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Stellungnahme

Zum Safer Internet Day 2021: Für ein Internet, in dem sich alle sicher fühlen!

Verschwörungsideologien in Sozialen Netzwerken mobilisieren Menschen. Der “Sturm auf das Kapitol” in den USA und ein halbes Jahr davor der „Sturm auf den Reichstag“ hier in Berlin haben das gezeigt. Online-Hetze, Desinformation und Radikalisierung kann sehr reale und tödliche Folgen haben. In Christchurch, Neuseeland, tötete im Januar 2019 ein online radikalisierter Täter 51 Menschen und streamte die Tat live in Sozialen Netzwerken. Und es gab Folgetaten: die Attentate von Halle im Oktober 2019 und Hanau im Februar 2020 sind Beispiele dafür.

Neben Facebook, Youtube und Co. ist besonders Telegram ein Hotspot für die Verbreitung von Verschwörungsmythen und die Markierung von politischen Feind*innen. Was dieses hybride Medium besonders macht: Es gibt so gut wie kein Handeln der Betreiber*innen – keine Moderation, keine Sperrungen, keine Löschungen. In Kanälen mit zum Teil mehr als 100.000 Abonnent*innen, verbreiten Akteur*innen der extremen Rechten und Verschwörungsideolog*innen die Adressen von politischen Gegner*innen oder ihre Dienstanschriften. Wir wissen, dass sich Berliner Jüdinnen und Juden von den Inhalten in Atilla Hildmanns Telegram-Kanal mit rund 114.000 Abonnent*innen bedroht fühlen.

Was macht digitale Gewalt mit den betroffenen Organisationen und Einzelpersonen?

Menschen, die von solchen Anfeindungen betroffen sind, ziehen sich zurück, äußern sich weniger in Sozialen Netzwerken. So sind engagierte Frauen besonders häufig von misogynen Attacken betroffen. Die Täter veröffentlichen Telefonnummern, Mailadressen und private Anschriften – wir sprechen hier von „Doxing“. Viele Betroffene lassen sich dazu drängen, ihre Social Media-Profile zu schließen oder geben beispielsweise ihren Beruf auf. So ein Rückzug bedeutet: Den Betroffenen wird ein Teil ihres Lebens- und Informationsraums genommen. Die Folgen können wie bei anderen Gewalterfahrungen traumatisch sein. Sie reichen von Stress, Angst, Unruhe bis hin zu Depressionen und Suizidgedanken. Doch auch erzwungene Umzüge oder Arbeitsplatzverluste sind sehr konkrete, schwerwiegende Lebensveränderungen – selbst wenn es nicht zu offline-Gewalt kommt.

Was sind die Auswirkungen für unsere Gesellschaft als Ganze?

In einer Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft von 2019 haben 44% der Berliner Befragten angegeben, dass sie wegen drohender und tatsächlicher Hasskommentare seltener ihre politische Meinung bei Diskussionen im Internet einbringen. Auf Organisationsebene ist es übrigens so, dass zum Beispiel ganze Medienhäuser ihre Kommentarfunktion auf Plattformen oder ihrer Website abschalten. Hassrede ist somit eine Einschränkung der Meinungsvielfalt: Denn die Stimmen von marginalisierten und diskriminierten Gruppen fehlen zunehmend. So verschieben sich auch gefühlte Mehrheiten im Land.  Denn wenn sich ganze Gruppen von besonders häufig angefeindeten Menschen aus Angst von Diskussionen zurückziehen, fehlt ihre Perspektive. Das ist für die Meinungsvielfalt besonders deshalb problematisch, weil die Stimmen marginalisierter Gruppen schon per Definition im Diskurs unterrepräsentiert sind. Wir müssen daher gegensteuern.

Was können Zivilgesellschaft, Politik und Strafverfolgung tun?

Aus Sicht der Betroffenen ist bei strafbaren Inhalten ein schneller zuverlässiger Schutz und effiziente Strafverfolgung am Wichtigsten. Wir empfehlen deshalb, Ansprechpersonen zum Thema Digitale Gewalt bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu benennen. An sie könnten sich Betroffene und Zivilgesellschaft wenden. Sinnvoll ist ebenso, wenn das Land Berlin eine Ansprechperson zu digitaler Gewalt benennt. Diese könnte eine Brückenfunktion zwischen Politik, Verwaltung, Strafverfolgung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft bilden.

Wir empfehlen, dass die Polizei proaktiv entsprechenden Kanäle, z.B. bei Telegram in Form von Online-Streifen in den Blick nimmt, auch um mögliche zukünftige Anschläge zu verhindern. Das wird aber nicht reichen: Online-Communities mit radikalisierenden Dynamiken gibt es im Internet überall. Es gibt aber auch überall Menschen, denen solche Aktivitäten auffallen. Bitte nehmen sie deren Warnungen ernst. Dafür ist aus unserer Sicht wichtig, dass Mitarbeitende aller Polizeidienststellen für das Thema digitale Gewalt sensibilisiert werden.

Transparenz und Wirksamkeit von Meldewegen verbessern: Viele Menschen wissen nicht, dass sie Online Anzeigen erstatten oder hetzerische Kommentare melden können. Hier benötigt es weitere Aufklärung. Zur Verbesserung der Prozesse empfehlen wir eine wissenschaftliche Evaluation.

Gegen Diskriminierung in digitalen Räumen hilft am Effektivsten zivilgesellschaftliche Präventionsarbeit und Bildung. Deshalb bietet unser Projekt Workshops zu Gegenrede und Moderation an. Darüber hinaus braucht es aus unserer Sicht Digital Streetwork, also die 1-zu-1-Ansprache von radikalisierungsgefährdeten Personen.

Digitale Räume dürfen nicht als etwas betrachtet werden, das getrennt von der Offline-Welt funktioniert. Für Täter*innen wie Betroffene sind digitale Räume ein ganz normaler Lebensraum, der sich mit dem Offline-Bereich verschränkt. Menschenfeindlichkeit im digitalen Raum hat Auswirkungen auf die offline-Welt und andersherum. Betroffene von digitaler Gewalt verdienen die gleiche Anerkennung, Schutz und Unterstützung wie andere Gewaltopfer.

Das Internet muss endlich ein Ort werden, an dem sich alle Menschen sicher fühlen!

Unser Mitarbeiter Oliver Saal vom Projekt „Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz“ war am 20. Januar 2021 als Sachverständiger zur öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz beim Berliner Abgeordnetenhaus eingeladen. Dies ist die gekürzte und redigierte Version seiner Rede.

Seit 2004 findet jährlich im Februar der internationale Safer Internet Day (SID) statt. Über die Jahre hat sich der Aktionstag als wichtiger Bestandteil im Kalender all derjenigen etabliert, die sich für Online-Sicherheit und ein besseres Internet engagieren.

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