Nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt hat ein genauerer Blick gezeigt: Insbesondere bei jüngeren Menschen zwischen 20 und 30 Jahren konnten Rechtsextreme punkten. Auch die pädagogische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus zielt vor allem auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ab. Menschen im Rentenalter werden in der Demokratiearbeit bislang kaum mitgedacht – weder als demokratische Ressource, noch als Zielgruppe der extremen Rechten. Dabei können ältere Menschen im demokratischen Miteinander eine bedeutende Position einnehmen. Die Studie „Zivilgesellschaftliches Engagement älterer Menschen gegen Rechtsextremismus“ zeigt jedoch: Zivilcourage älterer Menschen ist eher eine Ausnahme.
„Die Studie hat gezeigt, dass es für ältere Menschen keine Selbstverständlichkeit ist, sich zivilcouragiert gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Das sollte uns beschäftigen,“ fasst der Dr. Peter-Georg Albrecht von der Hochschule Magdeburg-Stendal die Ergebnisse zusammen. Mit Unterstützung der Amadeu Antonio Stiftung hat der Sozialwissenschaftlicher in über 30 problemzentrierten Interviews Senior:innen zu ihrer Zivilcourage vor dem Hintergrund des Rechtsextremismus und biographischer Diskriminierungserfahrungen befragt.
Demnach ist Zivilcourage älterer Menschen eine Ausnahme: Ein Engagement wird vielfach verneint und es gibt wenig gute Vorbilder. Gleichzeitig ergibt die Studie, dass die Befragten viel stärker als junge Menschen derzeit den gesellschaftlichen Zusammenhalt als bedroht ansehen. Darauf reagieren viele mit Ressentiments und Rassismus. Menschen im Rentenalter werden jedoch bislang weder als Zielgruppe, noch als Ressource der Demokratiearbeit gesehen. In der Konsequenz heißt das, dass auch rechtsextremes Verhalten und abwertende Einstellungen bei Älteren nicht ernst genommen und bagatellisiert werden.
„Ältere Menschen spielen im demokratischen Miteinander eine zentrale Rolle: Menschen über 60 Jahren sind in den demokratischen Parteien überrepräsentiert, und auch bei den Landtagswahlen der letzten Jahre haben Ältere deutlich demokratiestärkend gewählt,“ sagt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt kam eine rechtsradikale Partei bei Senioren auf 18 Prozent, bei den 45- bis 59-Jährigen auf 27 Prozent und bei den 30- bis 44-Jährigen sogar auf 30 Prozent.
Zivilcourage müssen auch ältere Menschen lernen – Empfehlungen der Studie
Die Studie zeigt, dass es bei älteren Menschen viel Potenzial für die demokratiestärkende Arbeit gibt, das aber aktiviert werden muss. Doch um dieses Potenzial zur Entfaltung zu verhelfen, müssen die besonderen Herausforderungen dieser Bevölkerungsgruppe verstanden und überwunden werden: Mit steigendem Lebensalter nehmen Verletzlichkeit und Abhängigkeit zu, während vielfach integrierende Lebensinhalte wie Beruf und bestimmte Hobbys wegfallen. Reinfrank fordert daher bei den Programmen gegen Rechtsextremismus, wie beispielsweise „Demokratie leben!“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“, die Förderung von Demokratieengagement und Zivilcourage bei älteren Menschen zu einem Schwerpunkt zu machen und Modellprojekte mit dieser Zielgruppe zu konzipieren und damit auf den besonderen Bedarf zu reagieren. Einen zusätzlichen Schwerpunkt sieht Reinfrank insbesondere bei dem Thema Verschwörungsideologien, wo er einen erheblichen Bedarf für Workshops, Fortbildungen und Bildungsmaterialien für und mit älteren Menschen sieht.