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Interview

»Wie menschlich halten wir´s?«

Sookee beim Highfield Festival 2017 © Christian Grube

Es gibt sie überall: Menschen, die sich tagtäglich für eine offene und solidarische Gesellschaft einsetzen. Das Bündnis #WannWennNichtJetzt plant eine Marktplatz-und Konzerttour im Vorfeld der Landtagswahlen an neun Orten in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt sie dabei, die zivilgesellschaftlichen Strukturen vor Ort sichtbar zu machen und nachhaltig zu stärken. Mit dabei ist auch die queerfeministische Rapperin und Antifaschistin Sookee. Wir sprachen mit ihr über Mut, Grundrechte und darüber, was es bedeutet, Solidarität zu leben.

Du spielst ein Konzert im Rahmen der #Wann- WennNichtJetzt-Tour. Warum ist es Dir wichtig, die Aktiven vor Ort zu unterstützen?

Wir in den Großstädten, vor allem in der Hauptstadt, haben es relativ leicht. Wir haben natürlich auch reale Nazis in den Straßen, in den Büros, in der U-Bahn, im öffentlichen und alltäglichen Leben, aber nicht in der Massivität wie in Thüringen, Brandenburg, Sachsen. Solidarität ist ein so großer Begriff, den wir viel verwenden. Aber inwiefern solidarisieren wir uns tatsächlich mit den eigenen Genoss*innen ein paar Kilometer außerhalb der Stadtgrenze? Mein Eindruck ist, dass es niemand in der im weitesten Sinne antifaschistischen Landschaft so schwer hat wie die Menschen in den ländlichen Regionen – insbesondere im Osten. Ich habe das Gefühl, die Leute dort sind immer in der Position, zu erbitten und zu erbetteln, dass die Leute aus den größeren Städten ihre Politik bitte nicht nur in der Stammkneipe diskutieren, sondern auch in der ländlichen Region Praxis werden lassen.

Ich ziehe alle mir zur Verfügung stehenden Hüte vor diesen Leuten, die in den Kleinstädten das Maul aufmachen und sagen: »Liebe Leute, das Ost-Bashing ist berechtigt, aber bitte vergesst uns hier nicht. Wir versuchen das Ding irgendwie zu retten und es wäre schön, wenn wir nicht mit in den Pott des ›dummen Nazi-Sachsen‹ gerührt würden. Es wäre schön, wenn unsere Existenz, unsere Arbeit und die Energie, die wir aufbringen – und auch die Gefahren, denen wir uns aussetzen – gesehen würden, und wir Unterstützung bekämen.«

Wie blickst Du auf den Erfolg rechtsradikaler Parteien in Brandenburg, Thüringen und Sachsen bei der Kommunal- und Europawahl?

Das Erstaunliche daran ist ja, dass jetzt wieder das große Entsetzen passiert: »Oh, ein Viertel der Wähler*innen will eine rechte Partei!« Wir haben seit 2015 diesen Begriff »Rechtsruck«, den ich eher als Rechtsschleichen bezeichnen möchte. Mir fallen genügend Leute ein, die schon in den 90er Jahren in der sächsischen Provinz von Nazis gejagt wurden, jeden Tag. Und das, obwohl sie herkunftsdeutsche Weiße sind, aber die »falsche« politische Einstellung haben – ganz zu schweigen von Leuten of Color, die sich noch nicht einmal inhaltlich äußern müssen, sondern bloß existieren, und schon angegriffen werden. Die haben für den Begriff Rechtsruck natürlich nur ein müdes Lächeln übrig. Die Situation war schon in den letzten Jahrzehnten, und auch vor der Wende, sehr schwierig. Das ist alles nicht neu,  da ruckt nichts, das ist ein Missverständnis.

Was kann jede*r Einzelne gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus tun?

Die Frage ist: Wie menschlich halten wir´s? Und das hat viel damit zu tun, ehrlich zu sich selbst zu sein und Mut zu entwickeln, zu widersprechen. Es ist nachvollziehbar, wenn nicht jede*r Einzelne immer die Kräfte und Ressourcen hat, sich dagegen zu stellen – eben deswegen ist es wichtig, sich zusammenzuschließen. Wir alle können von einem Moment auf den nächsten in die Situation geraten, dass wir selbst zum Feindbild werden. Wenn es an das eigene Portemonnaie oder an die eigene Identität geht, dann werden die Leute wach. Wie wär’s, wenn wir nicht warten,
bis es uns selbst betrifft? Wenn wir uns nicht nur auf uns selbst beziehen, sondern so viel grundlegende Zivilität und Humanität in uns tragen, dass für uns der andere Mensch genauso viel wert ist wie das eigene Leben? Und der andere Mensch bedeutet: jeder andere Mensch. Das zu erkennen ist so trivial und gleichzeitig so groß. Artikel 1 des Grundgesetzes heißt: »Die Würde des Menschen ist unantastbar«. Die Realität dazu ist eine ganz andere. Sich dieser Kluft gewahr zu werden, ist, glaube ich, der allererste Schritt. Wir müssen uns klar machen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben, und wie wollen wir diese Gesellschaft gestalten? Empathie und Herzensbildung halte ich dabei für grundlegend. Das mag etwas hippiesk klingen – aber wenn Intelligenz und Intellektualität die Welt retten könnten, wäre das schon längst geschehen. Es ist genug für alle da. Wir sollten uns von Populismen und Angstmache nicht manipulieren lassen.

Das Interview führte Henrike Koch.

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Kommentar

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