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Antisemitismus – ein Thema für heute?!


220 km hin und zurück nahmen 45 Schülerinnen und Schüler des Gützkower Schlossgymnasyums auf sich, um in Berlin an einem Projekttag zum Thema „Antisemitismus – ein Thema für heute?!“ teilzunehmen.

Die Initiative für das Projekt kam von Donatha, einer Schülerin, die an der Ausbildung der Amadeu Antonio Stiftung zum „Vielfalt- und Gleichwertigkeitscoach“ teilnimmt. Ausgangspunkt war ein Besuch des alten jüdischen Friedhofs in der Großen Hamburger Straße im September. Wir stehen auf dem Grundriss des Jüdischen Altenheims. Von hier aus wurden 55.000 Juden und Jüdinnen und Juden deportiert. Direkt daneben befindet sich die Jüdische Oberschule Berlins. Eine jüdische Oberschule – „leben denn noch Juden hier“? Der Sicherheitszaun, die Kameras und die Polizeipräsenz werfen viele Fragen auf. „Das sollen meine Mitschüler sehen“, setzt sich Donatha in den Kopf.

Hier und heute

Donatha gewinnt die Unterstützung für das Projekt bei der Schulleitung und ihrer Geschichtslehrerin. Gemeinsam wird ein Programm auf die Beine gestellt, das viel Auswahlmöglichkeit bietet. Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus ist in Deutschland verschränkt mit der Auseinandersetzung mit dem Holocaust und angemessenen Formen der Erinnerung. Was im Unterricht oft zu kurz kommt, ist die Beschäftigung mit jüdischen Leben hier und heute. Unwissenheit und fehlende Berührungspunkte können zu einem einseitigen Bild über das Judentum und jüdisches Leben führen. Vorurteile und antisemitische Bilder können die Folge sein. Die Schüler und Schülerinnen recherhierten in der Gruppen, was jüdisches Leben heute mit ihnen zu tun hat.

So schwärmten die Gützkower Schülerinnen und Schüler in Berlin aus und sammelten unterschiedliche Informationen und Eindrücke. Eine Gruppe besuchte das Anne Frank Zentrum und die Blindenwerkstatt Otto Weidt und ging der Frage nach, was Menschen dazu bewogen hat, Jüdinnen und Juden in der Zeit größter Bedrängnis und Gefährdung zu helfen. Im Jüdischen Museum ging es um das Erleben jüdischer Kindheit und Jugend in Deutschland und Österreich nach 1945. Eine dritte Gruppe besuchte das Centrum Judaicum und folgte einer Einladung an die Jüdische Oberschule Berlins (JOB).

Besuch der Jüdischen Oberschule Berlin

Donatha ist beim Besuch der Jüdischen Oberschule dabei. Die Gruppe ist mit viel Neugier und vielen Fragen gekommen, die von einer Lehrerin der Schule beantwortet werden. Sie führt durch das Haus, berichtet von ihrem Alltag und dem ihrer Schülerinnen und Schüler. Die Schule hat eine spannende Geschichte. Sie geht auf die Initiative von Moses Mendelssohn zurück. 1942 wird sie von den Nationalsozialisten geschlossen und als Deportationslager genutzt. 1993 wird sie als Jüdische Oberschule wieder eröffnet und heute von etwa 440 Schülerinnen und Schülern besucht. Als konfessionsgebundene Schule nehmen alle am Religions- und Hebräischunterricht sowie am kosheren Mittagessen teil. Dabei sind nicht alle jüdisch. Die Schule steht allen Religionszugehörigkeiten oder Konfessionslosen offen.

Wir haben nur etwa eineinhalb Stunden Zeit. Dennoch ist genug Raum, um offen über anfängliche Berührungsängste zu sprechen. Eine Schülerin befürchtete, sie würde in der Schule sofort auffallen. Auch konkrete Vorstellungen zum Äußeren und zum Auftreten der Lehrerin hat es gegeben. Am Ende spielt das „jüdisch-Sein“ nur eine kleine Rolle, erscheinen andere Punkte viel zentraler. Ein Großteil des Gesprächs ist bestimmt durch den Vergleich von Privatschule und Öffentlicher Schule, von Groß- und Kleinstadt, dass Religion sehr wichtig ist und in Gützkow kaum, und dass die Eltern vieler Schülerinnen und Schüler hier erst nach Deutschland gezogen sind. Eine Schülerin sagt: „Ich würde mein Kind auch hierher schicken. Die Schule ist so schön“. Beim Blick auf die Schulbänke wird festgestellt: „Genauso beschmiert wie bei uns, wenn nicht noch schlimmer.“ Und auch ähnliche Probleme werden angesprochen. So findet gerade viel Aufklärungsarbeit an der JOB zum Thema Cybermobbing statt – die Internetseite „iShareGossip“, auf der anonym gelästert werden kann, kennt man in Gützkow auch.

Was sich nicht in die Erfahrungswelt der Jugendlichen aus Gützkow einbetten lässt, ist das Leben mit den Sicherheitsbestimmungen rund um die JOB. Jüdische Einrichtungen werden in Deutschland seit 1972 von der Polizei geschützt. Eine besonders freundliche Polizistin am Eingang gehört für die Schüler der JOB schon einfach mit dazu, so die Lehrerin. Für Vorbeigehende ist der Anblick oft befremdlich. Für Andere ist er – in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Deportations- und Sammellager – ein bitteres Symbol für aktuellen Antisemitismus in Deutschland. „Wir wollen uns nicht hinter dem Zaun verstecken“, betont unsere Gastgeberin. „Es lohnt sich, in Kontakt zu treten – und am Ende stellt ihr fest, dass wir eine ganz normale Schule sind.“

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Nickolas
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