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Aufdrehen und hinhören: Willkommen beim Radio F.R.E.I.!

Im Erfurter Medienlabor setzen sich Jugendliche und andere Anwohner*innen verschiedenen Erfurter Stadtteile mit Rassismus auseinander – mithilfe von Medienwettbewerben, Live-Radiosendungen und rassismuskritischen Workshops. Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt die Engagierten dabei.

Von Charlotte Sauerland

In der Erfurter Altstadt, direkt hinter der mittelalterlichen Krämerbrücke, die über zwei Arme der Gera führt und gerne mit der Ponte Vecchia in Florenz verglichen wird, liegen die Räumlichkeiten des Radio F.R.E.I. Das Radio wurde Anfang der 90er Jahre von jungen Engagierten gegründet, die sich das Radio machen selbst beigebracht haben. „Damals gab es viel Leerstand in Erfurt, viele Häuser waren total verfallen und die jungen Leute haben gesehen: da geht was. Ihr Ziel war es, die Bewohner*innen der Stadt zu Wort kommen lassen“, erzählt Karina. Sie arbeitet hauptamtlich beim Radio F.R.E.I.. Mittlerweile ist das Radio kein Piratensender mehr, sondern sendet auf eigener Frequenz. 170 Ehrenamtliche und einige Hauptamtliche sind bei dem Sender aktiv.

Mit einem Schiffscontainer für Rassismus sensibilisieren
2014 und 2015 kamen auch in Erfurt viele Geflüchtete an. Bei einer Bürger*innenversammlung im Jahr 2015 informierte die Stadt über die Einrichtung von Notunterkünften in Turnhallen. „Das war eine wütende Bewohnerschaft!“ erinnert sich Karina. Schon im Vorfeld der Versammlung hatten stadtbekannte Neonazis und Bürger*innen mit einer Petition gegen die Unterbringung von Asylsuchenden mobilisiert. Während der Veranstaltung wurde die Bürgermeisterin beschimpft, Geflüchtete als „Pack“ bezeichnet und eine Frau, die Unterstützung für Geflüchtete anbot, ausgebuht. Die Feindseligkeit und die aufgeheizte Stimmung, die  den Ankommenden entgegenschlug, ging den Radiomacher*innen nahe. Um Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen und für Rassismus, Hass im Netz und demokratische Kultur zu sensibilisieren, riefen die Engagierten von Radio F.R.E.I. das „Erfurter Medienlabor“ ins Leben. Mit einem umgebauten Schiffscontainer tourt das Medienlabor durch die Stadtteile. In den Live-Sendungen kommen Anwohner*innen zu Wort, eine Geflüchtetenredaktion sendet Beiträge. „Wir wollen das Ohr an den Stadtteilen haben.“, betont Karina. Außerdem bietet das Medienlabor rassismuskritische Workshops an und vernetzt sich mit Akteur*innen aus den Stadtteilen.

Ganz besonders wichtig ist es den Macher*innen, junge Menschen zu erreichen. „Wir wollen Kultur als Medium nutzen und die jungen Leute zum Nachdenken anregen: Was geht ab? Wie schaffen wir es, dass wir gut miteinander umgehen?“ Aktuell veranstaltet das Medienlabor einen Medienwettbewerb für Vielfalt, Toleranz und Respekt, bei dem Jugendliche zwischen 10 und 27 mitmachen konnten. „Der Respektier-Wettbewerb soll deutlich machen, dass auch in Erfurt Jugendliche für eine vielfältige Gesellschaft Haltung zeigen.“ betont Karina. Unterstützung bei der Herstellung ihrer Produkte konnten die Jugendlichen durch Workshops des Medienlabors zu Fotografie, Comicproduktion oder Street Art bekommen. „Es wurden tolle Produkte eingereicht: Collagen, Theaterstücke, Songs, Videos.“ Eine Hochschulgruppe reichte Plakate gegen Sexismus ein, die Sieben- bis Vierzehnjährigen produzierten das Video „Eine Schule, eine Welt“, bei dem Kinder mit und ohne Beeinträchtigung mitwirkten. Als Anerkennung für den Einsatz der Jugendlichen sollen die Kunstwerke im öffentlichen Raum in Erfurt ausgestellt werden.

Stadtteilarbeit gegen rechtsextreme Strukturen
„Wir machen hier ganz viel Grundlagenarbeit gegen Rassismus“, erzählt Karina und berichtet von den medienpädagogischen und rassismuskritischen Workshops, die das Medienlabor anbietet. Im Stadtteil Herrenberg im Südosten Erfurts kam es schon vor, dass Jugendliche mit Rudolf-Hess-Konterfei auf dem T-Shirt zum Workshop erschienen. „Die haben das Gefühl, dass es ok ist, das zu machen.“ Im Viertel gab es schon in den 90er Jahren organisierte rechtsextreme Strukturen. Seit 2015 verfügt die örtliche rechtsextreme Szene mit den Räumlichkeiten des Vereins „Volksgemeinschaft“ und der schon zuvor bestehenden „Kammwegklause“ über zwei feste Anlaufpunkte. In den Vereinsräumen der „Volksgemeinschaft“ fanden Parteiversanmmlungen der Partei „Die Rechte“ und später des „III.Weg“ statt, Feste für „hilfsbedürftige deutsche Familien“ wurden ausgerichtet. Gleichzeitig fehlen Kulturangebote demokratischer Akteure: ein Jugendclub stand lange leer, Konzerte sind selten. Der Verein „Volksgemeinschaft“ kann mit seinen Angeboten für Jugendliche eine Lücke schließen, gerade das Kampfsporttraining wird gut aufgenommen. „Zum Glück gehen die Jugendlichen auch noch in andere Jugendclubs, da reden die Sozialarbeiter*innen dann mit ihnen.“ Die Medienlabor-Mitarbeiterin engagiert sich auch bei Stadtteilkonferenzen, wo diskutiert wird, wie Jugendliche für andere Orte gewonnen werden können. „Wenn sie Kampfsport gut finden, müssen wir an anderen Orten Kampfsport anbieten, aber mit anderen Werten, die dabei vermittelt werden.“ Die rechtsextreme Dominanz wird auch in Schulworkshops sichtbar. „Aber bei unseren Workshops dort hatten wir auch schöne Erlebnisse. Wenn zum Beispiel ein geflüchteter Junge über seine Flucht erzählt hat und die anderen Kids zum ersten Mal verstanden haben, was das bedeutet. Auch ließen sich über einen längeren Zeitraum auch rechtsoffene Jugendliche auf unsere Angebote ein und waren zugänglicher für andere Sichtweisen.“

„Ich finde die Arbeit in den Stadtteilen spannend, wo es auch mal unbequem werden kann.“ erzählt Karina. Als der Radiocontainer in der idyllischen Altstadt von Erfurt Station machte und von dort Sendungen ausstrahlte, gab es Konflikte mit Anwohner*innen. Die Anwesenheit des Radiocontainers wurde ohne plausible Grundlage dafür verantwortlich gemacht, dass in der Nähe mehrere Überfälle passierten. Das Medienlabor reagierte auf die Empörung mit einer Veranstaltung zu Kultur im öffentlichen Raum und diskutierte mit den Besucher*innen darüber, wie Bürger*innen beteiligt werden können. Durch Kooperationen mit Jugendclubs, Vereinen und Schulen in den Stadtteilen und die Mitgliedschaft in Bündnissen, die sich für Demokratie einsetzen, ist das Medienlabor kein abgehobenes Kulturprojekt, sondern Teil der Stadtgesellschaft geworden.

Und in Zukunft? „Wir machen auf jeden Fall weiter mit unserer Arbeit. Es gibt viel zu tun.“

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