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Aufstand der Geschichten

© Nasser Hashemi

Was bleibt nach den Ereignissen von Chemnitz in diesem Sommer? Es gibt ein großes Bedürfnis zu reden, beobachten Engagierte in der Stadt. Räume zum Gespräch zu schaffen – das haben sich die Macher*innen des Festivals „Aufstand der Geschichten“ zu seiner Aufgabe gemacht. Die Amadeu Antonio Stiftung hat sie dabei unterstützt. So füllt sich die Stadt mit Stimmengewirr und jeder Menge Geschichten. 

Von Franziska Schindler

Zum Festival „Aufstand der Geschichten“ Anfang November 2018 ist der Schriftsteller, Dissident und Politiker Stefan Heym auf die Bühnen seiner Geburtsstadt Chemnitz zurückgekehrt. „Herr Heym, Sie waren jetzt 17 Jahre tot. In dieser Zeit hat sich die Welt rasant verändert. Kritiker sagen, Sie passen nicht mehr hierher. Was entgegnen Sie ihnen?“, befragt ihn das Theaterstück „Wenn mich einer fragte…“. Als Puppenfigur steht Stefan Heym Rede und Antwort. Die Biografie des Sohns der Stadt ist reich an Umbrüchen und Widerständigkeiten. Sie polarisiert und schweißt zusammen, bietet Identifikationspotenzial und lädt dazu ein, zu diskutieren.

Gerade jetzt ist das besonders notwendig: „Es gibt ein ganz großes Bedürfnis zu reden“, beobachtet Franz Knoppe, Projektleiter des Festivals „Aufstand der Geschichten“, das von der Amadeu Antonio Stiftung gefördert wird. Reden – über die Ereignisse der letzten Wochen und über die persönlichen Geschichten, die oft von Brüchen, Abwertungen der eigenen Biografie und verworfenen Lebensentwürfen handeln. Räume für Gespräche zu schaffen hat sich das Festival zu seiner Aufgabe gemacht. „Wenn knapp 30 Prozent der Bevölkerung Protestparteien wählen, können wir das nicht einfach ignorieren. Dann müssen wir uns fragen: Was bewegt sie? Es ist Zeit, miteinander zu sprechen“, so Knoppe.

Um die Zerwürfnisse der Gegenwart zu verstehen, befragt das Festival die Vergangenheit. Und stellt fest, dass die Veränderungen, die beim Ende des Kalten Krieges prognostiziert wurden, sich nicht bewahrheitet haben. „1989 glaubte man, mit Demokratie und Globalisierung kann alles nur noch besser werden! Spätestens seit der Finanzkrise hat man gemerkt: So einfach ist es nicht.“ Der Umbruch stellte sich vielschichtiger dar als prognostiziert, warf Fragen auf, hinterließ Leerstellen. Leerstellen, die Rechtspopulist*innen mit viel zu einfachen Erklärungen und Schuldzuweisungen zu füllen versuchen.

Die Narrative der Rechtspopulist*innen wollen die Initiator*innen des Festivals entkräften, ohne sich an neurechten Akteur*innen abzuarbeiten. Stattdessen erzählen sie lieber selbst Geschichten – Geschichten, mit denen sich Menschen identifizieren können und die berühren: widerständige Geschichten, Umbruchsgeschichten, Geschichten vom Aufbrechen und Ankommen, von Krieg und Frieden. Komplizierte Geschichten, die ohne Freund-Feind-Schemata und ohne die Abwertung des Gegenübers auskommen. Das Festival gibt Erzählungen Raum, die Visionen einer Gesellschaft entwickeln, in der alle Platz haben. Dazu gehört auch die Geschichte von Stefan Heym.

Das Theater ist nur ein Ort, an dem Geschichten zum Leben erweckt werden. Raum zum Erzählen und Diskutieren gibt es auch in Sonnenberg, einem der ärmsten Chemnitzer Stadtteile, in dem 30 Prozent der Gebäude leer stehen. Verlassene Ladenräumlichkeiten werden hier neu eröffnet – und als solche zu Orten des Austauschs. Bei Kaffee und Kuchen, beim Stöbern im Comic Store, dem Besuch von Lesungen, Diskussionsveranstaltungen oder im Beautysalon „Grand Beauty on Tour“ kommen die Besucher*innen ins Plaudern: Raus aus der Anonymität der Nachbarschaft!

Der Plan geht auf. Die Veranstaltungen sind gut besucht oder ausverkauft. Die Straßen füllen sich mit Gesprächen, die Plätze mit Stimmengewirr.

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