberichte der für ihre besondere Brutalität und Menschenfeindlichkeit bekannten SS-Sondereinheit Dirlewanger. Der Täter hatte zwei Jahre in Namibia gelebt, einer ehemaligen Kolonie Deutschlands, besaß ein Buch über den Völkermord an den Herero und Nama dort und wollte christlicher Missionar werden. Seine Garage ziert ein Eisernes Kreuz, eine ehemals preußische Kriegsauszeichnung, und der Schriftzug „Deutsches Schutzgebiet“, der auch von Reichsbürger*innen, die die Existenz der Bundesrepublik nicht anerkennen, genutzt wird. Seine Hundehütte nannte er „Wolfsschanze“ wie einst das Hauptquartier der deutschen Wehrmacht.

Auch auf dem Handy des Täters werden die Ermittler*innen fündig: Der rechtsextreme Waffenfanatiker und NS-Fan besaß ein Konto im AfD-Shop. Die Polizei konnte zudem nachweisen, dass er sich die Rede eines Theologen angesehen hatte, der die AfD als einzig wählbare Partei für gläubige Christen darstellte. Im Suchverlauf fand sie zusätzlich Reden von Hitler und extreme Gewaltdarstellungen von Tötungen. Ein Chatverlauf mit seinem Sohn belegt, wie sich die beiden Videos von Polizisten, die Menschen erschießen, von zerlegten Leichen und rassistische Cartoons geschickt haben. Der Täter verblieb mit seiner Gesinnung nicht nur im digitalen und privaten Raum, sondern trug sie auch in die Öffentlichkeit. Von seinem Arbeitgeber hatte er eine Abmahnung erhalten, weil er bei einer Fortbildung gesagt hatte, ein „anständiger Deutscher“ kaufe nicht bei Juden. Auch Sticker des rechtsextremen Compact-Magazins hatte der Täter an eine Bushaltestelle geklebt.

Vor Gericht sagt er, dabei habe es sich um bloße „Satire, Comedy“ gehandelt. In einem Brief aus der Untersuchungshaft an seine Familie schreibt er, dass er für seine Tat in anderen Ländern als Held gefeiert werden würde: „Der Typ und der Attentäter aus Mannheim der den armen Polizisten getötet hat haben das 100% identische Verhaltensmerkmal und leider rennen von denen noch zehntausende hier rum, armes Deutschland.“ In Mannheim kam es im Mai 2024 zu einem islamistisch-motivierten Messerangriff, bei dem ein Polizist tödlich und fünf weitere Menschen schwer verletzt wurden. Im Nachgang wurde die Tat vor allem von Rechtsextremen instrumentalisiert, um gegen Geflüchtete zu hetzen.

Gericht erkennt Rassismus nicht als niedrigen Beweggrund an

Nach fünf, statt wie vorgesehen acht, Verhandlungstagen wird der Täter am 18. November 2024 zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt – eine Strafe, die unter der Forderung der Staatsanwaltschaft liegt. Laut Gericht reichten die Beweise nur für Totschlag. Für eine Verurteilung zum Mord fehle es an eindeutig nachgewiesenen niedrigen Beweggründen. Es gebe zwar „Anzeichen auf eine rechtsradikale Gesinnung“, aber keine tragfähigen Beweise dafür, dass Rassismus als niedriger Beweggrund die Tat ausgelöst habe.

Die geringe Haftlänge erklärt der Richter außerdem durch das umfangreiche Geständnis des nicht-vorbestraften Täters und betont, dass es ohne Geständnis überhaupt nicht zu einem Urteil gekommen wäre. Während der Verhandlungen hatten Staatsanwaltschaft, Verteidigung und das Gericht einen Deal ausgehandelt, um den Prozess abzukürzen. Wenn der Angeklagte seine widersprüchlichen Aussagen zum Tathergang zurücknehme und erkläre, dass das Opfer unbewaffnet gewesen sei, er also nicht aus Notwehr gehandelt habe, sei das Gericht im Gegenzug zu einer milderen Strafe bereit.

Opferberatungsstelle kritisiert Verfahren und Urteil

Die Opferberatungsstelle Leuchtlinie“ kritisiert das Verfahren und das Urteil. Der rassistische Mord an Mahdi ben Nacer werde verkannt. Stattdessen werde die antimuslimische und rassistische Erzählung des Täters durch das Gericht übernommen, nach der muslimisch gelesene Männer als „unberechenbare Gefahr“ konstruiert werden. Auch den Umgang mit der Leiche zählt die Opferberatungsstelle als eindeutigen Hinweis auf die rechtsextreme Tatmotivation, die von Entmenschlichung und Brutalität geprägt ist.

Außerdem sei die Schwester des Opfers, die erst zum vierten Prozesstag als Nebenklägerin hinzugezogen wurde, nicht ausreichend über ihre Rechte informiert und aufgeklärt worden. Die Beratungsstelle hatte selbst den Kontakt zu Zouleikha ben Nacer in Tunesien gesucht und ihr eine Anwältin vermittelt. Diese berichtet von diskriminierenden Bemerkungen im Laufe des Prozesses. Während der Beweisaufnahme wurde trotz des bereits vorhandenen Tätergeständnisses ausführlichst das Vorstrafenregister des Opfers vorgetragen. Hinzu kommen abfällige Kommentare des Vorsitzenden Richters über das Aussehen des Opfers, der als Asylsuchender „seit 2013 auf Kosten des deutschen Steuerzahlers hier“ leben würde. Der Täter wurde im Kontrast dazu als „deutscher Bürger und Steuerzahler ohne Vorstrafen“ beschrieben. In seinem Abschlussplädoyer nannte der Oberstaatsanwalt den Täter „einen tief gläubigen Christen und absoluten Familienmenschen“. Seine Tat beruhe auf einer „fatalen Fehleinschätzung“. Die Hinweise auf eine rechtsextreme Gesinnung wurden als „fehlplatzierte und geschmacklose Sprüche und unsägliche Videos“ abgetan.

Nicht ohne Grund prangert die Nebenklageanwältin diese der Rechtsprechung inhärente Ungleichbehandlung an, die in eine Täter-Opfer-Umkehr zu münden schien: „Man gewinnt den Eindruck, mein Mandant sei weniger wert.

Obwohl die Beweise für die rechtsextreme Gesinnung des Täters erdrückend sind, leugnet das Gericht, dass diese Gesinnung tatauslösend gewesen sei. Mahdi ben Nacer ist jedoch kein individuelles Opfer, sondern wurde stellvertretend für eine ganze Gruppe „ausgewählt“. Zwischen dem Mann und seinem späteren Mörder bestand keine Beziehung, die die Tat erklären könnte.

Dem Angriff liegt eine antimuslimische und rassistische Vorstellung der Ungleichwertigkeit von Menschen zugrunde. Deshalb ist der Angriff auf Mahdi ben Nacer auch als Angriff auf die von Rechtsextremen abgewertete Gruppe als Ganzes zu verstehen.

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