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„Wir müssen über die Vergangenheit reden, um sie nicht zu wiederholen“

Seit Jahrzehnten kämpfen die Nachfahren der Überlebenden des Völkermordes an den Herero und Nama vergebens um Anerkennung und Entschädigung. Auch in Hamburg streitet eine Initiative mit Förderung der Amadeu Antonio Stiftung für die Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit. Nun geht die Hansestadt einen ersten Schritt in die richtige Richtung.

Von Ibo Muthweiler

Es wirkt fast ein wenig sarkastisch, dass ausgerechnet hier im April 2018 zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ein offizieller Empfang einer Herero und Nama Delegation stattfand: im Kaisersaal des Hamburger Rathauses. In dem Saal, der dem Handel, der Seefahrt und dem für den Genozid verantwortlichen Kaiser Wilhelm II. gewidmet ist und damit bildlich für die koloniale Vergangenheit Hamburgs steht. Unter kaiserlicher Hoheit wurden zwischen 1904 und 1908 fast 100.000 Menschen auf dem Gebiet des heutigen Namibia grausam ermordet – aus kolonialrassistischen Motiven.

Dr. Carsten Brosda, Hamburgs Senator für Kultur und Medien sprach von einer „Schlüsselrolle Hamburgs im deutschen Kolonialismus“ und schloss mit dem Satz: „Ich kann Sie nur um Vergebung bitten“. Diese simplen Worte, die Einladung in das Rathaus und das Versprechen, die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Deutschland zu unterstützen, sind symbolträchtig und wirkmächtig. Denn lange Zeit schob die Bundesregierung jegliche Verantwortung für den Völkermord von sich, den sie erst im Jahr 2016 offiziell als solchen benannte. Von Rechtsfolgen und Entschädigungszahlungen will sie bis heute nichts wissen. So warten die Betroffenen weiterhin vergeblich, dass auf Worte auch Taten folgen.

Wie emotional das Thema behandelt wird, ist in der pittoresken Kulisse des Saals deutlich spürbar und zeigt sich auch in der Reaktion der anwesenden Vertretung der Herero und Nama Verbände – viele von ihnen sind heute zum ersten Mal im Land der Täter. Für sie sind es wichtige Tage in Hamburg. Tage, mit denen sie die Hoffnung auf ein Voranschreiten in ihrem zähen und langwierigen Kampf um Gerechtigkeit und Anerkennung verbinden. „Wir werden nicht aufhören, unserer Forderungen zu stellen!“, ruft Chief Moses Kooper, einer der traditionellen Oberhäupter durch den Saal. Dafür erntet er großen Beifall. Beifall, in dem sich die Entschlossenheit der ca. 20 Delegierten unverkennbar widerspiegelt.

Die Forderung: Entschuldigung, Anerkennung, Reparation

Der Senatsempfang stellte den Auftakt für den von der Amadeu Antonio Stiftung geförderten Kongress „Quo Vadis, Hamburg?“ dar, in dessen Rahmen sich Betroffene, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus und des Genozids annahmen. Dabei wurde ein lokaler Fokus auf Hamburg gesetzt, dessen koloniales Erbe in der Stadt allgegenwärtig zu sein scheint. Der erste Kongresstag fand auf der MS Staubnitz statt, von dessen Liegeplatz die deutschen Soldaten, sogenannte Schutztruppen, zur blutigen Zerschlagung des antikolonialen Aufstands nach „Deutsch-Südwestafrika“ entsandt wurden. Im Rumpf des Schiffes wurden Erinnerungskonzepte, Rassismuserfahrungen und Strategien diskutiert. Drei Forderungen kristallisierten sich dabei immer wieder heraus: Entschuldigung, Anerkennung und Reparation. Außerdem wollen die Betroffenen in den Prozess der Aufarbeitung einbezogen werden. Bisher werde nur über Menschen gesprochen, nicht mit ihnen, lautet die Kritik.

„Wir müssen über die Vergangenheit reden, um sie nicht zu wiederholen“. Damit fasst Esther Muinjangue von der Ovaherero/Ovambanderu Genocide Foundation die Notwendigkeit einer Erinnerungskultur zusammen, die Rassismus und Ausgrenzung reflektiert. Durch das zivilgesellschaftliche Engagement der Initiativen wurde die Grundlage hierfür geschaffen: Die Etablierung eines Netzwerkes von Betroffenen und Aktiven in Deutschland und Namibia. Im Gegensatz zur Bundesregierung war der Hamburger Senat für den notwendigen Schritt bereit, mit den Betroffenen zu reden. Was auf die Entschuldigung folgt, das wird sich nun zeigen.

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„Erinnern heißt verändern“

Über ein Modellprojekt der Amadeu Antonio Stiftung erhalten seit Mitte 2023 elf Initiativen von Betroffene und Angehörige von rechten, rassistischen und antisemitischen Anschlägen sowie das gesamte Netzwerk Unterstützung für eine selbstbestimmte Erinnerungskultur. Gefördert wird das Projekt „Selbstbestimmt vernetzen, erinnern und bilden“ durch die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus.

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