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Offener Brief

An Ben & Jerry’s: Ein Eis-Boykott schafft keine Lösungen, sondern schürt Hass und befördert Antisemitismus

English Version: Open Letter to Ben & Jerry’s: An ice cream boycott doesn’t solve any conflicts, but stirs hate and promotes antisemitism

Liebe Kolleg:innen von Ben & Jerry’s,

mit großer Verwunderung und Bestürzung haben wir die Verlautbarung des Ben & Jerry’s-Mutterkonzerns zur Kenntnis genommen, den Verkauf Eurer Produkte im Westjordanland und in Ostjerusalem zu beenden. Wir können die Entscheidung, damit Israel zu boykottieren, nicht nachvollziehen. Wir sind vor allem enttäuscht, dass der Konzern damit der Linie der antisemitischen Boykottbewegung BDS folgt.

Diese Entscheidung leistet der Argumentation Vorschub, nach der es auf der einen Seite ein “böses Israel” gebe und auf der anderen Seite ausschließlich die “unterdrückten Guten” Palästinenser:innen. Boykottbewegungen dämonisieren und delegitimieren den Staat Israel und verbreiten damit israelbezogenen Antisemitismus. Sie nennen sich zwar menschenrechtsorientiert, legen aber an den demokratischen Staat Israel grundlegend andere Maßstäbe als bspw. an das Terrorregime der Hamas oder das korrupte System der Fatah. Beide Regime treten grundlegende Menschenrechte mit Füßen. Sie sind das genaue Gegenteil von allem, was als progressiv oder emanzipatorisch gelten kann. Die Quellen und  Verbündeten der Boykottbewegungen sind unter anderem terroristische, islamistische Organisationen. Ihre Ziele nehmen die Auslöschung des jüdischen Staates in Kauf, und ihr Hass auf Juden besteht unabhängig davon, wie diese zu Israel stehen. Das ist blanker Antisemitismus und hat nichts mit einer vermeintlichen Kritik an der Regierungspolitik Israels zu tun. Links-liberale und antirassistische Grundsätze sind damit nicht vereinbar. Boykottbewegungen gegen Israel blenden den virulenten Antisemitismus aus den unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Milieus aus und setzen sich über die Situation der Juden weltweit hinweg.

Im Übrigen führt ein Boykott in Israel zu nichts. Es bringt den Friedensprozess nicht voran, und es erleichtert den Palästinenser:innen auch nicht das Leben. Im Gegenteil, Spannungen und Aggressionen werden vertieft und die Fronten werden weiter verhärtet. Der Boykott Eurer Produkte – ausgerechnet in der Westbank – zeigt, wie wenig dabei wirklich an die arabische Bevölkerung gedacht wird. Ausgerechnet sie, die Palästinenser:innen, können nun Euer Eis nicht mehr kaufen. Was soll das? Was nützt es ihnen? Was wollt Ihr damit erreichen? Vielleicht, dass sie nach Israel fahren sollen, um ihr Lieblingseis dort zu essen? Das ist absurd und zeigt, was Symbolpolitik mit dem realen Leben der Palästinenser:innen gemein hat: Es bleibt ein Symbol, das wenig Interesse für die realen Probleme und Wünsche der Palästinenser:innen zeigt.

Hass wird unter dem Deckmantel der “Israelkritik” verbreitet und vergiftet das Klima gegen Jüdinnen und Juden. Immer wenn der Konflikt zwischen Israel und der Hamas wieder aufflammt, entbrennt eine Welle antisemitischer Anfeindungen und Gewalt. Er trifft die jüdische Gemeinschaft – nicht nur in Israel, sondern auch in Deutschland, in Europa, in den USA, überall auf der Welt. In Schulen und auf der Straße, auf der Arbeit, in Sozialen Netzwerken oder in Bus und Bahn werden Jüdinnen und Juden genötigt, sich für die Politik Israels zu rechtfertigen. Sie werden belästigt, angegangen oder attackiert. Angriffe auf Jüdinnen und Juden, Anschläge auf Synagogen, Sprechchöre mit Vernichtungswünschen sind keineswegs eine Kritik an der Besatzungspolitik des Staates Israel, sondern blanker Antisemitismus. Und doch kommen diejenigen, die diese Hetze vorantreiben, immer wieder davon – mit dem Scheinargument, sie würden sich lediglich gegen die Politik Israels richten.

Überall in der Welt haben Jüdinnen und Juden unter diesen Wellen von Antisemitismus gelitten, und sie tun es immer noch. Seit Jahren wird der Antisemitismus wieder offener gezeigt, er wird immer aggressiver und es verbinden sich unterschiedlichste Gruppierungen über den gemeinsamen Nenner Judenhass. Es sind eben nicht nur die Rechtsradikalen, Antisemitismus kommt ebenso aus der bürgerlichen Mitte, aus den Kreisen des radikalen Islam und von den sogenannten Israelkritikern von links. Sich an Kampagnen zu beteiligen, die diese Entwicklung befördern, die den Antisemitismus eskalieren lassen, finden wir unentschuldbar.

Wir hätten uns gewünscht, dass Ihr dagegen eure Stimme erhebt, so wie Ihr es auch tut, wenn es um Angriffe gegen andere Minderheiten geht. Dass Ihr stattdessen in den Chor derjenigen einstimmt, die Israel als das große Böse darstellen, ganz ohne den Gesamtkontext der Geschichte der Region und des Konflikts, ist ein Schlag ins Gesicht aller, die diesen Antisemitismus täglich erleben.

Die Amadeu Antonio Stiftung ist mit Euch einen langen, erfolgreichen Weg gegangen, um gegen Rechtsextremismus, Rassismus und eben auch gegen Antisemitismus anzugehen. Deshalb sind wir umso enttäuschter, dass der Antisemitismus an dieser Stelle nicht ernst genug genommen wird.

Wir lassen die Bekämpfung des Antisemitismus nicht von der Bekämpfung anderer menschenfeindlichen Ideologien trennen! Wir stehen dazu, Boykottbewegungen wie BDS als antisemitische Bewegungen zu verurteilen. Diese Analyse teilt übrigens auch der Deutsche Bundestag.

Wenn es Euch also ernst ist, dass Ihr Eure Partner anhört, sind wir gern bereit, unsere Position vor dem Board und dem Unternehmen von Ben & Jerry’s zu erläutern. Wir wissen, dass die Entscheidung für den Boykott nicht einhellig gefallen ist. Wir wissen, dass es auch innerhalb des Unternehmens und vor allem vor Ort viel Protest gegen die Entscheidung gibt. Wir bringen uns gern in die laufende Diskussion ein und hoffen, dass ihr den faktischen Boykottbeschluss rückgängig macht.

Ein Unternehmen, das sich für die Menschenrechte einsetzt, kann nicht gleichzeitig blind sein gegenüber Organisationen, die antisemitisch, rassistisch, homofeindlich und frauenfeindlich handeln. Es kann nicht sein, dass über sogenannte Israelkritik Antisemitismus geduldet, übersehen oder einfach wegdefiniert wird.

Die Amadeu Antonio Stiftung arbeitet nicht mit antisemitischen Gruppierungen oder Aktivist:innen zusammen. Eine Partnerschaft mit Euch ist für uns nur möglich, wenn wir diese Grundsätze teilen.

Deshalb werden wir die Zusammenarbeit mit Ben & Jerry’s unter diesen Umständen einstellen.

Wir freuen uns darauf, von Euch zu hören.

Das Team der
Amadeu Antonio Stiftung

 


Über die Kooperation zwischen der Amadeu Antonio Stiftung und Ben & Jerry’s:

Gemeinsam klärten die Partner bei der Ben & Jerry’s-Sommertour 2016 in elf Städten über die Situation von Geflüchteten in Deutschland auf und unterstützten Projekte vor Ort mit ehrenamtlichen Aktionen der Ben & Jerry’s-Mitarbeiter:innen und -Fans. 2019/20 legten sie zusammen mit dem FC St. Pauli den “Melting Pott”-Fonds auf, aus dem mehr als 40 Projekte und Initiativen gefördert wurden, die sich für eine vielfältige und inklusive Gesellschaft stark machen.

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