Gerade noch waren die Laternenmasten voll mit den Wahlplakaten zur Europawahl und den Kommunalwahlen. Jetzt sind sie verschwunden – und werden doch bald wieder durch neue ersetzt. Der Osten läuft sich warm für den Landtagswahlkampf.
Von Susanne Kailitz
In Sachsen und Brandenburg wird am 1. September ein neues Parlament gewählt, Thüringen folgt am 27. Oktober. Von Schicksalswahlen ist wie schon zur Europawahl die Rede: Tatsächlich könnten die Abstimmungen im Spätsommer und Herbst gleich drei amtierende Regierungschefs die Posten kosten. Bisher deuten die Umfrageergebnisse der Meinungsforschungsinstitute darauf hin, dass sich die Parteienlandschaft in allen drei ostdeutschen Ländern deutlich verändern wird: In Sachsen muss die traditionell regierende CDU mit herben Einbußen rechnen. Aller Voraussicht nach wird es für die aktuelle schwarz-rote Koalition nicht reichen – und nachdem die AfD schon bei der Bundestagswahl hauchdünn vor der CDU lag, stellt sich die Frage, ob Sachsen das erste Bundesland sein wird, in dem die rechtspopulistische Partei in Regierungsverantwortung kommt.
Das hat Ministerpräsident Michael Kretschmer zwar bisher verneint, sein Fraktionschef Christian Hartmann aber mochte bei seinem Amtsantritt im vergangenen September ein Bündnis nicht kategorisch ausschließen. In Thüringen verliert die Partei des ersten linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow an Zustimmung, sein rot-rot-grünes Bündnis ist in Gefahr. Und in Brandenburg sagen die Umfragen Verluste sowohl für Linke wie SPD voraus. Der sozialdemokratische Chef des rot-roten Bündnisses, Dietmar Woidke, muss zittern. Und überall legt die AfD zu; im Osten scheint die Partei von Alexander Gauland und Jörg Meuthen längst zur Volkspartei geworden zu sein.
Vorauseilender Gehorsam der Verwaltung
Das hat Folgen – sowohl für den parlamentarischen Alltag als auch für die Zivilgesellschaft. Am deutlichsten spürbar dürfte das bisher in Sachsen sein. Denn hier wird es den Engagierten gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit schon lange nicht leicht gemacht. Viele Jahre lang haben die konservativen Kräfte im Land geleugnet, dass es überhaupt ein Rechtsextremismus-Problem gibt – und, als sie es dann spätestens nach den Aufmärschen in Chemnitz im vergangenen Jahr endgültig eingeräumt haben, gebetsmühlenartig betont, dass auch Linksextremismus bekämpft werden müsse. Das findet auch die AfD. Vereinen und Initiativen, die sich dem Kampf gegen Rechts verschrieben haben, möchte sie am liebsten die Fördergelder streichen, dafür aber eine Soko Linksextremismus einrichten. Es würden Informationen gesammelt, erklärt Martina Glass, Geschäftsführerin des Netzwerks für Demokratische Kultur (NDK) in Wurzen, »und es wird klar formuliert, dass es keine öffentlichen Gelder für bestimmte Vereine mehr geben wird, sollte die AfD jemals in Regierungsverantwortung kommen.«
Diese Drohung sei deutlich, schlimmer aber sei der »vorauseilende Gehorsam«, der jetzt schon in Teilen der Verwaltung wahrnehmbar sei. »Man hat große Angst, sich angreifbar zu machen. Wenn wir Veranstaltungen planen, werden wir heute sehr viel intensiver als früher gefragt, ob da nicht Linksextremismus drinstecken könnte.« Bestimmte Themen würden gleich ganz gemieden: Über Rechtspopulismus etwa solle vor der Wahl lieber nicht mehr diskutiert werden. »Da ist immer die Angst, das könnte zu kritisch sein.« Das schlage sich inzwischen auch auf die Arbeit der Engagierten nieder: »Wenn wir Veranstaltungen planen, diskutieren wir viel länger als früher, ob wir einen bestimmten zugespitzten Titel wählen können oder lieber zurückhaltender sind. Das lähmt schon.« Ein Gutes aber habe die Situation: »Wir vernetzen uns viel stärker mit anderen Initiativen vor Ort. Wir wollen damit sichtbar machen, dass wir keine Einzelkämpfer*innen sind.«
Parlamentarische Anfragen durch AfD im Landtag
Auch in Thüringen hat die parlamentarische Stärke der AfD – die hier unter Landeschef Björn Höcke einen besonders nationalistischen Kurs fährt – Auswirkungen auf die Demokratie-Arbeit. Alexander Krampe von KoKont Jena, Koordinierungsstelle des Jenaer Stadtprogramms und Kontaktbüro des Runden Tisches für Demokratie, sagt, die Fraktion erkundige sich in Anfragen immer wieder nach Finanzierung und Kooperationen, im Bestreben, vermeintliche Kontakte zum Linksextremismus aufzudecken. Doch bisher gebe es mit der rot-rotgrünen Landesregierung eine gute Partnerin. »Solche Anfragen werden sehr zurückhaltend beantwortet – es wird schon recht sensibel darauf geachtet, welche Informationen herausgegeben werden.« Das schütze vor Anfeindungen. In der Universitätsstadt Jena selbst gebe es noch keine Erfahrungen mit der rechtspopulistischen Partei, bis Mai 2019 waren sie hier kommunalpolitisch nicht aktiv.
Diffamierung durch AfD zeigt Wirkung
Auch in Brandenburg steht der AfD, deren Partei- und Fraktionschef Andreas Kalbitz ebenfalls zum völkischen Flügel der Partei zählt, den Umfragen zufolge wohl ein großer Wahlerfolg bevor. Und auch hier steht die Rechtsaußenpartei mit der Zivilgesellschaft auf Kriegsfuß: Der durch öffentliche Gelder geförderten Initiative »Tolerantes Brandenburg« wirft die Partei »politische Manipulation auf Steuerzahlerkosten, Denunziantentum und Selbstgespräche im rot-rot-grünen Elfenbeinturm« vor. Der Protest gegen verschiedene Anti-Rechts-Kampagnen zeigte Wirkung: In einem Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes im Landtag wird mehr staatliche Neutralität angemahnt. Geld von staatlichen Stellen solle nicht für Anti-Werbung genutzt werden, die eine konkrete Partei zum Ziel habe – und schon gar nicht kurz vor Wahlen. Das Land müsse Neutralität wahren und bei der Vergabe von Fördergeld künftig besser aufpassen, was die Engagierten damit machen. Fördermittelbescheide sollten etwa durch Nebenbestimmungen wie »einem Verbot eines zugunsten oder zulasten politischer Parteien erfolgenden Mitteleinsatzes« ergänzt werden.
Für die Initiativen dürfte es mit mehr Stimmen für die AfD in den Landtagswahlen nicht einfacher werden. Zugleich warnen Opferberatungsstellen vor mehr rechter Gewalt in Ostdeutschland vor den Wahlen – die Zunahme der Angriffe sei »auch ein Resultat der Verschiebung des öffentlichen politischen Diskurses«, sagt Robert Kusche vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Diese Verschiebung sehen Beobachter*innen in allen Bundesländern – nicht nur im Osten.