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„Uns fehlen die Worte“

Letzte Woche Mittwoch stellte die Bundesregierung ihr Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität vor. Neben manchen zielführenden Maßnahmen wie der Ausweitung von Melderegistersperren oder der Verschärfung des Waffen- und Sprengstoffrechts kündigt die Bundesregierung auch an, die Rechtsextremismusprävention stärken zu wollen. Das sind gute Nachrichten – aber werden Worten Taten folgen? 

Nur wenige Wochen zuvor flatterte bei zahlreichen Projekten, Initiativen und Organisationen die Nachricht ins Haus, dass sie in der kommenden Förderperiode des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ nicht berücksichtigt werden. Grund dafür ist eine Umstrukturierung des Bundesprogramms: Nicht mehr 400, sondern nunmehr nur noch 100 sogenannte „Modellprojekte“ zivilgesellschaftlicher Akteure werden mit Mitteln des Familienministeriums unterstützt, ein Großteil der freiwerdenden Summe geht an für Demokratieförderung zuständige Verwaltungseinheiten. Auffällig ist, dass gerade bewährte Träger mit langjähriger Expertise leer ausgehen – politisch ein fatales Zeichen, das der Forderung nach einer starken Zivilgesellschaft fundamental entgegensteht.

»ju:an« Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit in Hannover steht vor dem Aus
Bleibt es bei der angekündigten Mittelverteilung, bedeutet das für die Amadeu Antonio Stiftung die Schließung der Zweigstelle in Hannover. „Wir sitzen auf gepackten Koffern“, berichtet Golschan Ahmad Haschemi, die dort für die »ju:an« Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit tätig ist, „Nach acht Jahren erfolgreicher Projektarbeit fehlen uns die Worte dafür, dass es jetzt nicht weitergehen soll“. Seit dem Angriff auf eine jüdische Kindertanzgruppe im Stadtteil Sahlkamp im Jahr 2010 war viel passiert: Mithilfe der Praxisstelle machten sich zahlreiche Einrichtungen auf den Weg, sich zu Antisemitismus und Rassismus weiterbilden und beraten zu lassen. Dem Projekt ju:an gelang es, allein in Niedersachsen über 8000 pädagogischen Fachkräfte, Erzieher*innen, Multiplikator*innen und Lehrer*innen in mehr als 600 Einrichtungen im Bereich der antisemitismus- und rassismuskritischen Jugendarbeit zu sensibilisieren und zu qualifizieren.

Teilnehmer*innen sind betroffen
Die Teilnehmer*innen der von »ju:an« durchgeführten Workshops und Fortbildungen sind über das Ende des Projekts sehr betroffen: „Mir war vorher gar nicht bewusst, dass Antisemitismus in Deutschland noch so ein großes Problem ist. Ich bin sehr dankbar, dass ich durch den Workshop die Möglichkeit hatte, ein Bewusstsein hierfür zu entwickeln und mein Verhalten zu reflektieren, um keine antisemitischen Inhalte zu (re)produzieren. Wenn ich höre, dass ju:an diese Arbeit so nicht mehr weitermachen kann, weil es keine Weiterförderung gibt, macht mich das sehr traurig! Diese Arbeit ist so wichtig!“, erklärt eine Teilnehmerin. Eine andere sagt: „Es ist furchtbar, dass euch die Schließung droht, weil ich glaube, es ist richtig wichtig zu lernen, in welchen Formen sich Rassismus äußert, um sich dagegen wehren zu können und gemeinsam empowernde Aktionen zu planen! Wie sollen wir weitermachen, wenn es ju:an nicht mehr gibt?“ Eine andere berichtet: „Ohne ju:an hätte ich nicht gewusst, was Antisemitismus ist und wie wichtig es ist, jüdische Perspektiven kennenzulernen und sich zu solidarisieren. Ich habe Motivation und Mut bekommen, zu einer jüdischen Gemeinde zu gehen. Durch das Seminar zu sehen, wie unsichtbar jüdische Menschen sind, hat mich schockiert.“, und: „Eure Arbeit ist so wichtig, nicht nur für jüdische Menschen, sondern für alle von Diskriminierung betroffenen Personen!“.

Danach gefragt, wie sie in der gegenwärtigen Situation unterstützt werden können, forderten viele jüdische Gemeinden und Organisationen sowie Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftliche Institutionen in den letzten Wochen ein Ende der Lippenbekenntnisse, stattdessen praktische Solidarität. Damit die Zivilgesellschaft diesem Wunsch nachkommen kann, braucht sie Unterstützung. Die kann in ausreichendem Maß nur durch staatliche Mittel erfolgen, so viel steht fest. Wer den Terror von Halle ernst nimmt, darf jetzt keine Zeit in der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität verlieren. Wir werden nicht müde, die Bundesregierung daran zu erinnern – und sind sehr dankbar, wenn Sie uns mit Ihrer Spende dabei unterstützen, eine laute Stimme im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit zu bleiben.

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