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Gastbeitrag

Umkämpfte Realität – Wie radikalisierter Konservatismus zur Gefahr für die Demokratie wird

von Natascha Strobl

Der Artikel erschien ursprünglich als Leitartikel unserer Stiftungszeitung Ermutigen No. 27. Die vollständige Ausgabe kann hier heruntergeladen werden.

Was ist eigentlich passiert? Die Frage passt fast immer, aber besonders gut, wenn wir den Zustand der konservativen Parteien betrachten. Die Republikaner haben sich von Trump übernehmen lassen, die ÖVP in Österreich zerschlägt die Republik zu einem Scherbenhaufen, Johnson und die Tories haben Großbritannien an den Rand von Nahrungsmittel- und Benzinengpässen dirigiert. Da müssen wir den Blick gar nicht weiter ostwärts richten, nach Ungarn oder Polen, wo auch konservative Parteien an der Macht sind. Und dann gibt es noch die CDU, die sich nach ihrem historischen Absturz bei den Bundestagswahlen entscheiden muss, ob sie den Weg des radikalisierten Konservatismus gehen möchte oder ein anderes Selbstbild für sich findet. Mit „The Republic“ bringt sich das Lager des radikalisierten Konservatismus in Position. Wichtige Figuren des rechten CDU-Flügels begrüßten öffentlich das neue Kampagnenmedium, darunter Friedrich Merz und Caroline Bosbach. Letztere beteiligte sich auch mit einer Kolumne. Hinter der Agentur steht Armin Petschner-Multari, der zuvor den YouTube-Kanal der CSU betreute. Es zeigt sich gleich, wie die Stoßrichtung des Mediums und damit möglicherweise auch der einer „neuen CDU” sein soll: Die politische Auseinandersetzung soll in einen Status des permanenten Skandalisierens und Emotionalisierens gebracht werden. Diese Strategie haben schon Trump und Kurz gefahren. Die dahinterliegende Logik: jeden Tag ein neuer Aufreger, ein neuer Skandal. Diese Art von Politik schert sich nicht um langfristige Konzepte oder tiefgreifende Debatten. Es geht nur darum, die nächsten 24 Stunden zu „gewinnen“ und die Schlagzeilen zu beherrschen.

Kalkulierter Regelbruch

Ein weiteres Merkmal des radikalisierten Konservatismus ist der kalkulierte Regelbruch, das bewusste Übertreten von informellen Übereinkünften, von Anstand und Moral. „Das darf man nicht“, „Das kann er doch nicht machen“ sind die gewollten Reaktionen auf diese Übertretungen. Man will sich rebellisch geben, anders sein. Anders als der „Polit-Sumpf” in Washington, die „Berufspolitiker“ in der ungeliebten Hauptstadt. Die politischen Gegner:innen sollen so in die Position des bloßen Anstands-Wauwaus gedrängt werden. Das dritte Merkmal des radikalisierten Konservatismus ist, dass ein Kult um eine Führungsperson aufgebaut wird. Personalisierung ist Teil von Politik, im radikalisierten Konservatismus aber wird die Person ganz vorne zum Märtyrer inszeniert und bekommt eine (fast) religiöse Bedeutung. Mit dieser Inszenierung wird die formale demokratische Parteistruktur entdemokratisiert. Denn die Führungsperson bekommt neben der informellen auch die formelle Macht, interne Kontrollmechanismen werden ausgeschaltet. Der Machtzirkel rund um die Führungsperson ist nicht mehr in der Partei angesiedelt, sondern setzt sich aus externen Berater:innen und persönlichen Vertrauten zusammen. Radikalisierter Konservatismus ist zugleich sehr flexibel, wenn es darum geht, welches Thema wann und wie „gespielt“ wird. Inhaltlich sind die Themen jedoch nicht beliebig.

Gegen die Ärmsten und die Minderheiten

Die Politik des radikalisierten Konservatismus hat inhaltlich zwei Ebenen, die nicht parallel verlaufen, sondern fest miteinander verwoben sind: Die Klassenkampf- und die Kulturkampf-Ebene. Es wird Politik zu Ungunsten der Ärmsten und zu Gunsten der Reichsten gemacht. Gleichzeitig werden Feindbilder erzeugt, die dem Playbook der extremen Rechten entstammen und direkt an deren Narrative und Frames anknüpfen: Geflüchtete, Migrant:innen, „der Islam“, eine ominöse Linke, ein vermeintlich aufopferungsvoller Kampf um Identität und Heimat. Damit wird der antifaschistische Konsens, der bislang auch rechtsextreme Parteien wie die AfD als nicht koalitionsfähig und antidemokratisch markierte, aufgeweicht, ihre Ideen und Diskurse (weiter) normalisiert. Es gibt hier kein Überdrehen, kein „zu viel“. Ohne Rücksicht auf Rechtsstaat und Demokratie werden Ver-schwörungsmythen erzählt und eine Gegenrealität aufgebaut.

Die autoritäre Wende

Dieser radikalisierte Konservatismus hat sich von jedem Anspruch, staatstragend zu sein, Ausgleich und Kompromiss zu suchen, verabschiedet. Die Kränkung der Niederlage ist der Treibstoff, der diese Radikalisierung befeuert. Genau an dieser Weggabelung stehen nun auch die Unions-Parteien nach ihrer schmachvollen Wahlniederlage im September. Wohin der Weg der Radikalisierung führt, kann man an den eingangs genannten Ländern ablesen. Diese und ihre jeweiligen Parteien sind selbstverständlich sehr unterschiedlich, genauso wie die Systeme und die Geschichte, aus denen heraus sie agieren. Ihnen allen ist gemein, dass es konservative Kräfte waren, die eine autoritäre Wende zu verantworten haben. In der Praxis bedeutet das unablässige Angriffe auf freie Medien, auf die Zivilgesellschaft und die unabhängige Justiz. Einschüchterungen, Drohungen und strategische Diffamierungen werden zu legitimen Mitteln konservativer Parteien. Bemerkenswert und beunruhigend daran ist, dass es sich nicht um einen langen Prozess handelt. Vielmehr vollzieht sich die Radikalisierung in wenigen Monaten oder einer Handvoll Jahren. In dieser kurzen Zeit sind schon nachhaltige und irreparable Schäden am demokratischen Rechtsstaat entstanden. Es stehen also nicht nur die Unionsparteien am Scheideweg, sondern mit ihr die Verfasstheit des demokratischen Systems in Deutschland.

Was ist eigentlich passiert? Die Frage passt fast immer, aber besonders gut, wenn wir den Zustand der konservativen Parteien betrachten. Die Republikaner haben sich von Trump übernehmen lassen, die ÖVP in Österreich zerschlägt die Republik zu einem Scherbenhaufen, Johnson und die Tories haben Großbritannien an den Rand von Nahrungsmittel- und Benzinengpässen dirigiert. Da müssen wir den Blick gar nicht weiter ostwärts richten, nach Ungarn oder Polen, wo auch konservative Parteien an der Macht sind.Und dann gibt es noch die CDU, die sich nach ihrem historischen Absturz bei den Bundestagswahlen entscheiden muss, ob sie den Weg des radikalisierten Konservatismus gehen möchte oder ein anderes Selbstbild für sich findet. Mit „The Republic“ bringt sich das Lager des radikalisierten Konservatismus in Position. Wichtige Figuren des rechten CDU-Flügels begrüßten öffentlich das neue Kampagnenmedium, darunter Friedrich Merz und Caroline Bosbach. Letztere beteiligte sich auch mit einer Kolumne. Hinter der Agentur steht Armin Petschner-Multari, der zuvor den YouTube-Kanal der CSU betreute. Es zeigt sich gleich, wie die Stoßrichtung des Mediums und damit möglicherweise auch der einer „neuen CDU” sein soll: Die politische Auseinandersetzung soll in einen Status des permanenten Skandalisierens und Emotionalisierens gebracht werden. Diese Strategie haben schon Trump und Kurz gefahren. Die dahinterliegende Logik: jeden Tag ein neuer Aufreger, ein neuer Skandal. Diese Art von Politik schert sich nicht um langfristige Konzepte oder tiefgreifende Debatten. Es geht nur darum, die nächsten 24 Stunden zu „gewinnen“ und die Schlagzeilen zu beherrschen.

 

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