Sonntag, 25. November 2018, 13 Uhr
Tagung mit Tahera Ameer (Projektleiterin „Aktion Schutzschild“, Amadeu Antonio Stiftung, Berlin), Fabian Bechtle (Künstler, Berlin), Julia Bernstein (Professorin für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft, Frankfurt), Verena Dengler (Künstlerin, Wien), Sophie Goltz (Kuratorin, Berlin, Singapur), Anetta Kahane (Autorin, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung), Leon Kahane (Künstler, Berlin), Ismail Küpeli (Politikwissenschaftler und Historiker, Bochum), Marko Martin (Schriftsteller und Publizist, Berlin), Patrice Poutrus (Zeithistoriker und Migrationsforscher, Berlin)
Kulturpessimismus ist eine düstere und destruktive Perspektive auf die Entwicklung der Welt, seine Vertreter*innen deuten insbesondere den Fortschritt in liberalen Gesellschaften zu Untergangsszenarien der Zivilisation um. Antworten auf die sozialen und politischen Veränderungen der Gegenwart findet der Kulturpessimismus in der Beschwörung eines vermeintlich „Eigenen“, „Authentischen“ und sogar „Völkischen“. In kulturpessimistischen Weltbildern finden sich neben rassistischen Vorstellungen kontinuierlich unterschiedliche Ausprägungen von Antisemitismus wieder, der als Antithese zum Universalismus herangezogen wird. Auch in ablehnenden Haltungen zur Moderne sowie in Formen von Antiimperialismus und Antizionismus finden die verschwörungstheoretischen und völkischen Phantasmen des Kulturpessimismus ihren Ausdruck.
Im Rahmen der Tagung des Forums demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) soll die antisemitische Implikation des Kulturpessimismus aufgezeigt werden, ebenso wie dessen grundsätzliches und intersektional diskriminierendes Vorgehen.
Julia Bernstein nimmt in ihrem Beitrag eine historische, politische und kulturelle Einordnung von bildlichen Darstellungen vor, die sich trotz und wegen ihrer antisemitischen Ikonografie über Jahrhunderte etablierten. In ihrer Forschungsarbeit richtet Julia Bernstein einen besonderen Fokus auf die Rezeption solcher Bilder durch Jüd*innen – eine oft vernachlässigte Perspektive. Tahera Ameer spricht über ihre Arbeit bei „Aktion Schutzschild“, einem Projekt, das die Selbstorganisation von Migrant*innen und Geflüchteten gerade in strukturschwachen Räumen stärkt und ihre Perspektive in den Diskurs einspeist. Ameers Vortrag thematisiert den zum Teil ambivalenten und affirmativen Umgang mit Antisemitismus in ihrem Tätigkeitsfeld.
In ihren künstlerischen Arbeiten beschäftigt sich Verena Dengler mit den Akteur*innen der Neuen Rechten und der Identitären Bewegung in Österreich. Deren Ablehnung der modernen Gesellschaft speist sich aus kulturpessimistischen Weltuntergangsfantasien. In Reaktion darauf flüchten Neurechte und Identitäre in eine romantisierte Darstellung von völkischem Heldentum und Pathos. Der antisemitische Topos der deutschen Romantik äußert sich durch ein deutlich ausgeprägtes Feindbild: „Der Jude“ steht einer vermeintlich „gesunden“ und „natürlich gewachsenen“ Gesellschaft entgegen. Ismail Küpeli spricht über den zeitgenössischen türkischen Nationalismus, der sich in seiner Ausformung einer nationalistischen „Hochkultur“ maßgeblich an der deutschen Romantik orientiert.
Patrice Poutrus geht in seinem Vortrag auf die Historie von Schuldabwehr und Täter-Opfer-Umkehr in Deutschland ein. Diese spezifischen Phänomene sieht er nicht in einer von Brüchen geprägten deutschen Geschichte begründet, sondern vielmehr als eine eigene Form der Kontinuität. Die politischen Entwicklungen der Gegenwart lassen sich demnach nicht auf die Probleme der Nachwendezeit reduzieren, sondern sind Ausdruck einer historisch gewachsenen Selbstviktimisierung.
Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich
In deutscher Sprache
Tagungsort
Neuer Berliner Kunstverein, n.b.k.
Chausseestraße 128/129
10115 Berlin
Programm
25. November 2018, 13–19 Uhr
13 Uhr
Begrüßung
Marius Babias, Direktor n.b.k.
Fabian Bechtle und Leon Kahane, Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst
13:15 – 13:45 Uhr
Die unterschiedlichen Facetten des Antisemitismus und ihre Bedeutung für die kollektive Identitätsbildung
Prof. Dr. Julia Bernstein, Soziologin und Künstlerin, Frankfurt University of Applied Sciences
14:00 – 15:45 Uhr
Antisemitismus als integratives Moment
Tahera Ameer, Projektleiterin „Aktion Schutzschild“, Amadeu Antonio Stiftung, Berlin
Neurechte Ikonografien und identitäre Aneigungsstrategien in Österreich
Verena Dengler, Künstlerin, Wien
moderiert von Marko Martin, Schriftsteller und Publizist, Berlin
15:45 Uhr
Pause
16:15 – 18:00 Uhr
Und wieder keine Stunde Null – Überlegungen zu historischen Kontinuitäten in der ost-deutschen Gesellschaft
Dr. Patrice Poutrus, Zeithistoriker und Migrationsforscher, Berlin
Deutsche Romantik und Ideologie im türkischen Nationalismus
Ismail Küpeli, Politikwissenschaftler und Historiker, Bochum
moderiert von Sophie Goltz, Kuratorin, Berlin / Singapur
18:00 Uhr
Schlusswort
Anetta Kahane, Autorin, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Berlin