Bei dem rechtsextremen Anschlag in München am 22. Juli 2016 wurden am und im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) im Stadtbezirk Moosach neun Menschen ermordet: Dijamant Zabërgja (20 Jahre), Armela Segashi (14 Jahre), Sabina Sulaj (14 Jahre), Giuliano Josef Kollmann (19 Jahre), Sevda Dağ (45 Jahre), Hüseyin Dayıcık (17 Jahre), Can Leyla (14 Jahre), Janos Roberto Rafael (15 Jahre) und Selçuk Kılıç (15 Jahre). Vier weitere Personen wurden von dem 18-jährigen Täter David S. mit Schüssen verletzt.
Der Täter lockte Jugendliche auf Facebook an den Tatort
Gegen 17:50 Uhr fielen die ersten Schüsse im Mc Donald’s-Restaurant am OEZ. Hier starben Janos Roberto Rafael, Can Leyla, Selçuk Kılıç, Armela Segashi und Sabina Sulaj. Der Täter hatte wenige Stunden zuvor unter falschem Namen auf Facebook dazu aufgerufen, am Nachmittag hierherzukommen, er werde etwas ausgeben. Kurz darauf trat er vor das Restaurant und schoss auf Passant:innen. Bei der Einfahrt zu einer Tiefgarage tötete David S. Hüseyin Dayıcık. Auf dem Gehweg der Hanauer Straße, an der das OEZ liegt, wurde Sevda Dağ tödlich getroffen. Giuliano Josef Kollmann wurde vor einem U-Bahn-Eingang erschossen. Nahe einer Rolltreppe im OEZ erschoss der Täter Dijamant Zabërgja.
Mindestens 32 Personen verletzten sich auf der Flucht oder bei Paniken, die in der Münchner Innenstadt ausbrachen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz. Gut zweieinhalb Stunden nach Beginn des Anschlags stellte eine Polizeistreife den Täter in der Nähe des Einkaufszentrums, woraufhin dieser sich erschoss.
Rechtsextremistische Motivation des Täters
Der Täter sei ein Rassist mit rechtsextremistischem Weltbild, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Er habe es als „Auszeichnung“ verstanden, dass sein Geburtstag, der 20. April 1998, auf den Geburtstag von Adolf Hitler fiel. Auch sei David S., der aus einer iranischen Familie stammt, stolz darauf gewesen, als Iraner und als Deutscher „Arier“ zu sein.
Der Täter wählte das Datum des Anschlags zudem nicht zufällig aus. Genau fünf Jahre zuvor, am 22. Juli 2011, wurden bei einem rechtsterroristischen Anschlag auf der norwegischen Insel Utøya 77 größtenteils junge Menschen ermordet. Der norwegische Terrorist diente S. bei dem Anschlag in München als Vorbild, so suchte er lange Zeit nach der gleichen Waffe, mit der die Morde in Utøya verübt wurden. In einer WhatsApp Gruppe mit dem Namen „Anti-Refugee Club“, in der S. Mitglied war, wurden auch andere teilweise rechtsextreme Attentäter und Amokläufer verehrt. Mit seiner Tat hoffte David S., die AfD zu unterstützen.
Gedenken an die Opfer des Anschlags
Die Opfer wurden nicht zufällig ausgewählt, sondern wegen ihrer realen oder vermeintlichen Migrationsgeschichte ermordet. Hinter den Namen der zumeist noch jungen Menschen stehen individuelle Schicksale, Geschichten und Angehörige.
Sevda Dağ war zum Zeitpunkt des Anschlags 45 Jahre alt. Sie lebte bereits seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Ihre Nachbarin beschreibt sie als liebevolle und fürsorgliche Mutter. Die Wohnung, in der sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren beiden Söhnen lebte, habe sie liebevoll eingerichtet und geschmückt.
Hüseyin Dayıcık war 17 Jahre alt. Er soll geboxt und sich für schnelle Autos begeistert haben. Am Tag des Anschlags besuchte er das OEZ mit seiner Schwester. Sein Vater suchte ihn in der Tatnacht, er fuhr zu vier verschiedenen Krankenhäusern.
Giuliano Josef Kollmann war zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt und kurz davor, eine Berufsausbildung zum Drucker zu beginnen. Von seinen Freund:innen und seinem Vater wird er „Giuli“ genannt. Hüseyin B., der beim Anschlag ebenfalls vor Ort war, hatte versucht, Guiliano zu retten. Er steht seitdem in engem Kontakt mit seiner Familie. Guilianos Freunde vom Fußballtraining des FC Aschheim schätzten „seine leise Art, mit der er sie zum Schmunzeln und zum Lachen brachte“. Ein Freund schreibt zum Gedenken an ihn „Er hätte keiner Fliege etwas getan. Er ging fröhlich durchs Leben – bis zum Freitagabend.“ Seit seinem dritten Lebensjahr hatte seine Großmutter ihn großgezogen. Im Viertel sei Guiliano sehr beliebt gewesen.
Der 15-jährige Selçuk Kılıç war laut seinen Freund:innen ein toller Sportler. Auf Facebook gab er Fußball und Thaiboxen als seine Hobbies an. Am Tag des Anschlags war er gemeinsam mit Can Leyla am OEZ. Erst wenige Tage zuvor soll er sein „Quali-Zeugnis“ erhalten haben.
Der zum Tatzeitpunkt 14-jährige Can Leyla war gemeinsam mit Selçuk Kılıç, der in der Nachbarschaft wohnt, am OEZ. Bei einer Gedenkveranstaltung richtete sich seine Mutter Sibel Leyla in einer Rede an ihren Sohn: „Meine Erinnerungen an dich haben mir Kraft gegeben. Ich halte sie fest und werde sie niemals loslassen. Du bist immer bei mir, in meinem Körper, in meiner Seele, wenn ich esse, trinke, lache oder weine. Du hast mich so viel Stolz fühlen lassen. Jede Erinnerung an dich soll lebendig bleiben.“
Janos Roberto Rafael war 15 Jahre alt, als er bei dem Anschlag getötet wurde. Seinem Facebook-Profil zufolge war Janos Roberto Rafael gläubiger Christ.
Armela Segashi, 14 Jahre alt, war am 22. Juli 2016 mit ihrer Freundin Sabina Sulaj im OEZ. Sie hatten sich dort zum Eis Essen mit Freundinnen verabredet. Sie wird als der „Sonnenschein“ ihrer fünfköpfigen Familie beschrieben. Ihr Traum war es, einmal einen eigenen Kosmetiksalon zu eröffnen. Laut ihrem Vater war sie immer sehr sicher, dass ihre Pläne wahr werden würden. Ihr Vater konnte nach der Tat nicht weiter seinem Beruf als Busfahrer nachgehen. „Kinderstimmen zu hören – es war für mich unmöglich“, so ihr Vater Smajl S.
Die zum Tatzeitpunkt 14-jährige Sabina Sulaj war mit ihrer Freundin Armela Segashi im OEZ unterwegs. Von ihren Freund:innen wurden mehrere Gedenk-Seiten auf Facebook angelegt. In Bildern und Texten erinnern sich Menschen an sie und drücken ihre Trauer aus.
Dijamant Zabërgja wurde von seiner Familie und seinen Freund:innen Dimo genannt. Am Tag des Anschlags hatte er sich beim OEZ mit einem Freund verabredet. Sie wollten gemeinsam eine Limo trinken. Im Sommer 2016 hatte er seine Berufsausbildung als Lagerist am Münchener Flughafen abgeschlossen und seinen Realschulabschluss nachgeholt. Kurze Zeit nach dem Anschlag wäre er 21 Jahre alt geworden. Laut seiner besten Freundin war er „einfach immer gut drauf“. Mit seiner besten Freundin und ihrem Cousin saß er tagsüber gerne im Park. Wenn sie abends lange unterwegs waren, schlief er gerne bei seiner großen Schwester Margareta Zabërgja und seinen beiden Nichten. So auch am Abend vor der Tat. Die Schwester sah in ihm einen „liebevollen Onkel“, oft habe er mit seinen Nichten im Garten gespielt oder sei mit ihnen auf den Spielplatz gegangen. Ein enger Freund beschreibt Dijamant Zabërgja als „sehr lebensfrohen Menschen, er hatte immer lustige Geschichten auf Lager“. Traurig habe er ihn nie erlebt.
Einstufung der Tat als rechtsextremen Anschlag
Das Landesamt für Verfassungsschutz Bayern stufte die Tat aufgrund persönlicher psychischer Probleme des Täters als Amoklauf und nicht als rechtsextremen Anschlag ein. Die Sozialwissenschaftler Christoph Kopke, Matthias Quent und Florian Hartleb wurden von der Fachstelle für Demokratie der Stadt München damit beauftragt, den rechtsextremen Hintergrund von David S. und der Tat aufzuklären. Sie widersprachen der Einschätzung der Behörden. Alle drei Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass die Tat als politisch rechts motiviert zu werten sei. Matthias Quent merkt an, dass David S. zwar keine „klassische“ Radikalisierungsbiographie (z.B. Aktivität in rechtsextremen Netzwerken) habe, allerdings schließen sich persönliche und politische Motive nicht automatisch aus. Für Quent werden durch den Verweis auf die möglichen negativen Erfahrungen des Täters mit türkisch- oder albanischstämmigen Mitschülern die Opfer geradezu für die Tat mitverantwortlich gemacht. „Die Ermordeten tragen keinerlei Schuld an den Mobbingerfahrungen des Täters“, schreibt Quent. Die Behörden sollten die zerstörerische Wirkung von Rassismus verurteilen, anstatt sie durch den Verweis auf Ursachen im Sinne des Täters zu rechtfertigen.
Im Herbst 2019, fast drei Jahre nach dem Anschlag, änderte das Bayerische Landeskriminalamt seine Einschätzung und stufte die Tat abschließend als politisch motivierte, rechtsextreme Tat ein.