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„Wir lassen uns nicht vertreiben!“ – CSDs bleiben standhaft gegen rechte Angriffe

Beim CSD in Greifswald 2025. Foto: Aktionsbündnis Queer in Greifswald e.V.

Nach dem Pridemonth ist das Ende der CSD-Saison noch lange nicht in Sicht. Wir lassen Organisator*innen von sechs CSDs in ländlichen Regionen zu Wort kommen: Welche Anliegen sind ihnen wichtig? Wie gehen sie mit Anfeindungen um?

Von Vera Ohlendorf

Über 90 CSDs haben bundesweit in diesem Jahr bereits stattgefunden. Bei fast 20 davon kam es zu Störungen oder Übergriffen auf Teilnehmende, einige sahen sich mit organisierten Anti-CSD-Kundgebungen konfrontiert. Polizeischutz und Sicherheitskonzepte sind bei jedem CSD erforderlich. Über den Regenbogenschutzfonds konnten wir bisher schon über 30 Pride-Veranstaltungen finanziell unterstützen, die sich mit Bedrohungslagen auseinandersetzen müssen.

Wie haben Organisationsteams in Witzenhausen, Greifswald, Pforzheim, Wetzlar, Borna und Coburg ihre CSDs erlebt? Wir haben nachgefragt:

31. Mai: 1. CSD in Witzenhausen

Witzenhausen in Nordhessen ist als Kirschanbaugebiet bekannt. Der erste CSD wurde vielleicht auch deshalb von einem Traktor angeführt. Der ist aber nicht die einzige queere Veranstaltung in der Region. Im Mai findet seit zwei Jahren eine queere Gala statt, der „Feministische November“ umfasst vielfältige Veranstaltungen und im nahe gelegenen Bad Sooden-Allendorf hat sich ein queerer Jugendtreff etabliert. „Mit dem CSD wollen wir vor allem queeres Leben auf dem Land sichtbarer machen und mehr Vernetzung in der Region ermöglichen, auch zwischen jüngeren und älteren queeren Menschen“, sagt Noa vom Organisationsteam. Das ist gelungen: 300 Teilnehmende jeden Alters aus der Region Witzenhausen, aus Göttingen, Kassel, Hannover, Leinefelde und Erfurt ziehen während der Kundgebung durch die Straßen.

Der CSD Witzenhausen 2025. Foto: Amadeu Antonio Stiftung/Vera Ohlendorf

Ist es leicht, sich in Witzenhausen für queere Anliegen zu engagieren? „Ich hatte lange das Gefühl, es ist ok, queer zu sein“, so Noa. „Jetzt habe ich Angst vor Angriffen auf queere Menschen und queere Räume durch Rechtsextreme und auch durch konservative Politik.“ Rechtsoffene und rechtsextreme Gruppen sind in Witzenhausen aktiv. Der CSD verläuft ohne Störungen. Akzeptanz ist dennoch keine Selbstverständlichkeit: Im letzten Jahr schrieben einige queerfeindliche „Feministinnen“ einen Brief an die Landrätin, als deren Teilnahme an der queeren Mai-Gala bekannt wurde. Sie positionierten sich gegen die Anliegen der Organisator*innen, trafen transfeindliche und antifeministische Aussagen und warnten vor Kindeswohlgefährdung. Die Landrätin äußerte sich zum Brief zwar nicht öffentlich, unterstützt aber die Anliegen der queeren Communities, ebenso wie der Witzenhausener Oberbürgermeister, der für den CSD die Regenbogenfahne am Rathaus hisste. Noa zieht für den 1. CSD ein positives Fazit: „Alles ist sehr gut und sicher gelaufen. Wir haben uns sehr gefreut, dass so viele Menschen da waren.“

14. Juni: CSD Greifswald – Tage der Akzeptanz

Fast ohne Störungen verlief der 2. CSD in Greifswald. Bis zu 950 Menschen nahmen an der Demonstration und am anschließenden Bühnenprogramm auf dem Markt teil. Seit 2011 gibt es einen jährlichen „Tag der Akzeptanz“ mit Veranstaltungen und Infoständen in der Stadt. „Nach der Pandemie wurde der Wunsch in der Community laut, in Greifswald einen CSD zu organisieren, mit Demo, Dragqueens, queeren Künstler*innen und allem was dazu gehört“, erinnert sich Thomas vom Aktionsbündnis Queer in Greifswald e.V. Ihm ist es wichtig, sich für die Akzeptanz queerer Menschen einzusetzen: „Wir gehören ganz normal zur Gesellschaft wie alle anderen auch. Wir bleiben hier und gehen nicht weg!“, betont er. Der CSD stehe für Solidarität mit allen Menschen, die Ausgrenzungen und Diskriminierungen erfahren.

Der CSD in Greifswald 2025. Foto: Aktionsbündnis Queer in Greifswald e.V.

Nachdem der CSD in Wismar 2024 durch 200 Rechtsextreme gestört und Teilnehmende queerfeindlich bedroht und beleidigt worden waren, erarbeitete der Verein ein Sicherheitskonzept für Greifswald. „Am 14.6. hat parallel zu unserem CSD eine Veranstaltung von Rechtsextremen in Anklam stattgefunden, das ist nur ca. 20 Kilometer von Greifswald entfernt. Wir haben das ernst genommen und waren im engen Kontakt mit der Polizei“, beschreibt Thomas. Vor der Demo seien drei Rechtsextreme am Bahnhof aufgefallen, die aber von der Polizei abgeschirmt wurden. Auf dem Fest am Markt wurden queere Teilnehmende durch fünf Personen beleidigt, die Thomas einer lokalen Burschenschaft zurechnet. Sie wurden aufgefordert, den Platz zu verlassen. Am Ende ist er zufrieden: „Es war schön zu sehen, dass sich viele Passant*innen spontan dem CSD angeschlossen und sich die Redebeiträge angehört haben. Aus vielen Fenstern wurden Regenbogenfahnen geschwenkt. Viele Leute sind auch beim Bühnenprogramm stehen geblieben“. Diese breite Unterstützung hat das Team bestärkt. Der nächste CSD in Greifswald findet 2027 statt.

14. Juni: CSD Pforzheim – Don’t be quiet, be a riot!

Deutliche Worte fanden die Organisierenden vom Spotlight Pforzheim e.V. für den Aufruf zum 3. CSD: „Pforzheim ist dafür bekannt hässlich zu sein und eine AfD Hochburg. Aber das ist nicht alles! Pforzheim ist auch queer und das wollen wir feiern!“ Nach dem Aufruf folgten Schlagzeilen: Die rechtsextreme Gruppe „Störtrupp Süd“ aus der Region rief zu einer Protestdemo auf. „Kurz hatten wir Panik, aber dann haben wir uns gesagt: Dann sollen sie doch kommen, dann machen wir unseren CSD noch größer. Wir lassen uns nicht vertreiben und nicht einschüchtern!“, sagt Caleb als Teil des Organisationsteams. Der Plan ging auf: Rund 1300 Menschen setzten ein klares Zeichen für queere Solidarität, Akzeptanz und Menschenrechte.

Aktivist*innen eines lokalen soziokulturellen Zentrums halfen kurzerhand bei der Entwicklung eines Sicherheitskonzeptes. Vertreter*innen verschiedener Parteien und Pforzheimer Kirchengemeinden riefen öffentlich zur Unterstützung des CSDs auf. Der Oberbürgermeister betonte die Weltoffenheit der Stadt, weigerte sich jedoch, die Regenbogenflagge am Rathaus zu hissen. „Der Nordschwarzwald ist eine ländliche, konservative Region“, erzählt Caleb. „Viele queere Menschen leben unter dem Radar und erleben Diskriminierungen. Insbesondere Transfeindlichkeit wird salonfähig. Deshalb haben wir mit dem CSD die Forderung an die Stadt verbunden, sich klar zu positionieren. Die Flagge nicht zu hissen, schickt leider ein deutliches Zeichen sowohl an queere als auch an queerfeindliche Personen in Pforzheim. Es geht darum, wer sichtbar sein darf und wer nicht“.

Der CSD in Pforzheim 2025. Foto: Janina_v.held_fotografie

Auch eine evangelikal-fundamentalistische Gruppe mobilisierte ca. 30 Personen gegen den CSD, eine Gruppe von ca. 20 Querdenker*innen meldete ebenfalls Protest an. Ein breites Bündnis aus CSD-Organisator*innen, Gemeindevertreter*innen, Kirchengemeinden und Bürger*innen hatte erfolglos versucht, ein Verbot der rechtsextremen Demonstration zu erwirken. Dank der breiten Unterstützung konnten die Anti-CSD-Kundgebungen abgeschirmt werden, so dass das Programm mit Theater, Redebeiträgen, Drag-Queens und Musik ohne Zwischenfälle über die Bühne gehen konnte. „Wir haben gesehen, dass rechtsextreme Gruppen frei durch Pforzheim laufen können. So lange das passiert, muss es auch einen CSD geben. Wir bleiben so lange politisch, bis alle gleiche Rechte haben und nicht mehr diskriminiert werden“, betont Caleb.

14. Juni: CSD Wetzlar – Nie wieder still!

Auch im mittelhessischen Wetzlar zogen hunderte Menschen für queere Sichtbarkeit und Akzeptanz durch die Straßen. „Wir haben von Beginn der Planungen an mit einer Störaktion gerechnet“, sagt Tobias vom CSD Mittelhessen. „Als dann Rechtsextreme von ‚Die Heimat‘ und, unabhängig davon, fundamentalistische Evangelikale Demonstrationen gegen den CSD angemeldet haben, hat uns das den Druck genommen. Wir konnten uns gut vorbereiten. Klar hatten einige auch Angst, aber uns hat das motiviert: Jetzt erst recht!“.

Tobias ist sich sicher, dass die Anfeindungen viele Menschen dazu motiviert haben, den CSD zu unterstützen – wohl auch, weil es die erste organisierte rechtsextreme Demonstration gegen einen CSD in Hessen war. Die Schirmherrschaft hatte der Wetzlarer Oberbürgermeister inne, der die Eröffnungsrede hielt. Zu den Anliegen des CSDs gehörten die Erweiterung des Diskriminierungsverbotes in Artikel 3 des Grundgesetzes um geschlechtliche und sexuelle Identität und die rechtliche Selbstbestimmung transgeschlechtlicher Menschen. Rund 40 Rechtsextreme von „Die Heimat“ konnten durch die Polizei abgeschirmt werden. „Sie waren kaum wahrzunehmen. Wir waren definitiv lauter“, sagt Tobias. Den etwa 20 evangelikalen Fundamentalisten ist es kurzzeitig gelungen, in Sichtweite des CSDs Schilder mit queerfeindlichen und beleidigenden Aussagen zu zeigen.

Der CSD in Wetzlar 2025. Foto: CSD Mittelhessen, Margays e.V

Beim Straßenfest sorgte ein Security-Dienst für Sicherheit, außerdem war ein Awarenessteam vor Ort. „Auf dem Straßenfest sind plötzlich zwei Personen rumgelaufen, die offensichtlich nicht zum CSD gehörten. Sie haben unsere Teilnehmenden gefilmt, was ziemlich unangenehm gewirkt hat. Wir konnten sie schnell des Platzes verweisen“, erzählt Tobias. Er freut sich, dass es zu keinen weiteren Zwischenfällen durch Rechtsextreme gekommen ist. Für ihn ist der CSD auch ein Weg, um sich gegen rechtsextreme Ideologien zu stellen und die Demokratie zu schützen. „Wir verurteilen die Haltung von Julia Klöckner, die die Pride-Flagge nicht auf dem Bundestag hissen will. Die Deutschlandflagge steht sicher nicht für Gleichstellung, Diversität und Selbstbestimmung. Deshalb sind CSDs wichtig: Sie schaffen Sichtbarkeit für queere Lebensrealitäten, auch in ländlichen Regionen“, sagt er.

21. Juni: 1. CSD Borna

Der 1. CSD im sächsischen Borna wurde spontan organisiert: Von der Idee bis zum CSD dauerte es nur vier Wochen. In kurzer Zeit schlossen sich Menschen zum CSD-Bündnis zusammen, die sich in lokalen Vereinen und demokratischen Parteien im Landkreis engagieren. Dabei war zunächst unklar, ob der CSD überhaupt stattfinden würde: Wegen anderer Veranstaltungen am gleichen Tag sah die Stadtverwaltung zunächst keine Kapazitäten und sah keine Möglichkeit für die Genehmigung einer Sondernutzung. Der CSD wurde deshalb als politische Versammlung angemeldet, die Ordnungsbehörde des Landkreises hatte keine Einwände. Der Bornaer Oberbürgermeister zeigte sich aber solidarisch und hisste drei Regenbogenfahnen am Rathaus. Wegen der kurzen Planungszeit verzichtete das Bündnis auf eine Laufdemo. Dafür gab es ein queeres Fest auf dem Marktplatz mit Bühne, Redebeiträgen, Infoständen, Musik und fast 300 Teilnehmenden.

Maximilian vom Organisationsteam ist in Borna zur Schule gegangen, wohnt jetzt wegen des Studiums in einer größeren Stadt und engagiert sich nach wie vor im Landkreis Leipzig. „Ich habe selber die Erfahrung gemacht, wie es ist, als queerer Mensch im ländlichen Raum aufzuwachsen. Man fühlt sich oft allein und denkt, man sei die einzige queere Person im Dorf. Im ländlichen Raum gibt es weniger Toleranz als in der Großstadt“, erzählt er. Vor dem CSD startete das Team einen Aufruf und bat queere Menschen aus der Region, von ihren Erfahrungen zu erzählen. Die Rückmeldungen bestätigten, dass Einsamkeit und Ausgrenzung für viele zum Alltag gehören.

„Der CSD schafft queere Sichtbarkeit im Landkreis. Wir wollen die Botschaft senden, dass es auch in Borna Unterstützung gibt. Du musst dich nicht verstecken und kannst sein wie du bist!“, fasst Maximilian das Anliegen des CSDs zusammen. Leider kam es auch zu rechtsextremen Provokationen: Zu Beginn der Kundgebung trugen zwei Personen ein Transparent mit queerfeindlicher Aufschrift über dem Platz, die Polizei schritt ein. Später zeigte ein 15-Jähriger den Hitlergruß. Weitere 20-30 rechtsextreme Jugendliche beobachteten das CSD-Geschehen vom Rand des Marktplatzes aus und wurden durch CSD-Teilnehmende abgeschirmt. Maximilian ist froh, dass sich die Störversuche in Grenzen hielten. Das Bündnis will auch 2026 einen CSD im Landkreis organisieren.

21. Juni: CSD Coburg – Pride is still a riot!

Seit dem 1. CSD in Coburg 2021 ist in der bayrischen Kleinstadt viel passiert: „Früher mussten Lesben, Schwule, Bisexuelle, transgeschlechtliche, nichtbinäre oder queere Menschen notgedrungen in größere Städte wie Nürnberg, Erlangen oder Erfurt fahren“, erzählt Michael, der den CSD mit organisiert hat. Heute ist das anders: Seitdem die AG Queer des CoMuN e.V. aktiv ist, sind weitere queere Angebote entstanden, etwa wöchentliche Stammtische, ein Queer-Café für Jugendliche, Veranstaltungen und Parties. „Coburg ist eine konservative Kleinstadt. Man überlegt sich zweimal, ob man mit seinem Partner auf der Straße Händchen hält. Für viele hier ist das eine Provokation, obwohl es eigentlich Normalität sein sollte“, erzählt Michael.

Während der Pride Week vor der CSD-Kundgebung standen Vorträge, ein Karaoke-Abend, ein queerer Gottesdienst, Spieleabend und Poetry Slam auf dem Programm. Das Motto: „Pride is still a riot“ meinen die Veranstaltenden ernst: Neben der Stärkung queerer Rechte forderte der CSD auch die Einführung einer Ansprechperson für queere Themen in der Stadtverwaltung. Eine abstrakte Bedrohungslage sei vor dem CSD schon zu spüren gewesen, sagt Michael.

Der CSD in Coburg 2025. Foto: CoMun e.V.

Die Auflagen von Stadt und Polizei zur Absicherung des Marktplatzes wurden im Rahmen der Sondernutzung verschärft, so dass höhere Kosten für den CSD entstanden sind. „Coburg liegt etwa 20 Minuten von Sonneberg in Thüringen entfernt. Dort gibt es einen AfD-Landrat und bei der letzten Bundestagswahl haben 50 % für die AfD gestimmt. Auch hier in Coburg ist die AfD mit 20 % Zustimmung stärker geworden“, berichtet Michael und erwähnt weitere rechtsextreme Gruppen und Burschenschaften, die in Coburg aktiv sind. In den letzten Jahren kam es öfter zu Anfeindungen durch radikale Christ*innen. Der CSD verläuft in diesem Jahr aber ohne Störungen. Schon im Herbst werden die Planungen für 2026 starten.

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