Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

„Die Selbstverständlichkeit, sich zivilcouragiert zu engagieren, ist leider nicht gegeben“

Im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung hat Dr. Peter-Georg Albrecht von der Hochschule Magdeburg-Stendal ältere Menschen zu ihrer Zivilcourage vor dem Hintergrund des Rechtsextremismus und biographischer Diskriminierungserfahrungen befragt. Die Studie „Zivilgesellschaftliches Engagement älterer Menschen gegen Rechtsextremismus“ zeigt: Zivilcourage älterer Menschen ist eher eine Ausnahme. Dabei bringen sie große Potenziale für die Demokratiearbeit mit. Im Interview sprechen wir mit ihm über die Ergebnisse – und was daraus folgen sollte.

Herr Dr. Albrecht, Sie forschen zum Thema zivilgesellschaftliches Engagement und Zivilcourage bei älteren Menschen. Was verstehen Sie unter Zivilcourage?

Zivilcourage ist eine spontane Reaktion – wenn jemand durch eine besondere Situation herausgefordert wird, sich selbst zu positionieren, in der Regel, um eine missliche Situation zu ändern. Zum Beispiel wenn sich Leute schlecht benehmen, oder schlimmer noch, wenn andere Mitmenschen in Gefahr gebracht werden. Diese dort dann zu verteidigen oder zu schützen ist Zivilcourage.

Und wie steht es um die Zivilcourage bei älteren Menschen?

Wir haben die Menschen zunächst nach Rechtsextremismus in der Gesellschaft und nach ihren eigenen Diskriminierungserfahrungen befragt, was nahelegt, dass dies Dinge sind, die Engagement und Zivilcourage herausfordern. Trotzdem haben die Seniorinnen und Senioren gesagt: Nein, das machen wir eigentlich nicht und wir haben auch wenig Erfahrung damit, dass andere Senioren sich zivilcouragiert engagieren. Es wird also eher vermieden.

In der Studie taucht der Begriff „Noncourage“ auf. Was meint das?

Manche Soziologen sagen, Noncourage ist die Handlungsoption der Vermeidung. Wir Menschen haben nicht nur die Möglichkeit, uns pro und contra zu verhalten, sondern auch uns gar nicht zu verhalten, indem wir nicht einschreiten oder einfach weggehen – das sollte uns beschäftigen. Die Studie hat gezeigt, dass die Selbstverständlichkeit, sich zivilcouragiert zu engagieren, leider nicht gegeben ist.

Gibt es bestimmte Ängste unter älteren Menschen, sich zivilcouragiert zu engagieren? Und sehen Sie dabei Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen Senior*innen?

Es gibt Ängste, selbst verbal diskriminiert oder Opfer von körperlichen Übergriffen zu werden. In der Studie selbst wurden keine westdeutschen Seniorinnen und Senioren befragt, daher können wir keine Vergleiche ziehen. Als wir uns die Hintergrundmuster der Engagierten und Nicht-Engagierten angeschaut haben, haben wir beim Engagement festgestellt, dass ein wichtiges Element die politische Wende in der DDR war – da war 1989 das Jahr der Zivilcourage der Ostdeutschen. Uns ist in den Interviews aufgefallen, dass bezüglich des Engagements bei Ostdeutschen etwas fehlt, was in Westdeutschland vermutlich eine Rolle spielen würde, nämlich dass Leute sich engagieren, weil sie etwa in der Frauenbewegung, in der Friedensbewegung, in der Umweltbewegung, etc. sind. Das tauchte in unseren Interviews nicht auf, sodass wir vermuten, dass es eine Art zivilgesellschaftliche Lücke gibt. So sind viele Seniorinnen und Senioren es nicht gewohnt, sich in einer Gruppe zu engagieren.

Welche Handlungsansätze gibt es für den Umgang mit rechtsextremen älteren Menschen?

Wir müssen da zunächst zwischen latent und manifest rechtsextremen Menschen unterscheiden und schauen, ob es sich um Engagement-gebundene oder nicht Engagement-gebundene Menschen handelt. Durch die AfD sind die Engagementverbindungen [für Rechtsextreme] deutlich einfacher geworden. Von latent rechtsextremen Menschen sprechen wir, wenn sie bestimmten Aussagen zustimmen. Manifest sind sie, wenn sie darüber hinaus auch ein bestimmtes Weltbild haben.

Wie können wir diese Menschen zum Engagement für eine demokratische Zivilgesellschaft bewegen?

Zunächst müssen wir wahrnehmen, dass das Alter nicht vor Torheit und politischen Extremismen schützt. Es ist wichtig, mit politischen Themen nicht nur die Jugend anzusprechen, sondern auch ältere Menschen zu verstehen und mit ihnen gemeinsam demokratische Politik zu machen. Da bieten sich sozialpädagogische Interventionen an: Seniorenbildung oder ganz einfach Erwachsenenbildung. Menschen müssen auch außerhalb von Schulen, Hochschulen, Parteien und Vereinen erreicht und Fragen von Demokratie und Toleranz besprochen werden.

Was könnte es zum Beispiel für eine Kirchengemeinde bedeuten, die ihre älteren Mitglieder für zivilgesellschaftliches Engagement und Zivilcourage motivieren und stärken möchte?

Stellen wir uns vor, es treffen sich einmal im Monat zwölf Senioren, um bestimmte Themen zu besprechen. Diesen zwölf würde ich als Erwachsenenbildner bestimmte Ansätze geben: Erstes, das Aushandeln von Umgangsformen, zum Beispiel dass sie ihre Leitung untereinander immer mal wieder wechseln. Dadurch lernen sie Partizipation und demokratische Umgangsformen. Ein zweiter Schritt wäre es, sich mit den eigenen Werten auseinander zu setzen – bei einer kirchengemeindlichen Seniorengruppe können das zum Beispiel biblische Geschichten über bestimmte Themen sein. Die dritte konkrete Sache wäre, als Erwachsenenbildner auch Themen wie Rechtsextremismus und Zivilcourage konkret anzusprechen.

 

Publikationen

Weiterlesen

Mitmachen stärkt Demokratie

Engagieren Sie sich mit einer Spende oder Zustiftung!

Neben einer Menge Mut und langem Atem brauchen die Aktiven eine verlässliche Finanzierung ihrer Projekte. Mit Ihrer Spende unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung für Demokratie und Gleichwertigkeit.