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AfD vor Gericht: Die Herzkammer des Rechtsextremismus

Roman Reusch (mitte), Beisitzer im Bundesvorstand der AfD, und Carsten Hütter (rechts), Mitglied des sächsischen Landtags und Rechtsanwalt Christian Conrad vertreten die AfD in Münster. (Quelle: picture alliance/dpa | Guido Kirchner)

In Münster wird noch verhandelt, dabei zeigt ein Blick ins Umfeld der AfD, wie rechtsextrem die Partei wirklich ist.

Von Jan Riebe

Am 12. und am 13. März verhandelt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster über die Einstufung der AfD-Bundespartei als rechtsextremen Verdachtsfall. Neben der AfD geht es im Prozess auch um ihre Jugendorganisation Junge Alternative (JA) und die formal aufgelöste Parteigliederung „Der Flügel“ um Björn Höcke.

Die Partei klagt gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Einstufung von AfD und JA als „rechtsextremistischen Verdachtsfall”. Diese Einstufung von 2021 erlaubt nachrichtendienstliche Überwachung. Die AfD hatte schon 2022 gegen die Einstufung geklagt, verlor aber vor dem Verwaltungsgericht Köln.

Dagegen hatte die Partei Berufung eingelegt. Die nächsthöhere Instanz, das OVG in Münster, muss jetzt entscheiden, ob der Verfassungsschutz die AfD weiterhin als Verdachtsfall behandeln darf. Ob im Anschluss an die beiden Prozesstage schon ein Urteil gefällt wird, ist noch nicht sicher. Aber selbst wenn das Gericht, wie zu erwarten ist, zum Schluss kommt, dass die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall bestehen bleiben darf, hängt diese Einschätzung und auch die des Verfassungsschutzes der rechtsextremen Wirklichkeit um Jahre hinterher.

Spätestens seit ihrem Einzug in den Bundestag 2017 galt die AfD Beobachter*innen als parlamentarischer Arm des Rechtsextremismus. Eineinhalb Legislaturperioden und mehr als sechs Jahre später, mit anhaltender und sich beschleunigender Radikalisierung, hat sich die AfD vom parlamentarischen Arm zur Herzkammer des Rechtsextremismus in Deutschland entwickelt.

Die Partei konzentriert sich schon lange nicht mehr nur auf die Parlamente. Unter Federführung des thüringischen AfD-Chefs Björn Höcke hat sich die AfD zunehmend, vor allem im Osten, in eine Bewegungspartei umgewandelt, für die mitunter die Parlamente nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. „Den Kampf, den wir kämpfen um die Existenz unserer Nation und Europas, der wird nicht in den Parlamenten entschieden, der wird tatsächlich auf der Straße entschieden“, so Höcke 2023 am Rande des Bundeskongresses der JA im Interview mit einem rechtsextremen Medienprojekt. Rechtsextreme in und außerhalb der AfD warten stets auf den Moment, in dem sich die Massen auf die Straße begeben und das System überwinden, den sogenannten Tag X. Die Geduld scheint bei einigen aber längst verbraucht zu sein. Jetzt will die Partei diesen Protest organisieren und federführend leiten – mit Hilfe von Umfeldorganisationen, die im rechtsextremen Jargon als Vorfeld bezeichnet werden.

Die Proteste während der Corona-Pandemie waren eine Art Probelauf für den inszenierten Aufstand. Die Erfahrungen daraus – was hat gut funktioniert, was ist schlecht gelaufen, welche Strukturen haben gefehlt – dienen als Blaupause für zukünftige Krisenszenarien. Zuletzt erhofften die Parteistrateg*innen sich von den Bauernprotesten eine Dynamik, die mit guter Organisation und entsprechender Widerstandsinszenierung den angestrebten Systemsturz zumindest ein wenig näher bringen könnte. Die AfD und ihr nahestehende Vereine brachten sich in den Protest mit ein, auch um diesen größer erscheinen zu lassen, als er ist. Laut Behörden ist es nur ein kleiner Kreis von Aktivist*innen aus dem Rechtsaußen-Milieu, die versuchen, Protest in die von ihnen gewünschte Richtung zu lenken. Alle sind untereinander gut vernetzt, mit klaren Rollenverteilungen, oft männlich und relativ jung, aber mit Erfahrungen in rechtsextremen Organisationen. Viele kommen aus der Identitären Bewegung (IB), andere waren in neonazistischen Kameradschaften oder der NPD aktiv. Oft sind sie in formal unabhängigen Vereinen organisiert, mit engsten Kontakten zur AfD. Einige dieser Vereine sind schon lange dabei, sie gab es mitunter schon vor Gründung der Partei. Aber es werden gezielt auch neue Vereine gegründet, immer dort, wo eine Leerstelle auf dem Weg zum Systemsturz ausgemacht wurde.

Das Institut für Staatspolitik (IfS) gilt als Vaterorganisation (das Verständnis von „Widerstand“ ist in der extremen Rechten fast ausschließlich männlich geprägt) dieses AfD-nahen Vereinsgeflechts. Lange vor Gründung der AfD entstand das IfS Anfang der 2000er Jahre. Jahrelang war Andreas Lichert erster Vorsitzender des Trägers, dem Verein für Staatspolitik e.V.. Heute steht Lichert an der Spitze der AfD Hessen. Nur ein Beispiel der rechtsextremen Netzwerke, die schon vor Gründung der AfD bestanden.

Das IfS setzte früh auf die Radikalsten in der Partei, wie Björn Höcke. Das hat sich ausgezahlt. Der Verein hat sich längst zum zentralen Ideologie- und Schulungszentrum für die radikalsten Teile der rechtsextremen AfD entwickelt. Ohne das IfS wäre die Radikalisierung der vormals rechtspopulistischen Partei nie so schnell vonstattengegangen. Seit Jahren widmet sich das IfS der rechtsextremen Nachwuchsförderung und Strategiebildung. Mit seiner Hilfe entstanden der deutsche und österreichische Ableger der IB, der Finanz- und Kampagnenverein „Ein Prozent“ oder der Verein „Filmkunstkollektiv”.

Der Verein Ein Prozent ist zu einem finanzkräftigen Akteur der rechtsextremen Szene herangewachsen, der auch für die AfD überall dort finanzieren kann, wo der Partei durch Parteien- oder Transparenzgesetze Hürden in den Weg gelegt werden. Auch andere rechtsextreme Vereine und Medien unterstützt Ein Prozent finanziell. An Spender*innen scheint es nicht zu mangeln. Anders als Spenden an die AfD tauchen solche an den Verein nicht in öffentlich zugänglichen Rechenschaftsberichten auf. Das dürfte einigen finanzstarken Förderern der rechtsextremen Szene entgegenkommen. Lieber die AfD indirekt als direkt unterstützen scheint das Motto zu sein. Ein bekanntes Beispiel der engen Kooperation ist der Erwerb einer Immobilie in Halle im Jahr 2017, die fortan für vier Jahre als rechtsextremes Zentrum der IB fungierte. Auch hier hatte Andreas Lichert seine Hände im Spiel, er war 2017 als Bevollmächtigter am Erwerb einer Immobilie beteiligt. Offizieller Hauptmieter: Ein Prozent. Der Verein vermietete die Räume unter, beispielsweise an den AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider, der dort ein Bürgerbüro unterhielt. So fließen Geldbeträge zwischen AfDlern und den ihnen nahestehenden Vereinen hin und her.

Eine Unterstützung des AfD-Wahlkampfes jenseits der Parteiengesetze betreibt auch das Magazin Compact von Jürgen Elsässer. Die Spenden, die das Magazin sammelt, unterstützen zum Beispiel die AfD in Wahlkampfzeiten in vielen Städten mit Großbühnen durch Veranstaltungen. Mit dabei sind viele bekannte Gesichter des Rechtsextremismus, die teilweise der AfD offiziell als zu radikal gelten. Aber vor allem ist das Compact-Magazin eine AfD-nahe Publikation, die Hass und Hetze verbreitet, deren Früchte die rechtsextreme Partei erntet.

Das Filmkunstkollektiv ist einer der neueren Vereine, die aus dem Dunstkreis der IB und des IfS entstanden sind. Sie rühmen sich, den „Widerstand“ mit Foto- und Filmkamera ins rechte Licht zu rücken. Verwackelte Handyfilme gehörten endlich der Vergangenheit an, verkünden sie stolz. Dank Filmkunstkollektiv wirken selbst kleine Kundgebungen wie ein beginnender Systemsturz. Die rechtsextreme Medienagentur versteht, wie Propaganda des 21. Jahrhunderts auszusehen hat – frisch, rebellisch, revolutionär und selbstverharmlosend.

Das sind nur einige der Umfeldorganisationen der AfD. Viele in der Partei wissen, ohne diese stünde man weitaus schwächer da. Die Vereine helfen der AfD dort, wo sie selber nicht tätig sein kann oder will – teils mit klassischer Vorfeldarbeit, teils praktisch im Herstellen und Verteilen von Propagandamaterial, massenweisem Plakatieren im ländlichen Raum, Produzieren von Wahlkampfspots oder Unterstützung bei Social-Media-Präsenz. Wieder andere leisten ideologische Vorarbeit. Das lässt sich gut an der Umdeutung des Begriffs „Remigration” aufzeigen. Ursprünglich stammt der Begriff aus der NS-Exilforschung und beschreibt die freiwillige Rückkehr von vor dem nationalsozialistischen Regime geflohenen Menschen nach Deutschland. Die Identitäre Bewegung begann den Begriff in sein Gegenteil zu verkehren, nämlich als Deportation oder Abschiebung von Geflüchteten in das Herkunftsland, wo ihnen nicht selten Folter und Tod droht. Nachdem die Identitäre Bewegung Remigration als harmlos klingenden Ersatzbegriff für Slogans wie „Ausländer raus“ durch jahrelange Nutzung etabliert hat, konnten die AfD in Deutschland und die FPÖ in Österreich den Begriff übernehmen. Im Jahr 2019 tauchte „“Remigration” erstmals in einem Wahlprogramm der AfD auf.

Das Umfeld, obwohl formal unabhängig, ist organischer Bestandteil der Bewegungspartei AfD und ihrer Parteijugend. Einige Akteure, wie Ein Prozent, Compact oder IfS gelten als gesichert rechtsextrem, andere arbeiten noch an diesem „Prädikat“. Eine Beurteilung der Partei ohne Berücksichtigung der formal ausgelagerten Parteiarbeit wird immer zu einer Verharmlosung der AfD führen.

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