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Antisemitismus und die Documenta15: Die Grenze von Kunstfreiheit heißt Menschenfeindlichkeit

Das Grossgemälde "People’s Justice" (2002) des Kollektivs "Taring Padi" zeigt antisemitischen Hass in popkultureller Aufmachung. (Quelle: picture alliance/dpa | Uwe Zucchi, Verfremdung: Amadeu Antonio Stiftung)

Antisemitismus ist keine Kunst. Antisemitismus ist ein Weltbild. Kunstfreiheit erreicht ihre Grenzen dort, wo Menschenfeindlichkeit anfängt. Verantwortliche aus Kunst, Politik und Zivilgesellschaft können den Fall Documenta15 nicht so stehen lassen. Denn er ist kein isolierter Einzelfall, sondern Ausdruck verwurzelten Menschenhasses, der akzeptiert wird, wenn es um Jüdinnen*Juden geht. 

Die Debatte um die weltweit größte Ausstellungsreihe für zeitgenössische Kunst, die Documenta, beweist seit Wochen, dass Antisemitismus hier nie wirklich verstanden wurde. Schuldabwehr und Debattenverschiebung gehören zur antiaufklärerischen Struktur des Antisemitismus und waren von Anfang an Teil der Debattendynamik. Jüdische Organisationen und Betroffene haben vor dem Antisemitismus der BDS-nahen Künstler*innen und dem (Nicht-)Umgang der Leitung gewarnt. Zugehört hat ihnen kaum jemand.

Nur wenige Tage nach Eröffnung der Documenta tauchten mit der Großleinwand des Künstler*innenkollektivs “Taring Padi” klar antisemitische Kunststücke im Zentrum der Kunstausstellung auf. Nicht nur das Kunstwerk selbst, auch der (Nicht-)Umgang der Verantwortlichen offenbarte in den folgenden Tagen das volle Ausmaß des antisemitischen Skandals. Was sich zeigt: Antisemitismus beginnt mit der Kultivierung antisemitischer Weltbilder und der kulturellen Legitimierung von Antisemitismus. Antisemitismus bedient ein bestimmtes Weltbild. Das braucht Bilder. Und die liefert die Documenta15 ohne jeden Zweifel.

Die Ausstellungsreihe beweist auch, wie tief Antisemitismus sitzt. Der Staat Israel wird auf einer Großleinwand als neues Nazi-Regime gezeigt – Geschichtsrevisionismus at its best. Und genau dieses Weltbild hat Konsequenzen: Israelhass schlägt um in Judenhass und das bedeutet tägliche Bedrohung für Jüdinnen*Juden.

Politische Verantwortliche müssen Konsequenzen ziehen: Ausstellungen, die Judenhass eine Bühne bieten, dürfen nicht gefördert werden, erst recht nicht mit öffentlichen Geldern, sie müssen verurteilt werden. Die Amadeu Antonio Stiftung fordert insbesondere, dass der BDS-Bundestagsbeschluss von der Bundesregierung umgesetzt wird. Er ist verbindlich und muss auch von der aktuellen Bundesregierung angewandt werden: “BDS ist antisemitisch, inakzeptabel und scharf zu verurteilen.”, heißt es schließlich darin. Die Verbindung zwischen den Leinwänden auf der Documenta, BDS und einem antisemitischen Weltbild sind eindeutig.

Statements ohne Einsicht 

In Reaktion auf den lautstarken öffentlichen Protest veröffentlichten die Leitung der  Documenta und das Künstler*innenkollektiv “Taring Padi” eine Reihe von Statements zum zunächst verhüllten antisemitischen Großbild. Gerade die ersten beiden Stellungnahmen sind in ihrer Ignoranz und Relativierung so bestürzend wie symptomatisch für den Umgang mit der wiederholt erhobenen Kritik:

Werk und Künstler werden von den Verantwortlichen unter dem Deckmantel des Kulturrelativismus in Schutz genommen, der blanke Antisemitismus im “Stürmer”-Look als allein spezifisch deutsche oder europäische Lesart unter vielen relativiert. Nicht auf den Antisemitismus des Werks, der hier weiter geleugnet wird, sondern allein auf angeblich fälschlich verletzte “Gefühle” möchte man eingehen. Als Feigenblatt dient der Verweis auf einen vermeintlich progressiven Charakter der Künstler*innengruppe als widerständige Vertreterin des Globalen Südens und der Entstehungskontext des Großgemäldes in der indonesischen Militärdiktatur. Anders als die Verantwortlichen weismachen wollen, gibt es keinen lokalen Kontext, keine kulturspezifischen Erfahrungen, in dem das Werk als etwas Anderes zu verstehen wäre, als was es ist: Judenhass, in seiner ungeniertesten Form. Um dies festzustellen braucht es weder eine nun eilig eingeforderte “Expertise”, noch kann es hier einen irgendwie gearteten “neuen Dialog” geben.

Zum zweiten Statement der Documenta und zur Abhängung antisemitischer Leinwände

Alles, was um die Kunstausstellung passiert, ist ein Spiegel für den (Nicht-)Umgang mit und eine Normalisierung von Antisemitismus in unserer Gesellschaft. Betroffenen wird nicht zugehört. Jüdinnen*Juden wurden im Vorfeld nicht gehört und auch jetzt nicht. In einem eilig nachgeschobenen zweiten Statement kam die Leitung zwar nicht mehr darum herum, den antisemitischen Charakter des Werks einzugestehen, zur Schutzbehauptung “kulturspezifischer Erfahrungen” nimmt sie jedoch noch immer keinen Abstand. Erst auf weiteren massiven öffentlichen Druck hin gab die Leitung nach und ordnete den kompletten Abbau des antisemitischen Werks an. Der schließlich durchgesetzte Abbau der Großleinwand war bezeichnend, denn er wurde von antisemitischen Skandierungen begleitet. Der Aufhänger “das ist im globalen Süden eben so” bleibt für Viele ein Blankoscheck für blanken Antisemitismus.

Heißt Abhängen also gleich Ende gut, alles gut?! Von wegen: Eine Leinwand kann abgehängt werden. Ein gefestigtes, internalisiertes antisemitisches Weltbild in den Köpfen der Menschen nicht. Wir wiederholen gerne nochmal: Antisemitismus ist keine Kunst, es ist ein Weltbild.

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